Seit ein paar Jahren nutzen besonders Startups und Tech-Unternehmen ICOs zur Unternehmensfinanzierung.
Dabei verkauft ein kapitalsuchendes Unternehmen eigenkreierte Coins oder Token gegen Krypto- oder normale Währungen und erhält damit das notwendige Geld für Investitionen.
Viele der ICOs haben recht kleine Volumina, der Markt hat jedoch auch schon extrem grosse gesehen.
Im laufenden Jahr setzt sich der Boom unverändert fort. Jedoch mehren sich Stimmen, die vor ICOs warnen, da sie nicht standardisiert und reguliert sind und eigentlich keinen Wert darstellen, da Token keinen Anteil am Unternehmen verbriefen, sondern meist nur einen Nutzen (Utility) oder Gewinnbeteiligung.
Aus diesen Gründen ist es klar, dass nach einer Erhebung weltweit maximal 0,1% aller Investoren in ICOs investieren. Und die, die es tun, sind grösstenteils Tech-Nerds oder Spekulanten. Die richtigen professionellen Anleger wie Venture Capital, Fondsgesellschaften, Private Equity oder Family Offices meiden ICOs.
Was muss passieren, damit ICOs endlich zu einer eigenen Assetklasse werden, die weltweit breit akzeptiert ist?
Ich bin mit IR Consult seit über einem Jahr aktiv im europäischen ICO-Markt unterwegs, habe zahlreiche Fachmeetings besucht, mit vielen privaten wie professionellen Anlegern gesprochen und ich habe die langjährige Erfahrung unseres Unternehmens aus den Aktienmärkten genutzt, um hierauf Antworten zu finden. Wir haben acht Gründe erkannt, die sich in erster Linie auf Mitteleuropa beziehen, grösstenteils aber auch für die globalen ICO-Märkte gelten.
1. Negative Presse
Besonders in Deutschland und Österreich sind fast alle Presseberichte über ICOs – wenn es überhaupt welche gibt – negativ. Es werden fast nur Betrugs-ICOs oder nicht erfolgreiche ICOs kommentiert, doch sehr selten erfolgreiche. Nach der Warnung der BaFin im November 2017 hat sich dies eher noch verstärkt.
Ja, es gibt leider betrügerische ICOs und es gibt auch nicht erfolgreiche ICOs. Aber in ein Startup zu investieren, ist Venture Capital mit einer sehr hohen Ausfallrate. Und deshalb alle schlecht zu reden, ist unserer Meinung nach falsch. ICOs unterstützen Unternehmensgründungen – wie auch von den Regierungen gewünscht. Das wird ja auch dadurch unterstrichen, dass die BaFin kein Verbot ausgesprochen hat. Andere Länder, wie die Schweiz, Liechtenstein, Malta und Gibraltar sehen hierin Chancen und unterstützen ICOs mit klaren Regulierungen und Gesetzen; Deutschland hinkt hier nach.
ICOs bauen auf der Blockchain-Technologie auf. Diese wird jedoch von der Presse fälschlicherweise oft mit Bitcoin, Ether und anderen Kryptowährungen gleichgestellt und deren Volatilität und fehlende Werthaltigkeit als extrem schlecht kommentiert.
Ein ICO-Kandidat veröffentlicht ein Whitepaper, in dem das operative Geschäft sowie die Tokenstruktur beschrieben werden. Dieses kann von jedem gelesen und sollte auch kritisch hinterfragt werden. Ist man nicht überzeugt, sollen Investoren auch nicht in diesen Token investieren.
Empfehlung an die Presse
Bitte informiert euch besser und seht auch die positiven Seiten von ICOs.
2. Zu grosse Vielfalt bei der Token-Ökonomie
Es gibt bei der Definition der Rechte der Token keine Standardisierung. Jedes ICO-Unternehmen definiert seinen Token anders. Selbst Utility- oder Security-Token sind untereinander nicht vergleichbar. Das bedeutet, dass ein möglicher Investor das Whitepaper des ICO-Kandidaten wegen der Ausgestaltung der Token sehr genau lesen und verstehen muss. Oft gibt es dann auch noch Rückfragen, die geklärt werden müssen.
Dies macht es den Investoren noch schwerer, was ihre Entscheidungsfreude und –schnelligkeit deutlich bremst.
Empfehlung an ICO-Kandidaten
Bitte schreibt sehr ausführliche Whitepaper und strebt nach einer Standardisierung der Token-Ökonomie.
3. Keine ICO-Anlageberater, wenig unabhängige Informationen
Bei den klassischen Anlagen – wie Aktien, Anleihen etc. – gibt es eine etablierte Infrastruktur von Anlageberatern, Banken, Börsen und Finanzpresse. Alle Vorgänge sind eingespielt und ergänzen sich; deshalb ist eine Wertpapieranlage für den Investor einfach und günstig – egal ob Privatanleger oder institutioneller Investor. Zwar haben auch hier zusätzliche Regulierungen (MIFID und andere) Verschlechterungen gebracht, so dass sich viele Banken und Vermögensverwalter ganz aus der Anlageberatung zurückgezogen haben, aber trotzdem sind die Börsen auch weiterhin aktive und transparente Märkte für Kapitalanlagen.
Kapitalmärkte leben von Informationen. In erster Linie ist natürlich zuerst der Emittent selbst mit seinen Unternehmensberichten gefordert. Des Weiteren gibt es aber eine Menge an zusätzlichen und unabhängigen Informationsquellen, wie Research, Ratings und andere. Diese stehen heute allen Anlegern zur Verfügung und halten die Börsen in Bewegung.
All dies gibt es bei ICOs (noch) nicht.
Während Research und Ratings langsam im Aufbau sind, werden die Gesetze und Regulierungen unseres Erachtens nicht oder nicht so schnell pro ICO geändert werden. Also wird wohl noch länger keine Anlageberatung für ICOs erlaubt sein. Der Investor muss sich ergo selbst informieren.
Empfehlung an Regulierer
Bitte bevormundet die Investoren nicht so, sonst treibt ihr sie nur in die globalen Investmentnetze.
4. ICO-Handling ist nicht massenmarkttauglich
Egal ob Kryptowährungen oder Unternehmens-Token, der Kauf und Verkauf sowie die ganze Abwicklung ist nicht einfach und so nicht tauglich für eine breitere Ausweitung von ICOs. Alles ist nur digital möglich, wie die Walleteröffnung, Bezahlung, Settlement sowie Übertragungen. Auch der Handel an ICO-Börsen ist nicht standardisiert und damit schwierig für Investoren. Zusätzlich bestehen erhebliche Risiken durch Hacker, Scamseiten und der allgemeinen Internetsicherheit.
Ausserdem gibt es jetzt schon viel zu viele Kryptobörsen weltweit, von denen man nicht weiss, wie sicher sie sind und wie lange es sie noch geben wird. Was passiert dann mit diesen Depots?
Andere, zunehmend in den Fokus kommende Aspekte, sind KYC (Know Your Customer) und AML (Anti Money Laundering), die besonders von zahlreichen Finanzaufsichten der Welt gefordert werden. Damit sollen Kunden und deren Geldquellen transparenter werden, damit keine Drogen- oder Kriegsgelder für ICOs eingesetzt und gewaschen werden können.
Dass das Problem erkannt ist und gelöst wird, zeigen die Vorhaben einiger europäischer Börsen, regulierte ICO-Exchanges zu eröffnen. Das wird zwar noch bis zum Jahr 2019 dauern, aber sie sind schon auf dem Weg.
Empfehlung an Börsen
Bitte schafft schneller eine regulierte Standardisierung der Abwicklung von ICOs.
5. Token sind keine Unternehmensanteile
Unternehmensanleihen sind ganz klar Fremdkapital und Aktien ganz eindeutig Eigenkapital. Damit erhält der Besitzer ein Stimmrecht auf der jährlichen Hauptversammlung und einen Dividendenanspruch als Gewinnbeteiligung.
Token jedoch sind weder Fremd- noch Eigenkapital, obwohl die Besitzer auch – je nach Tokendefinition – Zinsen oder eine Gewinnbeteiligung erhalten können. Trotzdem sind sie kein Anteil am Unternehmen und besitzen keinerlei Stimmrechte. Dies ist besonders bei einem Verkauf des Unternehmens wichtig, da der Käufer oft ein Übernahmeangebot an die freien Aktionäre machen muss. Ein Tokenbesitzer hat hier aber keinen Anspruch. Er geht also leer aus.
Gerade für institutionelle Anleger – wie VC, PE oder Fonds – ist dies eine entscheidende Hürde, da sie im Extremfall keinerlei Stimmrechte haben.
Empfehlung an ICO-Kandidaten
Bitte nutzt Token zur Wachstumsfinanzierung, aber macht euch auch Gedanken, was ihr mittelfristig mit den Token macht. Rückkauf oder ein Tausch in Aktien wären gute Lösungen.
6. Wert eines Token
Während der Kurs einer Unternehmensanleihe vom Zinssatz, der Laufzeit und der Bonität abhängt, und sich der Preis einer Aktie von verschiedenen Kennzahlen, wie Gewinn je Aktie, Kurs-Gewinn-Verhältnis, Dividendenrendite etc. ableitet, ist der Wert eines Token eigentlich nicht zu bestimmen. Die klassischen Unternehmensbewertungsmethoden können hier nicht angewendet werden.
Aber sind Token deshalb wertlos?
Die Antwort ist ein klares Jein: Ja gemäss den obigen Ausführungen und Nein, da es ja einen Kurs an einer ICO-Börse gibt, zu dem Token gekauft und verkauft werden können. Dieser sollte eigentlich die Wertsteigerung widerspiegeln, die sich dank der Investition des ICO-Geldes beim Unternehmen ergeben. Gibt es Zinsen oder eine Gewinnbeteiligung, lassen sich sogar einige der obigen Kennzahlen errechnen und vergleichen. Letztendlich bilden aber Angebot und Nachfrage den Tokenpreis an einer Börse, das heisst es kann auch temporär Verzerrungen geben.
Empfehlung an ICO-Unternehmen
Bitte sorgt für eine zügige Notiz eurer Token an einer relevanten und regulierten ICO-Exchange und lebt Investor Relations, das heisst im Klartext: Informiert eure Tokenbesitzer regelmässig über den Geschäftsverlauf, immerhin haben sie euch im Vertrauen Geld überlassen.
7. Regulierung und Gesetze
War die Ausgabe von Token lange Zeit völlig unreguliert, so haben die Aufsichtsbehörden vieler Länder seit diesem Jahr leichte Regulierungen eingeführt. Und das ist auch gut so: Nun ist ganz klar geregelt, dass, sobald ein Tokenbesitzer Zinsen oder eine Gewinnbeteiligung erhält, der Coin eindeutig ein Wertpapier (Security oder Equity)-Token ist. Das heisst, bei der Emission muss der ICO-Kandidat einen Wertpapierprospekt erstellen und genehmigen lassen. Das ist zwar etwas aufwendiger und teurer, erlaubt damit aber auch die Möglichkeit eines öffentlichen Angebots der Token, das bedeutet, sie dürfen offiziell vermarktet werden dank des EU-Passportings dann sogar in der ganzen EU.
Was aber immer noch fehlt, sind eindeutige Gesetze zu ICOs und auch feste steuerliche Regelungen. Einige Länder sind zwar auf dem Weg dazu, aber dies wird sicherlich noch bis zum Jahr 2019 dauern. Bis dahin lebt man noch vom Goodwill der Behörden, die aber – politisch gesehen – Startup-Finanzierungen unterstützen sollen.
Aus diesen Gründen gibt es auch noch keine regulierten ICO-Börsen. Weltweit gibt es zwar viele Exchanges – und wöchentlich kommen neue dazu – aber diese haben alle ihre eigenen Regeln und Abwicklungen. Dies ist eindeutig kontraproduktiv, da ein Investor sich überall neu anmelden muss mit allen Erschwernissen, wie KYC und mehr.
Und damit kommen wir zum zweiten und wichtigsten Teil der Wertpapieraufsichten: ICO-Kandidaten und auch -Börsen müssen von ihren Investoren viele Daten einfordern (KYC), um ein eindeutiges Profil zu erstellen und zu gewährleisten, dass die investierten Gelder nicht aus kriminellen Aktivitäten stammen. Und dies muss laufend aktualisiert werden, um Geldwäschen (AML) unmöglich zu machen. Diese Überprüfungen sind nicht einfach und deshalb leider auch nicht billig für die Marktteilnehmer. Gleichzeitig machen sie ICOs für Startups so teuer, dass sie eventuell kein ICO mehr machen können, da die Kosten noch vor dem Geldeingang entstehen.
Empfehlung an Gesetzgeber
Bitte beeilt euch, klare Regeln bei Steuern, Gesetzen und Regulierungen zu setzen, die den ICO-Markt professionalisieren und damit unterstützen.
8. Zu wenig professionelle Investoren
Es gibt leider noch sehr wenige institutionelle Investoren für ICOs in Europa. Teilweise dürfen Fonds auch gar nicht in ICOs investieren, da es keine Gesetze, Überwachungen und offizielle Tokenpreise gibt, teilweise wollen sie es auch nicht, wie VC, PE oder Family Offices, da deren Geschäftsmodell ja einen Anteilskauf vorsieht.
Jedoch sind die ersten Spezialfonds in Vorbereitung, die ausschliesslich in Krypto-Assets investieren wollen und dürfen. Auch sind VCs am überlegen, sich doch an ICO-Kandidaten zu beteiligen, da sie sehen, dass ICOs zusätzliche Finanzierungsrunden ermöglichen, ohne eine Verwässerung ihrer Anteile zu bringen.
Empfehlung an Investoren
Bitte seht die Chancen von ICOs und unterstützt sie so schnell wie möglich. Es werden sicherlich auch High Flyer dabei sein, wovon ihr dann auch profitiert.
Was noch geschehen muss und was geschehen kann
Im noch relativ jungen Markt der ICOs gibt es leider noch eine Menge an Verbesserungs- und Regulierungsbedarf, Lösungen sind aber von einigen Ländern schon eingeleitet worden. Jedoch müssen auch die Player der ICO-Märkte (Unternehmen, Börsen, Berater) noch einiges tun, um ICOs zu standardisieren und deren Durchführung zu erleichtern. Nur einfache Produkte sind für einen Massenmarkt geeignet.
Verlierer werden unseres Erachtens die Investmentbanken und klassischen Wertpapierbörsen sein, da ICOs eine weltweite Ansprache von Investoren erlauben, digitale Börsen den globalen Zugriff auf Token ermöglichen und die Blockchain eine effiziente und sichere Verwaltung der Smart Contracts erlaubt.
Gewinner sind Unternehmen mit neuen Ideen und Produkten, die über ICOs finanziert werden und damit auch schon Bekanntheitsgrad, Unterstützer und Nutzer aufbauen – und das weltweit.
Fazit
ICO sind auf dem Weg, eine akzeptierte Anlageklasse zu werden. Nicht in diesem Jahr, aber vielleicht schon 2019. Die ICO-Erfolgswelle setzt sich fort und wird sicherlich auch zunehmend von etablierten Unternehmen aus allen Branchen zur Wachstumsfinanzierung genutzt werden.