Geopolitische Unsicherheiten, Inflation und weitere Einflussfaktoren im Spannungsfeld von Gold, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
In unserer Serie über Gold haben wir bereits verschiedenste Aspekte des glänzenden Edelmetalls beleuchtet: Wie das Gold auf die Erde kam, wie und wo es gefördert wird, Superlative in Zahlen und Grössen rund um das Edelmetall – und mehr. Gold hat eine bewegte Geschichte. Und Gold selbst bewegt die Geschichte, das wird auch in Zukunft so bleiben.
Deshalb werfen wir im sechsten Kapitel unserer Serie einen Blick auf einige geopolitische sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte, welche den Wert des Goldes laufend beeinflussen.
Die Bedeutung von Gold als Wertspeicher
Gold gilt als "sicherer Hafen", weil das Edelmetall in der Regel nicht denselben Strömungen unterliegt wie Währungen in Fiatgeld. Meistens verhält sich Gold gegenäufig.
Ist die Bewertung von Fiatgeld unter anderem abhängig vom Vertrauen in die Politik von Staaten und Zentralbanken, folgt der Wert von Gold anderen Regeln. Die Stabilität von Fiatwährungen wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. In Zeiten von Inflation nimmt die Kaufkraft ab, der Wert des Geldes schwindet, das erhöht die Nachfrage nach werthaltigen und stabileren Wertspeichern.
Kritische geopolitische Entwicklungen oder Verwerfungen können in der Beziehung zwischen Staaten zu Vertrauensverlusten und innerhalb der Gesellschaft zu Unsicherheiten führen. Das eine wie das andere kann die Einstellung und das Verhalten gegenüber Geld, Währungen und möglichst stabilen Wertspeichern beeinflussen. Das gilt für die Gesellschaft, für die Wirtschaft und insbesondere auch für Zentralbanken.
Beispiel Ghana
Das westafrikanische Land gehört mit über 100 Tonnen pro Jahr zu den grösseren Goldproduzenten auf der Welt. Gleichzeitig leidet Ghana unter einer Inflationsrate von mehr als 50 Prozent. Das macht den US-Dollar als Währung für Importgüter für Ghanas Wirtschaft laufend teurer. Die Zentralbank von Ghana erhöht seit einiger Zeit schon ihre Goldreserven massiv, um die Währungsstabilität und das Wirtschaftswachsum zu optimieren. Das Land hat deshalb Anfang 2023 die grossen Goldförder-Unternehmen im eigenen Land verpflichtet, 20 Prozent ihrer Produktion an die Zentralbank zu verkaufen.
Was für Aufsehen gesorgt hat: Ghana will nun kostenintensive Importe, zum Beispiel Öl und Treibstoffe, mit Gold statt mit US-Dollar kaufen. Ghana versucht damit, sich vom US-Dollar unabhängiger zu machen – das ist unter anderem eine Folge des Ukraine-Krieges und der damit verbundenen Auswirkungen. Dem Beispiel dieser "Ent-Dollarisierung" dürften weitere Staaten, insbesondere Schwellenländer, vermehrt folgen. Diese Tendenz ist nicht neu, sie scheint sich jedoch durch die geopolitischen Entwicklungen zu verstärken. Dadurch könnten sich zunehmend auch die "Kräfteverhältnisse" zwischen Rohstoffen, Gold und der Leitwährung Dollar verändern – Gold gewinnt an zusätzlicher Bedeutung und damit auch an Wert und Stärke.
Zentralbanken haben 2022 ihre Goldreserven massiv erhöht
Ghanas Zentralbank steht nicht alleine da. Die weltweite Nachfrage nach Gold hat sich nach den Erhebungen des World Gold Council (WGC) letztes Jahr insgesamt stark erhöht, um 18 Prozent, Zentralbanken haben diesen Schub massiv beflügelt. Die Nachfrage von Zentralbanken nach dem gelben Edelmetall hat die Zukäufe von Gold auf ein 55-Jahreshoch getrieben. Von insgesamt nachgefragten 4'741 Tonnen Gold 2022 haben allein Zentralbanken 1'136 Tonnen für sich beansprucht, im Vergleich zum Vorjahr mit lediglich 450 Tonnen.
Die Nachfrage ist 2022 laufend gestiegen und hat im 4. Quartal 2022 Rekordwerte erreicht. Waren die Käufe der Zentralbanken schon im dritten Quartal mit nahezu 400 Tonnen rekordverdächtig, sind die Zukäufe im vierten Quartal mit 417 Tonnen nochmals in die Höhe geschnellt. So viel Gold haben die Notenbanken seit 1967 nicht mehr gebunkert.
Zu den Grosseinkäufern gehört mit 150 Tonnen die Türkei, aber auch China sowie die Zentralbanken von Indien, Usbekistan, Ägypten und den Golfstaaten haben kräftig zugekauft. Westliche Staaten waren zurückhaltender. Zahlreiche andere Staaten sind mit Spiel, aber nicht unbedingt bekannt, weil sie ihre Goldkäufe weder melden noch registrieren lassen. Zu diesen "schweigenden Staaten" gehört unter anderen Russland, Veränderungen der Goldbestände werden seit 2021 nicht mehr gemeldet.
Warum erhöhen Zentralbanken ihre Goldbestände?
Der Bericht des WGC benennt die naheliegenden Gründe: Geopolitische Unsicherheit sowie die hohe Inflation. Wie das Beispiel von Ghana zeigt, will zudem eine wachsende Zahl von Ländern und Zentralbanken ihre Dollar-Abhängigkeit reduzieren. Das hängt unter anderem auch mit möglichen Sanktionsrisiken zusammen, die vor allem Schwellenländer fürchten. Physisch vorhandenes Gold im eigenen Land kann durch Dritte nicht eingefroren werden, im Gegensatz zu Devisen oder Anleihen, die im Ausland deponiert werden.
Insgesamt, und das gilt für die meisten Länder: Gold im Portfolio kann für Zentralbanken und Länder eine gewisse Sicherheit schaffen, weil der Inflationsschutz gegenüber Währungen wirken kann, auch der eigenen. Und auch, weil Gold in der Regel eine stabilere Stärke bewahren kann, wenn Währungen oder andere Anlageklassen volatiler werden.
Mitte 2022 hat der WGC Zentralbanken befragt, aus welchen Gründen sie Gold halten und zukaufen. Jeweils 74 Prozent der befragten Zentralbanken erachten die Performance in Krisenzeiten als relevant. Ebenfalls 74 Prozent sehen Gold als lngfristiges Wertaufbewahrungsmittel und als Absicherung gegen die Inflation.
Interessant ist, dass Mitte 2022 jede vierte Zentralbank die Absicht geäussert hat, in Zukunft ihre Goldreserven erhöhen zu wollen. Im Gegensatz zu früheren Jahren wollte in den Jahren 2021 und 2022 keine einzige Zentralbank ihre Goldreserven verkleinern.
Wie verteilt sich die Goldnachfrage von 4'741 Tonnen?
Mit 4'741 Tonnen Gold war der Bedarf 2022 nach dem gelben Edelmetall so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr – gegenüber dem Vorjahr entspricht das einer Zunahme um 18 Prozent. Europa hat sich an den Spitzenplatz bei der Nachfrage nach physischem Gold gespielt. Auch in der Schweiz war mit 49 Tonnen die stärkste Nachfrage seit 2016 zu verzeichnen. Wie in anderen Ländern standen dabei auch in der Schweiz Unsicherheiten, anziehende Inflation und Rezessionsängste als Folge des Ukraine-Krieges im Vordergrund.
Nach dem neu erwachten und gestillten Hunger der Zentralbanken bleiben 2022 rund 3'600 Tonnen Gold, die in andere Sparten geflossen sind. Die Nachfrage im Bereich Schmuck ist um 3 Prozent zurückgegangen, die Branche hat jedoch mit 2'190 Tonnen weiterhin einen hohen Bedarf. Der Technologiesektor hat 2022 mit einem Minus von 7 Prozent stark nachgegeben und hat 309 Tonnen beansprucht.
Die Rückgänge bei Schmuck und Technologie sind durch den erhöhten Investitionsbedarf kompensiert worden, insgesamt sind 1'217 Tonnen Gold in Form von Barren und Münzen nachgefragt worden.
Die Bedeutung von Gold in der Gesellschaft
In Zeiten der Unsicherheit wird Gold für breitere Teile der Gesellschaft und Bevölkerung wichtig. Das lässt sich auch daran festmachen, dass die weltweite Nachfrage nach Münzen, also den kleineren und gewissermassen handlichen Goldeinheiten, mit 13 Prozent überproportional gestiegen ist. 2022 sind insgesamt 335 Tonnen Gold in Form von Münzen nachgefragt worden. Christian Brenner, CEO des Goldhändlers Philoro Schweiz, wertet den Bedarf nach kleineren Stückelungen als ein Zeichen dafür, dass die Leute bei Gold eine maximale Flexibilität suchen. Brenner glaubt, dass möglicherweise der eine oder andere sogar mit dem Gedanken spielt, die Münzen irgendwann als Zahlungsmittel einsetzen zu müssen.
Das Verhältnis von Barren- versus Münzverkäufen hat sich bei Philoro von 70:30 im Jahr 2021 auf 60:40 im Folgejahr verändert. Goldmünzen wie Krugerrand, Wiener Philharmoniker und Goldvreneli sind gefragt, so sind zum Beispiel letztes Jahr insgesamt 100'000 Goldvreneli über den Ladentisch gegangen.
Diese Zahlen unterstreichen einen bereits länger anhaltenden Trend, der sich allerdings 2022 durch die geopolitisch unsichere Lage noch verstärkt hat. Die repräsentative Edelmetall-Studie der Universität St. Gallen und Philoro hat 2022 den DACH-Raum untersucht. Nach dieser Studie hat sich die Bedeutung von Edelmetallen deutlich erhöht. Am beliebtesten sind Edelmetalle in Österreich, sie werden von 61 Prozent der Befragten favorisiert, gefolgt von Deutschland mit 52 Prozent und der Schweiz mit 51.5 Prozent. Am meisten Gold besitzen die Österreicherinnen und Österreicher mit 220 Gramm pro Person, gefolgt von Deutschland mit 205 Gramm und der Schweiz mit 95 Gramm. Welches Gewicht der Gesamtbesitz der privaten Goldanlegerinnen und Goldanleger pro Land auf die Waage bringt, zeigt die folgende Grafik.
Interessant sind die Gründe für eine Investition in Edelmetalle. Rendite steht nicht im Vordergrund, in allen drei Ländern werden Stabilität und Langfristigkeit der Anlage an erster Stelle genannt. An zweiter Stelle folgen Sicherheit und Krisenvorsorge und als Drittes Inflationsschutz.
Die wirtschaftliche und die gesellschaftliche Bedeutung von Gold
Gold ist wie jede Anlageklasse gewissen Schwankungen unterworfen, korreliert jedoch in der Regel nicht mit Aktien- und anderen Märkten. Deshalb trägt Gold die Etikette als "sicherer Hafen", wenn Aktien und andere Assets in Unruhe geraten und zu erhöhter Volatilität neigen.
Bemerkenswert bleiben dennoch die Implikationen, die sich im Krisenjahr 2022 gezeigt haben. Die Nachfrage nach Gold ist sprunghaft um 18 Prozent angestiegen und hat die Zukäufe auf ein 55-Jahreshoch getrieben. Zentralbanken weltweit haben ihre Goldreserven zum Teil massiv aufgestockt. Namentlich bekannte und auch nicht bekannte Länder haben sich mit so viel Gold eingedeckt, wie das seit 1967 nicht mehr der Fall war. Einige Staaten sind unterwegs in Richtung einer "Ent-Dollarisierung", zum Beispiel Ghana, um aufgrund einer galoppierenden Inflation mit genügend Goldreserven auch Importprodukte mit Gold statt mit US-Dollar kaufen zu können.
Andere Staaten setzen auf erhöhte Goldreserven, um der Inflation zu begegnen sowie um die Währungsstabilität und das Wirtschaftswachstum zu erhöhen.
Das Argument des "sicheren Hafens" greift in Krisenzeiten offenbar verstärkt auch für weite Teile der Gesellschaft und Bevökerung in zahlreichen Staaten, welche ebenfalls ihre privaten "Goldreserven" erhöhen, um der teilweise hohen Inflation in ihren Ländern zu entgehen. Zusätzliche Bedeutung bekommt Gold für viele Menschen quasi als mobile Währung in Form von Münzen. Mobil deshalb, weil diese Münzen zu Hause aufbewahrt und, wenn nötig, auch in die Tasche gesteckt und mitgenommen werden können.
Kann die jährliche Goldförderung die gestiegene Nachfrage befriedigen?
Gold bleibt eine beschränkte Ressource, deren Abbau immer schwieriger und kostenintensiver wird. Bisher sind weltweit über 210'000 Tonnen Gold abgebaut worden. Nach Angaben des World Gold Council lag die Goldförderung sämtlicher Goldminen 2021 weltweit bei rund 3'570 Tonnen. Diese Menge hat sich 2022 nicht dramatisch erhöht, die Minenproduktion ist um nur gut 1 Prozent auf 3'612 Tonnen gestiegen. Grosse Schwankungen sind auch in den nächsten Jahren nicht zu erwarten.
Die Differenz zu den 2022 nachgefragten 4'741 Tonnen, also rund 1'100 Tonnen, kommt aus den Beständen von eingeschmolzenem Recycling-Gold. Das heisst konkret aus bereits bestehendem Altgold aus verschiedenen Bereichen. Vorhandenes Gold wird nicht weniger, das Schwermetall ist praktisch unzerstörbar und bleibt der Welt für alle Zeiten erhalten.
Die jährliche Goldförderung allein kann die Nachfrage nicht befriedigen, schon gar nicht die stark erhöhte Nachfrage des letzten Jahres. Das geschieht durch die ausbalancierte "Waage" von neu gefördertem Gold und eingeschmolzenem Altgold, das dann wieder in Münzen geprägt, in Barren gegossen oder in anderen gewünschten Formen zur Verfügung steht.
Der Preis von Gold folgt den Gesetzen von Angebot und Nachfrage. Beeinflusst von der Verfügbarkeit der möglichen Mengen aus der laufenden Goldförderung. Diese limitierte und nicht unbeschränkte Verfügbarkeit trägt dazu bei, dass Gold die Etikette als "sicherer Hafen" und damit als relativ stabiler Wertspeicher aller Voraussicht nach auch in Zukunft behalten wird – nicht nur, ganz besonders jedoch in Zeiten von Unsicherheit und von Krisen.
Um eine Serie über Gold zu produzieren, haben wir uns mit einem Experten zusammengesetzt, der alles über Edelmetalle weiss, insbesondere über Gold.
Christian Brenner ist ein ausgewiesener Profi und Goldhändler aus Leidenschaft. Er weiss um die Wege des Goldes – von der Förderung aus den Tiefen der Erde bis zum Barren im Tresor. Als Präsident des Verwaltungsrates der Philoro Schweiz kennt er die Märkte – und vor allem auch Historisches und Gegenwärtiges ausserhalb der Märkte.
Christian Brenner hat unsere Redaktion aktiv dabei unterstützt, die relevanten Aspekte rund um Gold aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und auszuleuchten.
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