Krypto-Welt

Die FTX-Pleite scheint eine Fluchtbewegung zu europäischen Kryptobörsen auszulösen

Leuchtschild mit Hinweis zum Notausgang
Bild: Thamrongrat Tanomtham | Getty Images

Wer das FTX-Debakel möglich gemacht hat und deshalb mitverantwortet – und wer in diesen Tagen vom Zusammenbruch der Kryptobörse profitiert.

Die Pleite der Kryptobörse FTX und die dissonanten Nebengeräusche im Vorfeld von FTX-Boss Sam Bankman-Fried und Binance-Chef Changpeng Zhao haben der gesamten Kryptobranche extrem geschadet. Das Vertrauen breiter Anleger-Kreise ist erstmal im Keller, der Crash einer Börse in der Grösse von FTX reisst die ganze Branche mit in den Abgrund.

Damit sind Bitcoin, Ether, Kryptowährungen generell und DeFi nicht vom Tisch, es wird jedoch länger dauern, bis sich die Schockwellen gelegt haben. An den aktuellen Krypto-Winter hat man sich inzwischen gewöhnt, der könnte sich jedoch mit der nun angerichteten Verlängerung ein bis zwei zusätzliche Jahre hinziehen.

Hat die Idee der dezentralen Finanzwelt Schiffbruch erlitten?

Überhaupt nicht, die Möglichkeiten von Blockchain, Kryptowährungen und DeFi bleiben intakt, weil sie enorme Chancen bieten. Haben in der Vergangenheit Anlegerinnen und Anleger im Kryptobereich Geld verloren, ist das nicht durch dezentrale Mechanismen verursacht worden, sondern in erster Linie durch Menschen und Unternehmen, die höchst zentral funktionieren. Das gilt auch dann, wenn sie sich dezentraler Errungenschaften wie Blockchain, Kryptowährungen oder DeFi bedienen. Das Unternehmen selbst ist zentral – und genau dort liegt die Schwachstelle.

Die Kurzformel für das Versagen einer Branche

Explodiert innerhalb von wenigen Tagen eine der weltweit grössten Krypto-Börsen in den Milliarden-Dimensionen von FTX, ist einiges schiefgelaufen. Im Wesentlichen folgendes:

Blenden und sich blenden lassen
Showtalent und FTX-Boss Sam Bankman-Fried hat in drei kurzen Boom-Jahren ein Millarden-Konstrukt aufgebaut, das offenbar auf wackligem Boden stand. Des Gründers Herkunft, sein gesellschaftliches Standing, Smartness und riesiger Erfolg fast über Nacht haben dazu geführt, dass sich Polit-, Wirtschafts- und Showgrössen gerne mit ihm gezeigt haben. Das bringt Image und schafft Vertrauen. Ist die aufgebaute Kulisse wirklich gut, scheint niemand mehr hinter diese Kulisse schauen zu wollen, nichts und niemand wird hinterfragt.

Die Welt hat FTX-Boss Sam Bankman-Fried den komentenhaften Aufstieg mit Bauchlandung ohne Ansage sehr leicht gemacht,

Die Branche hat versagt
Wie die Geschichte der FTX-Pleite zeigt, bietet die Branche Raum für Übertreibungen. Dieser Raum ist immer noch vorhanden, weitere Pleiten bleiben möglich. Die Krypto-Welt ist eine junge Branche – und dennoch alt genug, um für sich selbst verantwortlich zu sein. Die Branche selbst ist am besten in der Lage, faule Geschätszweige und Unternehmen zu identifizieren.

Funktionieren keinerlei Monitoring und keine Art von Selbstkontrolle, wird die Branche eben weiterhin mit in die Tiefe gerissen, wenn eines ihrer faulen Kinder umkippt.

Das gilt unbesehen für die ganze Branche. Und noch deutlich verschärft für jene Unternehmen, die mit der kollabierten Börse in Verbindung oder in Abhängigkeiten stehen. Im konkreten Fall: wer als Krypto-Unternehmen von FTX finanziert worden ist oder wer Assets bei FTX hinterlegt hat, kann in zusätzliche Schwierigkeiten geraten.

Die Regulatoren haben versagt
Regulierung ist gerade für die Kryptobranche mit all ihren Zweigen wie DeFi und mehr zentral wichtig. Hier genaugenommen dezentral wichtig. Ohne Sicherheit, Vertrauen und vernünftig definierte Leitplanken werden weder institutionelle Investoren noch Kleinanleger auf Dauer mit an Bord bleiben. Beides ist jedoch die Grundlage für Grösse, Stärke und Stabilität – ohne, werden die Protagonisten der Branche mit einem Bruchteil der möglichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter sich bleiben.

Die Sicht auf die heute bekannte Struktur und Absicherungspraxis von FTX zeigt, man hat sich fürs Wegschauen entschieden. Eine regulierte Börse hätte sich die verschiedenen FTX- und Alameda-Finanz-Schachzüge niemals leisten können.

Die Investoren haben versagt
Wenn Investoren wie zum Beispiel Blackrock, Sequoia, Softbank, Coinbase und weitere insgesamt 1.8 Milliarden US-Dollar in FTX investieren und den glanzvollen Aufsteiger zuletzt mit 32 Milliarden Dollar bewerten, ist auch auf dieser Seite einiges schiefgelaufen. So, wie sich die Zahlen und Praktiken von FTX präsentieren, hätte eine halbwegs seriöse Due-Dilligence-Prüfung die Risiken zeigen müssen. Offenbar hat auch hier das Prinzip von Blenden und sich blenden lassen funktioniert und professionelle Investoren sehr grosszügig und unvorsichtig werden lassen. 

Kleinanleger sollten einfache Regeln beherzigen
Im Minimum sollten Kleinanleger darauf achten, dass sie ihre Tokens und Coins nicht bei Krypto-Börsen selbst, sondern in eigenen Wallets ausserhalb der Börsen halten. Praktisch jede Börse, die bisher in die Luft geflogen ist, hat eher früh und noch vor dem Kollaps Auszahlungen verzögert oder ganz blockiert. In dieser Phase sitzen Anlegerinnen und Anleger auf ihren schnell schwindenden Vermögenswerten, an die sie nicht mehr herankommen.

Hat der FTX-Crash auch positive Seiten?

Der FTX-Crash bremst auch die Kryptobranche in der Schweiz aus, allerdings nicht auf Dauer. Pläne und Vorhaben etablierter Player mögen in der ersten Schockwelle auf Eis gelegt werden, aufgegeben werden sie eher nicht. 

Blasen institutionelle Anleger im Moment zum Rückzug, schafft das auf der anderen Seite FinTechs, Banken und anderen klassischen Playern den Raum, um ihre Strategien in die Tat umzusetzen. Die Kryptobranche funktioniert in Teilen dezentral, was enorme Chancen eröffnet, steht jedoch allen Mitspielern offen. Auch jenen, die bisher zentral operieren.

Möglicherweis bekommt es der Krypto- und der DeFi-Welt sogar ausnehmend gut, wenn verstärkt auch etablierte Player dieses Terrain betreten. Diese Player mögen noch über wenig Erfahrung verfügen, sie sind es sich jedoch gewohnt, sich an Regeln und Regulatorien zu halten. Hier bestehen in der neuen Finanzwelt noch Defizite. Nicht unbedingt in der Schweiz, die Krypto-Unternehmen hierzulande sind deutlich stärker reguliert als zahlreiche Unternehmen in Übersee. Das macht für Schweizer Krypto-FinTechs jedoch keinen Unterschied – knallt's irgendwo auf der Welt, geraten mit der ersten Schockwelle Unternehmen in allen Ländern in den Abwärtssog. Auch seriöse, die ohne lusche Geschäftspraktiken und ohne faule Bilanzen operieren.

Europäische Kryptobörsen profitieren

Wie man aus verschiedenen Richtungen hört, verzeichnen europäische Kryptobörsen in diesen Tagen einen markanten Zustrom an neuen Kundinnen und Kunden. Anlegerinnen und Anleger scheinen nach dem FTX- Debakel das Vertrauen in nicht oder schwach regulierte Börsen zu verlieren. Offenbar packen sie in beträchtlicher Zahl ihre Krypto-Assets, nehmen den Notausgang und bringen sie zu europäischen Anbietern.

Die Krypto-Vertrauenskrise hat zum Beispiel beim österreichischen Neo-Broker Bitpanda dazu geführt, dass in den letzten Tagen ein markanter Anstieg im Kundenstamm zu verzeichnen ist. Gelder und Kryptowährungen werden verstärkt auf die Bitpanda-Plattform verschoben. Das regulierte Unternehmen arbeitet transparent und lässt sich von einer Treuhandgesellschaft prüfen. Zudem, und das dürfte Anlegerinnen und Anleger beruhigen, Vermögenswerte von Kunden werden in Offline-Wallets verwahrt und bleiben rechtlich jederzeit im Besitz der Anleger.

Eine ähnliche Entwicklung meldet die regulierte Schweizer Bitcoin-App Relai, die aktuell vom FTX-Zusammenbruch profitiert. Nach eigenen Angaben verzeichnete das Unternehmen in der Woche des FTX-Crashs Rekordzahlen. Der Website-Traffic erhöhte sich in den letzten 7 Tagen um 132 Prozent, die Besuche im App-Store legten um 135 Prozent zu, App-Downloads um 100 Prozent und das Handelsvolumen hat sich in der ersten Hälfte des laufenden Monats verdoppelt im Vergleich zur Vormonats-Periode. Das Unternehmen verkauft aktuell mehr Bitcoin als je zuvor, offenbar wird Bitcoin zur Fluchtwährung, wenn andere Kryptos und Börsen explodieren. 

Julian Liniger, CEO und Mitgründer von Relai, ist überzeugt davon, dass Bitcoin sich von anderen Kryptos unterscheidet. Deshalb würden Anlegerinnen und Anleger ihren Fokus nicht auf kurzfristige Spekulation legen, sondern mit einem langfristigen Horizont in Bitcoin investieren. Auch und gerade dann, so Liniger, wenn auch Bitcoin im Zuge einer Kryptokrise einen Taucher macht. Der Rücksetzer von Bitcoin wird offenbar nicht als Zusammenbruch verstanden, sondern als Möglichkeit, den Dip zu kaufen.

Auch Relai verwahrt die Bitcoin-Bestände der Kundinnen und Kunden nicht selbst, was die Risiken minimiert, Nutzer behalten die Kontrolle über ihre Coins. Ein Aspekt, der wichtiger werden dürfte und offenbar auch die aktuellen Fluchtbewegungen begünstigt.