Blockchain & Kryptowährungen

Blockchain statt FCB und Morgestraich – ist jetzt auch "Tout Bâle" im Cryptofieber?

Bild: Dr. Fabian Schär eröffnet das Blockchain Symposium an der Universität Basel

Werden Gegenwart und Zukunft der Blockchain ungewohnterweise in Basel diskutiert, setzen wir uns dazu. Weshalb sich das gelohnt hat, weiss unser Redaktor Patrick Comboeuf.

Die Universität Basel lud am Montag zum Blockchain Symposium – und alle kamen. Die Elite aus der Crypto-Community ebenso wie die Nordwestschweizer Wirtschaftsprominenz und ganz viele (höhersemestrige) Bachelorstudenten, für welche die Veranstaltung wohl als Pflichtstoff gesetzt war.

Die disruptive Wirkung von Blockchain in der praktischen Anwendung

Das ambitionierte Tagungsmotto offenbart einen gewissen Spagat, dem sich die Universität zu unterwerfen traute. Das unter dem Begriff "Innovator’s Dilemma" bekannte Phänomen, nachdem gerade erfolgreiche und etablierte Unternehmen sich die Chancen disruptiver Technologien oft aufgrund ihrer Position der Marktführerschaft verbauen. Die Organisatoren rund um den souverän durch die fast vierstündigen Sessions moderierenden Dr. Fabian Schär, Managing Director am Center for Innovative Finance, konnten wohl keinen besseren Zeitpunkt wählen für diese Debatte über die Blockchain. Ok, fast – ein anderes Datum, welches nicht auf einen in vielen Kantonen (auch dem grossen im Norden) als Brückentag genutzten 30. April fällt, hätte die Universität in noch ärgere Kapazitätsnöte gebracht.

Don’t let today’s opportunities become tomorrow’s «What Ifs»

Das sorgfältig kuratierte Programm erreichte eine angenehme Balance zwischen Erklären und Mahnen, Sensibilisieren und Mut machen. Das für einmal ausnehmend gut durchmischte Publikum schien dies mit warmem Applaus zu goutieren. Die Breite der Teilnehmer hob sich wohltuend ab von der Klientel, welche sich fast im Wochenrythmus auf den aktuell gerade inflationär grassierenden Meetups, Summits und Shows im umtriebigen Crypto Valley begegnet.

Blockchain – der sexy Cousin von FinTech?

Christian Lundsgaard-Hansen, Founder von Sparkr (deshalb aka The Sparkr), gelang es mit dieser Analogie den Bogen geschickt zu den anderen Rednerinnen und Rednern zu spannen.

Als erster nahm Jonas Schnelli den Ball auf, der helvetische Star innerhalb der kleinen Gemeinschaft von Bitcoin Core-Contributoren, also den "Nerds" (Disclaimer: in diesem Fall ausschliesslich wohlwollend gemeint), welche den Code der Kryptowährung Bitcoin pflegen und gestalten. Pointiert stellte er im Zusammenhang mit der medial (zu) oft dominierenden "Bitcoin ist für Kriminelle und Zocker"-Behauptung eine zentrale Frage in den Raum, die nicht nur in den Pausen für Gesprächsstoff sorgte:
 

Wieviel Geld "besitzen" wir wirklich?

Ist allein ein Bankauszug ein ausreichender Beleg für unseren Besitz oder gibt es angesichts der nicht zu unterschätzenden Bedrohungen von Wirtschafts- und Cyberverbrechen mitunter noch eine andere Wahrheit? Während Schnelli die Überlegenheit von Blockchain-Währungen gegenüber dem technischen Status quo in vielen Bereichen darlegen konnte, warnte er gleichzeitig vor dem Glauben an den heiligen Gral:
 

Die Bitcoin Blockchain ist wohl die ineffizienteste Datenbank überhaupt


Die Kosten von 1$ für 80 Zeichen und 10 Sekunden für eine einzige Schreiboperation unterstreichen seine These eindrücklich. Eine andere Ecke des Ecosystems beleuchtete Dr. Lidia Bolla von Vision&, welche kompetent und gleichermassen charmant die Vorzüge und das Do How von Blockchain Investing in den Vordergrund stellte. Die Crypto Finance Group, Pionier in Sachen Crypto für institutionelle Investoren, war mit ihrem CTO, Dr. Lewin Boehnke auf der Bühne. Routiniert unterhielt er die Zuhörer mit Geschichten und Entwicklungen rund um die Herausforderungen zum Speichern von Crypto Assets.

Blockchain is what you imagine it to be

Im ersten Teil des Programms wurden häufig Anwendungsbeispiele aus dem Finanzuniversum hervorgehoben. Der Anspruch der Crypto Community ist bekannt. Nach der durch das Internet ermöglichten Informations-Effizienz und -Transparenz entsteht mit Blockchain das effizienteste Netz für Werte und Transaktionen. Die Vielfalt von Anwendungen für andere Industriezweige wurde von den Referenten nach der Pause unterstrichen. Die Fahne der gerade in Basel gut positionierten Logistikbranche hielt Marc Bettinger hoch. Er ist Direktor bei Forctis und Advisor von Smart Containers, welche mit ihrem Blockchain-basierten Smart Container System bereits zu den Weltmarktführern in ihrer Nische gehört.

Mit einem kurzen Abriss zu persönlichen Daten im digitalen Raum positionierte Patrick Graber Val:ID. Val:ID machte in den letzten Wochen unter anderem auch mit einem erfolgreichen ICO von sich reden. Die Verheissungen der digitalen Identität in der Blockchain sind zweifellos enorm. Aber ähnlich, wie sich die Schwester- und Brüderinitiativen wie Swiss Key, SwissID oder aktuell E-ID eben (nicht nur) an der Technologie seit Dekaden die Zähne auszubeissen scheinen, wird der Durchbruch wohl noch auf sich warten lassen.

Private Blockchain – Paradoxon oder pragmatische Brücke zur Realwirtschaft?

Crypto-Guru und Blockchain-Unternehmer Jonas Schnelli machte in seinem Eingangsreferat unmissverständlich klar, dass es eine private Blockchain rein technologisch nicht gibt – es gibt ja schliesslich auch kein halbschwanger. Diesen Sachverhalt wollte Daniel Haudenschild, CEO von Swisscom Blockchain, nicht frontal widerlegen. Mit einer Reihe von Anwendungsbeispielen aus seinem internationalen Berufsalltag vermochte er bei den Zuhörern aber doch da und dort eine Lanze dafür zu brechen, sich zuerst lösungsunabhängig mit den grossen Kundenproblemen zu beschäftigen. The rest ist (blokchain) technology...

Lightning Network: abwesend

Trotz grosser Aufmerksamkeit innerhalb der Bitcoin Community hat es das Lightning Network auch in Basel nicht auf die Agenda geschafft. Als architektonische Erweiterung des Bitcoin-Netzwerkes steht Lightning im Ruf, Skalierungs- und Geschwindigkeitsengpässe von Bitcoin (und anderen Kryptowährungen) zu lösen. Es wäre interessant zu erfahren, wie die Industrie das Potenzial dieser Technologie einschätzt oder ob sogar schon Erfahrungen damit gesammelt wurden. Ebenso gespannt verfolgen wir in der Redaktion, ob die Entwicklung von Lightning einen Slot am nächsten Symposium rechtfertigen kann.  

Neben den Ansätzen und Lösungen, die in Basel vorgestellt wurden, bleibt auch die Erkenntnis, dass jeder, der sich die heutige Führungsriege in den Technologieabteilungen etablierter Unternehmen vor Augen führt, schnell feststellt: der Wandel im Kopf braucht noch viel Überzeugungsarbeit.

Ein erster wichtiger Brückenpfeiler zwischen den Verheissungen der Blockchain und den etablierten Wirtschaftsorganisationen rund um die Stadt am Rheinknie wurde mit diesem gelungenen Symposium zweifellos in ebendiesen Fluss gerammt.

In diesem Sinne, liebe Basler, herzlich willkommen in der helvetischen Crypto-Familie.

Der Autor: Patrick Comboeuf

Patrick Comboeuf ist einer der profiliertesten digitalen Vordenker der Schweiz. Neben dem Fachgebiet Künstliche Intelligenz im Finanzwesen berichtet er für MoneyToday.ch über Themen wie Digital Finance, Blockchain, DeFi, Web3 sowie ESG & Sustainable Investing.

Mehrere Wochen im Jahr verbringt er im Silicon Valley und anderen Hotspots der digitalen Welt. Seit 2013 arbeitet er freiberuflich für verschiedene renommierte Bildungsinstitutionen, unter anderem als Studiengangsleiter für Post-graduate Masterprogramme wie den CAS AI in Finance & DeFi/Web3 Economist an der HWZ Hochschule für Wirtschaft in Zürich.

Hauptberuflich unterstützt er etablierte Unternehmen sowie aufstrebende Startups als Interims-Manager & Facilitator dabei, ihre Geschäftstätigkeit friktionsfrei in einer "AI First"-Welt zu verankern.

Als früherer Head of Digital Experience bei Swiss Life und als Leiter Digital Business bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) war er federführend verantwortlich für eine Vielzahl von Initiativen, welche die digitale Kundenerfahrung in eine neue Sphäre hoben.

Neben seiner Redaktorentätigkeit für MoneyToday.ch teilt er sein Wissen und seine Einschätzung auch sozial-medial auf LinkedIn und X/Twitter sowie als Prakademiker, Speaker, Moderator oder Podiumsgast auf Konferenzen im In- und Ausland.