Kommentar

Der Einkaufstourismus wird weiterhin blühen – und was das mit Lobbys und dem Gesundheitswesen zu tun hat

Eine Frau füllt im Supermarkt ihren Einkaufswagen

Die Hochpreisinsel Schweiz mag in Bundesbern niemand thematisieren – dafür will der Bund dem Einkaufstourismus mit einem lauen Lüftchen begegnen.

Detailhandels-Verbände und einige Grenzkantone haben gehofft, der Einkaufstourismus über die Grenze würde mit rauem Gegenwind in die Schranken gewiesen. Nach ihrem Wunsch sollte die Wertfreigrenze von 300 auf 50 Franken pro Person runtergesetzt werden. 

Herausgekommen ist nicht die steife Brise, die den rollenden Einkaufswagen stoppt, vom Bund war nur ein laues Lüftchen zu haben. Die Wertfreigrenze wird halbiert, ab 2025 dürfen Schweizerinnen und Schweizer nur noch für 150 Franken pro Person steuerfrei im grenznahen Ausland einkaufen.

Dieser halbherzige Kompromiss hat keinerlei Kraft, es ist nur der Versuch, es allen irgendwie recht zu machen. Die Massnahme wird nichts bewirken. Gar nichts. Ein Paar, das seinen Grosseinkauf gerne im nahen Ausland macht, kann immer noch für 300 Franken den Einkaufswagen bis zum Überquellen füllen.

Was macht den Einkaufstourismus so attraktiv?

Die Motive, warum Schweizerinnen und Schweizer zu Einkaufstouristen werden, sind unterschiedlich. Bevölkerungsgruppen, die sehr stark auf ihr Haushaltsbudget achten müssen, bekommen im nahen Ausland deutlich mehr für ihr Geld und der Kühlschrank bleibt länger voll.

Viele schätzen das Einkaufserlebnis im Ausland und verbinden den Einkauf mit einem Ausflug. Andere kaufen in Deutschland, Frankreich oder in Italien Produkte, die nicht nur viel billiger, sondern in der Schweiz schlicht nicht erhältlich sind. 

Diese unterschiedlichen Motive bleiben bestehen und sind durch eine Halbierung der Wertfreigrenze kaum zu beeinflussen.

Moralkeulen und patriotische Appelle helfen auch nicht

Jedes Jahr werden durch den Einkaufstourismus mehr als 8.5 Milliarden Franken im Ausland ausgegeben (Quelle: Swiss Retail Federation). Es ist verständlich, dass die Schweizer Detailhändler auch diese Quote gerne in der Schweiz behalten würden. 

Die Forderung, dass Schweizerinnen und Schweizer, die gutes Geld im eigenen Land verdienen, dieses Geld gefälligst im einheimischen Detailhandel auszugeben haben, greift nicht. Das zeigt die Vergangenheit, und das wird sich aus oben beschriebenen Gründen auch in Zukunft kaum ändern. Die Einkäufe im Ausland haben in den letzten Jahren stark zugenommen.

Wo liegen denn mögliche Lösungsansätze?

Wenn Gängelung von Konsumenten, Einschränkungen, Appelle und Gejammer der Detailhandels-Verbände nicht helfen, wo liegen denn mögliche Lösungsansätze?

Im Kern nur in zwei Bereichen. Zum einen liegt ein Hebel beim Detailhandel selbst. Konsumentinnen und Konsumenten sind durch erstklassige Sortimente, Produkte und Services zu überzeugen. Ein kreatives Pricing hilft mit. Wo Preise nicht reduziert werden können, muss eben eine andere Qualität Preisunterschiede ausgleichen.

Zum anderen wird im Parlament nie wirklich ernsthaft thematisiert, wie die Hochpreisinsel Schweiz zumindest in Teilen und bei bestimmen Produktgruppen auf ein vernünftiges Niveau gebracht werden könnte. Dieses Thema greift niemand an, weil es anstrengend ist, Kreativität erfordert und auch, weil sich Politikerinnen und Politiker sehr ungern mit Lobbys anlegen. 

Hält diese Zurückhaltung weiterhin an, bleibt die Schweiz in jedem Bereich eine Hochpreisinsel. Und der Einkaufstourismus wird weiterhin blühen und sich positiv für das Ausland entwickeln. Daran werden kosmetische Anpassungen und halbherzige Kompromisse bei Wertfreigrenzen nicht das Geringste ändern.

Für das Parlament gilt: Zurück auf Feld 1, Ursachen und Wirkung gegeneinander abwägen und aktiv werden. Mit ernstgemeinten Massnahmen, die Chancen auf tatsächliche Veränderung haben.

Die Parallelen zum Gesundheitswesen

Apropos Lobbys, kürzlich habe ich einen Schweizer Nationalrat sinngemäss sagen hören: Reformen und Kostensenkungen im Gesundheitswesen sind ganz schwierig, man kommt gegen die Übermacht der Lobbys nicht an. Gemeint waren Interessenverteter von Ärzteschaft, Spitälern, Pharmaindustrie, Krankenkassen, Patientenvereinigungen und anderen involvierte Sektoren, die alle ihre Pfründe verteidigen. 

Wird folglich die Schweiz von Lobbys regiert – und nicht wie vermutet von Bundesrat und Parlament? Möglicherweise schon. Anders ist es nicht zu erklären, warum seit Jahren die Krankenkassenprämien mit verlässlicher Regelmässigkeit in die Höhe schiessen.

Die Parallele zum Einkaufstourismus liegt darin, dass auch im Gesundheitswesen niemand ernsthaft die Kosten senken will. Das ist anstrengend und auf Widerspruch zu all den Lobbys zu gehen, scheint als zu mühsam empfunden zu werden. 

Diese Kapitulation führt auch hier zu halbherzigen Minimal-Massnahmen und Pflästerlilösungen, die nichts bewirken. Absolut nichts. 

Schade. Parlamente bestehen aus Menschen, die gewählt worden sind, um anstehende Probleme nicht nur zu verwalten, sondern zu lösen. Es wird allerdings weiterhin keine Lösungen geben, wenn die Furcht vor der Macht der Lobbys grösser ist als die Bereitschaft, seit Jahren vor sich hergeschobene Probleme endlich anzupacken.