Maeders Kommentar

Eine Bank ist eine Bank ist eine Bank

Banktresor mit Gold
Bild: fergregory – stock.adobe.com

Die abgewandelte Tautologie im Titel legt den Finger auf den grössten Irrtum im Zusammenhang mit dem Stichwort «Gamechanger».

Die Dinge sind nicht immer, was sie sind oder zu sein scheinen; waren sie übrigens nie. Warum also ist eine Bank «nur» eine Bank, wenn sie das Zeug dazu hat, so viel mehr zu sein?

Autor: Ruedi Maeder, Chefredaktor von MoneyToday.ch

In Diskussionen um Gamechanger in Banking, Finance und Digitalisierung fallen über kurz oder lang Begriffe wie Blockchain, Tokenisierung, Künstliche Intelligenz und andere, die durchaus dazu beitragen, das «Game» zu «changen». Allerdings erst in zweiter Linie, denn Technologien sind Mittel zum Zweck, sie wirken als Beschleuniger oder machen Dinge überhaupt erst möglich. Deshalb sind sie für Profis interessant, weit weniger aber für Kunden und Konsumenten.

Kein Mensch will freiwillig auf die Blockchain

Sie werden einen Kunden niemals sagen hören: «Würden Sie bitte meine Daten und Transaktionen auf der Blockchain speichern, das schafft Unveränderbarkeit und Sicherheit für mich.» Letzteres will der Kunde haben, Ersteres interessiert ihn nicht.

Ein Konsument wird auch nicht um die Tokenisierung von Wertpapieren oder von Liegenschaften bitten – allerdings: mit kleinem Geld an einer hochpreisigen Aktie oder Immobilie beteiligt zu sein, dürfte ihn begeistern.

Deshalb stehen nicht Technologien im Vordergrund; für Konsumenten zählen nur Freiheiten und Möglichkeiten, die durch Technologie geschaffen werden. Das sind die wirklichen Gamechanger, die Märkte und das Verhalten von Kunden verändern. Diese feine Nuance ist absolut zentral. Sie beeinflusst das Denken von Profis, welche Projekte rund um Blockchain, KI, Tokenisierung und mehr verfolgen. Macher, die exzellente Technologie mit konkreten Instrumenten verbinden, um Gamechanger an den Start zu bringen.

Die Illusion von Plattform-Ökonomie und Ökosystemen

Digitale Marktplätze sind prima, ganze Ökosysteme aber noch besser, weil sie erweiterte Wünsche von Kunden und Konsumenten einbeziehen. Der Denkfehler im System: Das eine wie das andere ist aktuell noch viel zu klein gedacht.

Vor nicht allzu langer Zeit wurde Open Banking erfunden. Die Finanzbranche kämpft zum Teil noch mit ihren eigenen Widerständen, öffnet sich jedoch langsam der Idee, dass Kunden möglichst alles rund um Banking auf einer einzigen Plattform erledigen möchten. 

Irgendwann wurde der Begriff auf Open Finance ausgeweitet, weil Kunden nicht nur Banking, sondern alles rund um ihre Finanzen auf einer einzigen Plattform managen wollen. Hier harzt die Umsetzung noch gewaltig – nicht aus Gründen der Technologie, vielmehr weil Einsicht und Verständnis dafür fehlen, was Konsumenten wirklich wollen und wohin die Reise geht.

Mit den Konzepten von Open Banking und Open Finance liessen sich hervorragende digitale Marktplätze bauen und auch exzellente Ökosysteme, die noch sehr viel mehr möglich machen – nur: Wer wird sie realisieren?

Die Angst vor Kundenverlusten lässt digitale Marktplätze oftmals wie Firmenpräsentationen aussehen und wirkliche Ökosysteme bleiben die Ausnahme. Bereits in der Planungsphase wird ein Ökosystem oftmals auf ein Minisystem mit ein paar netten Features runterkonzipiert.

Ruedi Maeder, Chefredaktor MoneyToday.ch:

Offene Haltung, Mut zu neuen Wegen, verfügbare Technologie und Ökosysteme, die diesen Namen auch verdienen, werden das Game changen

Was Kunden anzieht und was Konsumenten auf Distanz hält

«Jetzt muss aber mal gut sein», befinden noch immer zahlreiche Exponenten aus Banking und Finance, «der Kunde ist heute verwöhnt genug und hat alles, was er braucht.»

Falsch gedacht. Die Entwicklung der «Anspruchs-Eskalation» steht erst am Anfang, nimmt aber rasant Fahrt auf und wird nicht an Grenzen haltmachen, die von einem Unternehmen definiert werden, das seine Kunden an die hauseigenen Leistungen binden möchte. Das funktioniert nicht mehr, nicht auf Dauer.

Die bereits definierten Verlustängste kommen nicht von ungefähr und sind berechtigt. Sie lassen sich jedoch kaum kurieren, indem man Kunden Vielfalt und Leistungen, auch die der Konkurrenz, vorenthält – das dürfte die Abwanderung ohne Aussicht auf Rückkehr antreiben. 

Bekommen Kunden hingegen bei einem Anbieter innerhalb eines tatsächlichen Ökosystems alles, was sie sich wünschen und benötigen, inklusive Angebote und Konditionen der Konkurrenz, werden sie diesem Anbieter nicht den Rücken kehren – warum auch? Es spricht sich schnell herum, dass jemand aus Sicht der Kunden operiert und deren Vorteile im Auge behält, ohne auf Teufel komm raus die eigenen Angebote durchzudrücken. 

Nebenbei: Verliert der Anbieter über seine Plattform auch gelegentlich ein Geschäft an die Konkurrenz, halten ihm seine Kunden weiterhin die Treue. Und da er von Provisionen für vermittelte Geschäfte profitiert, bleibt der «externe Einkauf» seiner Kunden auch wirtschaftlich interessant.

Der Stoff, aus dem die Gamechanger gemacht sind

Letztlich werden offene Haltung, Mut zu neuen Wegen, verfügbare Technologie und Ökosysteme, die diesen Namen auch verdienen, das Game changen. Deshalb ist es an der Zeit für jede Bank, jeden Finanzdienstleister und auch jedes andere Technologie-Unternehmen, seinen eigenen Gamechanger zu lancieren.

Wer seine Kunden «liest» und wechselnde Lebensphasen im Auge behält, wer nicht erfüllte Wünsche auslotet und vorwegnimmt, wer die Entwicklung von Gesellschaft, Konsumenten und Technologien einordnet und die richtigen Schlüsse daraus zieht, wird als Player im Game eine tragende Rolle spielen.

Diese Rolle muss nicht für alle Mitspieler dieselbe sein; Variationen können Unterschiede schaffen, wenn sie denn Anbietern und Kunden Vorteile bringen. 

Für Konsumenten zählen nur Freiheiten und Möglichkeiten, die durch Technologie geschaffen werden

Und was ist denn jetzt der tatsächliche Gamechanger?

Ein Blick in die nahe Zukunft: Julia ist 28, aktiv und erfolgreich, schätzt Komfort und sieht eine Bank nie von innen. Ihr persönlicher Assistent heisst Fred und kommuniziert mit Julia auf ihren Wunsch via Voice über ihr Smartphone. Diese Assistenten gibts mit wählbaren Namen, Geschlechtern und Stimmen von zahlreichen Anbietern. Auch von Banken.

Fred kennt Julias Vorlieben, Ansprüche, ihre aktuelle Lebenssituation, ihre Finanzen, ihre Wünsche und mehr. Deshalb überprüft der Assistent laufend Julias Abos, ihre Debit- und Kreditkarten und schlägt Änderungen vor – wenn notwendig in sämtlichen Lebensbereichen.

Abo-Änderungen, Kündigungen und den Abschluss neuer Verträge zu besten Konditionen tätigt Fred für Julia. Ebenso die Eröffnung neuer Accounts, Passwortmanagement inklusive. Banking und Zahlungen gehören mit zum Job des persönlichen «Handyman». Braucht Julia einen Kredit oder eine Hypothek, vergleicht Fred sämtliche Angebote und macht Vorschläge. Das beste Angebot unter Dach und Fach bringen kann Fred auch, weil er als intimer Berater Zugang zu sämtlichen Dokumenten und Daten hat, die Julia ganz persönlich betreffen.

Will Julia in die Ferien, organisiert Fred die besten Angebote zu ihren Wunschzielen, bucht die perfekte Reise, kümmert sich um Versicherungen und Tickets. Hat Julia eine Autopanne, ortet Fred sie punktgenau, organisiert umgehend den Pannendienst, inklusive Ersatzwagen. Es gibt nichts, was Fred nicht für Julia tun könnte und würde – er ist dafür gemacht, ihr Leben in jeder Beziehung zu erleichtern und sie von Alltagskram, Administration und auch von «Suchen & Finden» zu entlasten. Er regelt und beschafft buchstäblich alles – und das aus sämtlichen verfügbaren Quellen.

Die Regie bleibt jederzeit klar bei Julia, weil Fred ihr sämtliche wichtigen Vorgänge, Verträge oder Transaktionen vorab zur Autorisierung vorlegt. Zudem kann Julia die Rechte von Fred nach Belieben enger oder weiter fassen.

Sie meinen: «Das gibts doch schon alles»? Korrekt, aber die zentrale Frage stellt sich: Wo bleiben in diesem Szenario die Banken? Siri, Alexa und andere sind bereits erfolgreich unterwegs, Banking und Finance hingegen bleiben noch aussen vor. Ergo faktisch ein Heimspiel für Banken, die Banking am besten können und einfach noch hinzufügen, was Siri, Alexa und Co. heute schon bringen.

Open Living: Es ist alles schon da, muss nur richtig zusammengefügt werden

Menschen, Leben und Wünsche reduzieren sich nicht auf Open Banking oder Open Finance, das ist zu klein gedacht. Die menschlichen Bedürfnisse drehen sich nicht 24/7 um Banking, vielmehr um das Leben selbst. Vorteil für Banken: Finanzen nehmen eine Schlüsselposition ein, alle persönlichen Belange des Individuums bedingen letztlich Banking oder Payments. Deshalb ist es vielleicht eine gute Idee für Banken, anstatt eine beschränkte Gartenparzelle zu bewirtschaften den Lead eines uneingeschränkten Systems zu übernehmen. 

Der Gamechanger heisst Open Living. Alles ist griffbereit, die inspirierenden Ansätze kommen von Apple, Google oder Amazon. So viele Bälle und Spieler auf dem Platz, nur die Banken fehlen.

Apropos Amazon: Ein Buchhändler ist ein Buchhändler ist ein Buchhändler? Dasselbe gilt für eine Bank oder jedes andere Tech-Unternehmen, das längst existente und laufend weiterentwickelte Technologie zu nutzen weiss, weil es aus der Sicht seiner Kunden denkt und agiert.

Last but not least: Julias entspannter Umgang mit Leben und Finanzen blieb nicht verborgen und ihre Eltern, vermögende Best Ager in den 60ern, drängen darauf, Fred endlich kennenzulernen ...

Persönlich

Ruedi Maeder ist seit Jahren unterwegs in der Finanzbranche, im Zahlungsverkehr, in den Themen der Digitalen Transformation, der Digitalisierung und FinTech, als Journalist, Schreiber und Autor für Printmedien und Online-Plattformen. Seit der Gründung von MoneyToday.ch im Januar 2018 engagiert er sich als Macher und Chefredaktor der News- und Nachrichtenplattform für FinTech, Banking, Finance und sämtliche Aspekte der Digitalisierung. (Quelle: MoneyToday.ch)