Die beiden Startups sind überzeugt, dass ihr ehrgeiziger Plan gelingt – sie testen ihr gemeinsames Projekt Nachtpaket seit einigen Tagen (genaugenommen: Nächten) in Zürich. Verläuft die Pilotphase erfolgeich, soll der Nacht-Lieferdienst in zehn weiteren Schweizer Städten Kunden erfreuen und die Post das Fürchten lehren.
Der Service Nachtpaket
Die Startups Annanow und Pickwings kombinieren ihre Kernkompetenzen, nutzen bestehende Ressourcen und verkürzen die Lieferzeiten. Die neue Dienstleistung soll dem Handel mehr Zeit für die Annahme von Bestellungen einräumen, konkret bis 22 Uhr. Das sind fünf Stunden mehr im Vergleich zum aktuelle Modus, den die meisten Händler fahren: Bis 17 Uhr bestellt, am nächsten Tag geliefert.
Nach 22 Uhr werden die Pakete eingesammelt, bei den verschiedenen Händlern von Pickwings abgeholt und in innerstädtische HUBs gebracht. Dazu nutzt Pickwings freie Ressourcen von Kleinlastwagen über das Liefernetzwerk des bestehenden digitalen Transport-Portals.
In den HUBs werden die Pakete sortiert und für die Feinverteilung in der Stadt bereitgestellt. Ab diesem Punkt übernimmt Annanow und liefert die Pakete über die bestehenden Ressourcen des cloudbasierten Kuriernetzwerks bis spätestens 7 Uhr am nächsten Morgen bei den Endkunden aus.
Das Next-Day-Angebot der Schweizer Post im City-Bereich kommentiert Pickwings-Gründer und CEO Marc Bolliger mit folgendem Statement:
Mit "Nachtpaket" schliessen wir eine Lücke in der Schweizer Transportlogistik und geben Schweizer Händlern eine ernst zu nehmende und vor allem ökologischere Alternative zum Angebot der Post – wir sind schneller, flexibler und effizienter
Was es bringt
Gründer von Annanow, Daniel Gradenegger, ist der Meinung, dass die Marktdominanz grosser Player Kooperation und neue Konzepte verhindert. Er reklamiert die Verschwendung von Ressourcen und die Überlastung von Strassen am Morgen, weil alle Auslieferer zur gleichen Zeit innerhalb der Stosszeiten unterwegs sind. Gradenegger meint:
Der Strassenverkehr wird durch den boomenden Online-Handel sogar noch zunehmen – mit "Nachtpaket" wollen wir gegen diese Verschwendung von Ressourcen ankämpfen, das Strassennetz am Tag entlasten und schnellere Lieferungen garantieren
Gradenegger und Bolliger sind überzeugt, dass der neue Service "Nachtpaket" in mehrfacher Hinsicht neuen Nutzen schaffen wird.
Einerseits, so die Gründer, soll "Nachtpaket" doppelt so schnell wie Post funktionieren und dazu noch kostengünstiger angeboten werden können. Händler sollen von verlängerten Bestellannahmezeiten proftieren, Kunden von verkürzten Lieferzeiten. Zudem glauben die Macher, dass sich durch die Nutzung bestehender Ressourcen Leerfahrten von Lastwagen reduzieren lassen und dass durch die "Nachtarbeit" der Verkehr und das Strassennetz am Tag entlastet wird.
Wie es weitergehen soll
Die beiden Startup-Unternehmer wollen nach der Pilotphase ihr Konzept schrittweise in allen grossen Städten in der Deutschschweiz einführen. Marc Bolliger stellt zum Thema der schlecht genutzten Ressourcen eine weitere Idee zur Diskussion, welche die Gründer verfolgen. So sollen zum Beispiel bestehende Infrastrukturen in den verschiedenen Städten als Umschlagsplattformen für Pakete genutzt werden. Bolliger erklärt:
Indem wir beispielsweise ungenutzte Parkhäuser in den frühen Morgenstunden zu HUBs umfunktionieren, möchten wir zur Stadtentwicklung beitragen – die Ressourcen sind alle vorhanden, sie werden nur noch nicht richtig genutzt
Der bestechende Charme einer grossgedachten Idee
Die Idee von "Nachtpaket" ist innovativ und interessant. Vor allem deshalb, weil die Initiatoren mit ihrem Projekt durch die intelligente Verbindung bestehender Netzwerke und die optimierte Nutzung vorhandener und teilweise brachliegender Ressourcen mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen wollen: Entlastung des Tagesverkehrs, Reduktion von Leerfahrten und Doppelspurigkeiten, Service für Händler und Endkunden, Verkürzung von Lieferzeiten und dazu noch tiefere Kosten.
Was nach einem gewaltigen "Hosenlupf" klingt, ist auch einer – ein logistischer. Und ein hoher Anspruch dazu, die verschiedenen genannten Benefits und Vorteile alle unter einen City-Hut zu bekommen, der alle zufrieden macht.
Auf der anderen Seite: die Startup-Gründer und Unternehmer wären keine, würden sie ihre Idee nicht durchziehen und im Markt testen. Die Chancen auf Erfolg stehen nicht schlecht. Annanow-Gründer Daniel Gradenegger hat mit seinem Liefernetzwerk, das die letzte Meile bedient, sehr viel Erfahrung, er kennt die Hürden und Fallstricke. Pickwings-Gründer Marc Bolliger ebenfalls, er bringt auf seiner digitalen Plattform erfolgreich leerfahrende Lastwagen mit Kunden zusammen, die Fracht und Pakete befördern möchten. Beide sind Profis mit stark genutzten Online-Plattformen und digitalen Services, die sie jetzt kombinieren, um eine neue Dienstleistung zu lancieren.