Künstliche Intelligenz

Generative KI und Chatbots: Revolution in der Kundenberatung?

Monitor in einem Büro mit Chatbot auf der Oberfläche

Johannes Höllerich und Selina Lehner von der ZHAW über den Einfluss generativer Künstlicher Intelligenz im Bankensektor.

Die digitale Transformation hat den Bankensektor nachhaltig verändert. Lange schien die persönliche Kundenberatung von diesen Umwälzungen unberührt, doch das Aufkommen von Chatbots und generativer Künstlicher Intelligenz (KI) bringt auch hier Veränderungen. Diese Technologien versprechen, hochpersonalisierte Beratungsdienste für Banken effizienter und kostengünstiger anzubieten.

Doch welche spezifischen Entwicklungen gibt es bereits und wie prägen sie die Beratungslandschaft im Bankensektor?

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Was ist Generative KI?

Generative KI umfasst Algorithmen, die in der Lage sind, menschenähnliche Inhalte zu erstellen. Systeme wie GPT (Generative Pretrained Transformer) nutzen umfangreiche Datenmengen und komplexe Modelle, um neue, kohärente Inhalte zu generieren. Das wohl bekannteste Beispiel ist ChatGPT, das Ende 2022 eingeführt wurde und seitdem für viel Aufsehen gesorgt hat.

Warum generative KI in der Kundenberatung interessant sein könnte

Die Anwendung generativer KI in der Kundenberatung, insbesondere durch den Einsatz intelligenter Chatbots, birgt ein erhebliches Potenzial in folgenden Bereichen:

  • Effizienzsteigerung: Die Technologie ermöglicht es, ausführliche Analysen von Kundenprofilen vorzunehmen und massgeschneiderte Beratungsempfehlungen auszusprechen. Dies automatisiert nicht nur den Beratungsprozess, sondern reduziert auch die Kosten (siehe zum Beispiel McKinsey) und die benötigte Zeit für Beratungsdienstleistungen. Kundenberatende haben so mehr Zeit für ihre Kundinnen und Kunden und können diese Zeit besser nutzen. Beispielsweise sagen 65 Prozent der Unternehmen bei einer Umfrage, dass sie eine Umschulung ihrer Kundenberaterinnen und Kundenberater anstreben würden, wenn gewisse Aufgaben durch Chatbots wegfallen.
  • Skalierbarkeit: Ein wesentlicher Vorteil liegt zudem in der Skalierbarkeit der Beratungsdienste: Mittels KI-Chatbots können Banken gleichzeitig eine grosse Anzahl von Kundinnen und Kunden betreuen, ohne dass die Beratungsqualität darunter leiden sollte. Gerade Retailkundinnen und Retailkunden oder auch jüngere Kundensegmente könnten so einen einfacheren Zugang zu Bankendienstleistungen finden. 
  • Customer Experience: Darüber hinaus sind diese digitalen Berater rund um die Uhr verfügbar, was den Kundinnen und Kunden einen flexibleren Zugang zu Finanzberatungen ermöglicht​. Dies kann den wahrgenommenen Nutzen aus Kundensicht erhöhen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die durch generative KI und Chatbots erzielten Effizienz- und Kostenvorteile eine qualitativ hochwertige Finanzberatung für breitere Kundengruppen zugänglich machen könnten.

Herausforderung in der digitalen Beratung durch KI: Akzeptanz und Vertrauen

Die Chancen der generativen KI gehen jedoch mit Herausforderungen für Finanzdienstleister einher. Ganz vorne bei den Herausforderungen stehen neben allgemein bekannten Aspekten wie der Qualität der Modelle, dem Datenschutz und einer guten und aktuellen Kundendatenbasis insbesondere die Akzeptanz und das Vertrauen. Dies gilt speziell für die Branche der Finanzdienstleistungen, wo immaterielle Güter angeboten werden und Vertrauen als eine Grundwährung betrachtet wird.

Neuen Technologien wird oft mit Skepsis begegnet, besonders in einem vertraulicheren Umfeld wie dem Finanzwesen, wo die Hürden für neue Technologien daher höher sind. Dennoch scheint die Akzeptanz und das Vertrauen in KI-gestützte Beratungssysteme zu wachsen. Ein Beispiel, das zeigt, dass auch künstlich generierte Antworten als empathisch empfunden werden können, ist eine Studie von Ayers et al. aus dem Jahr 2023. Die Resultate zeigen, dass die Antworten von ChatGPT auf medizinische Fragen in vielen Fällen als empathischer wahrgenommen wurden als jene von menschlichen Ärztinnen und Ärzten.

Diese Studie ist auch ein Indiz für das Potenzial von generativer KI in der Kundenberatung. Bisher sind Robo Advisors nämlich oftmals mit mangelndem Kundenvertrauen konfrontiert. Durch ihre Fähigkeit, empathisch zu reagieren, könnte KI dieses Vertrauensdefizit in der digitalen Beratung überwinden. In den USA, wo Robo Advisor weiter verbreitet sind als in der Schweiz, zeigt eine Umfrage, dass über 47 Prozent der Erwachsenen ChatGPT für Anlageempfehlungen nutzen. In Deutschland wurde dagegen anhand einer Umfrage festgestellt, dass nur 13 Prozent sich vorstellen können, sich bei einer Geldanlage von KI beraten zu lassen, ohne dass ein Mensch involviert ist. Jüngere sind in dieser Hinsicht aber offener: Jede und jeder Vierte würde KI für eine Vorauswahl nutzen.

Diese teils widersprüchlichen Ergebnisse unterstreichen einerseits die Bedeutung des Produktdesigns bei KI-gestützten Systemen, deuten andererseits aber auch auf potenzielle (sogenannte "early adopters") Zielgruppen hin. Positive Erfahrungen können zudem zu einem wachsenden Vertrauen und einer zunehmenden allgemeinen Akzeptanz von KI-gestützten Systemen führen, so dass deren erfolgreicher Einsatz in der Kundeninteraktion auch für eine breitere Masse möglich wird.

Einsatzbeispiele von generativer KI in der Kundenberatung

Die folgenden Beispiele illustrieren, wie KI-Technologien vermehrt in der Finanzberatung eingesetzt werden können, um personalisierte und datengesteuerte Beratungsdienstleistungen zu bieten.

Ein Vorreiter in der Schweiz ist Selma AI von Selma Finance. Der Start des Prototyps lief laut CEO Patrik Schär erfolgreich.

Nach rund einem Monat verzeichnete das Unternehmen über 4'500 Interaktionen durch ihren KI-Chatbot, wobei 86 Prozent der Kundinnen und Kunden die Beratung als hilfreich bewerteten.

34 Prozent der Kundinnen und Kunden tätigten nach der Beratung sogar eine zusätzliche Einzahlung, was auf ein hohes Vertrauen in die KI-basierte Beratung hindeutet.

Selma Finance ist eine digitale Finanzberatung und zieht folglich tendenziell digital affine Kundinnen und Kunden an. Die Akzeptanz sowie das Vertrauen in digitale Technologien könnten aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit Selma Finance daher höher sein.

Zusätzlich bezieht Selma Finance ihre Kundschaft durch Co-Creation bei neuen Entwicklungen ein. Dies könnte die Hürden für die Einführung von "Selma AI" verringert haben.

Die Abbildung links zeigt einen Ausschnitt mit der Frage eines Kunden und den Ausführungen von Selma AI.

In den USA setzen bereits einige Anbieter auf KI-gestützte Finanzberatung. Ein Beispiel ist Parthean, das Kundinnen und Kunden einen AI-gestützten Financial Assistant bietet. Dieser Assistent ermöglicht es Nutzerinnen und Nutzern, spezifische Fragen basierend auf ihrer finanziellen Situation zu stellen, wie etwa "Wofür habe ich in den letzten zwei Wochen am meisten Geld ausgegeben?". Darüber hinaus können personalisierte Anlagepläne erstellt werden, die sich nach dem Ausgabenverhalten und den individuellen Anlagezielen der Nutzerin oder des Nutzers richten.

Ein weiteres Beispiel ist Alpha von der Trading-Plattform Public. Dieser Service erlaubt es Nutzerinnen und Nutzern ebenfalls, mittels Chatbot, spezifische Fragen zu ihren Aktien im Portfolio zu stellen. Im abgebildeten Beispiel fragt ein Nutzer, warum die Aktie eines Wertes im Portfolio im zweiten Quartal 2022 gefallen ist, und er erhält direkt eine Antwort, die auf datengestützten Analysen basiert.

Alpha ermöglicht es Nutzerinnen und Nutzern zudem, passende Wertpapiere direkt über den Chatbot zu suchen. Zum Beispiel können Bonds nach spezifischen Kriterien gefiltert und selektiert werden. Kundinnen und Kunden geben ihre Präferenzen direkt im Chat an, und der KI-Assistent präsentiert daraufhin passende Optionen, die auf den angegebenen Kriterien basieren. Dies wird in der untenstehenden Abbildung beispielhaft dargestellt.

Finchat.io ist hingegen ein Tool, das für alle Privatpersonen öffentlich zugänglich ist. Mittels Chatbot können Fragen zu Geschäftsberichten und Unternehmensdaten gestellt werden. Nutzerinnen und Nutzer können beispielsweise erfragen, wie sich die Umsätze von Amazon in den letzten fünf Jahren entwickelt haben. Zusätzlich bietet Finchat.io Unterstützung bei der Selektion von Wertpapieren. Eine Frage könnte zum Beispiel so aussehen: "Welche Aktien in den USA haben ein KGV von unter 15, bei denen der Gewinn des Unternehmens mehr als 10 Prozent pro Jahr wächst?".

Ein besonderer Vorteil von Finchat.io ist der Zugriff auf verifizierte Daten, was die Qualität und Zuverlässigkeit der Antworten erhöht. Auch versierte private Nutzerinnen und Nutzer könnten dieses Tool direkt selbst bedienen, um sich über börsennotierte Unternehmen und deren Aktien zu informieren. Das Tool gibt zwar keine Anlagevorschläge, ermöglicht jedoch das Erstellen von Listen passender Wertpapiere.

Ein Beispiel für den unternehmensinternen Einsatz ist der KI-gestützte Chatbot von Morgan Stanley, der Finanzberatern den Zugang zu den Datenbanken der Bank ermöglicht. Dieses Tool unterstützt die Berater, indem es ihnen hilft, schneller und präziser relevante Informationen und Empfehlungen zu ihren Anfragen zu finden.

Neben Chatbots gibt es weitere Use Cases für generative KI in der Kundenberatung, insbesondere auch administrative Arbeiten in der Kundenberatung könnten stärker automatisiert werden. Viele Unternehmen investieren erhebliche Zeit in die Bearbeitung von Kundenanfragen im Callcenter, dem Finden der besten Antworten für Kunden, der Angebotserstellung oder dem Prüfen von Vertragsbedingungen.

Ein Beispiel eines intelligenten Agentensystems ist die AI-Suite von Voicetechhub in der Schweiz. Einzelne Agenten führen geschäftsrelevante Cases aus, wie zum Beispiel das Zusammenfassen von Kundengesprächen aus Aufnahmen oder die entsprechende Angebotserstellung.  

Veränderungen in der Rolle der Kundenberater

In sämtlichen Bereichen sind Weiterentwicklungen der KI-Tools aufgrund der fortschreitenden KI-Technologie zu erwarten. Damit zeichnen sich auch Veränderungen in der Rolle der Kundenberaterinnen und Kundenberater ab. In Zukunft wird es immer wichtiger werden, die Kundschaft und ihre individuelle Motivation zu verstehen, da Wissen vermehrt auch von KI-Lösungen abgedeckt werden kann.

Obwohl Chatbots immer mehr Aufgaben übernehmen können, werden sie die persönliche Kundenberatung somit nicht vollständig ersetzen. Es bildet sich vielmehr eine Symbiose zwischen Mensch und Maschine heraus.

Während Chatbots Routineanfragen abdecken, können sich menschliche Beraterinnen und Berater auf die Lösung individueller Probleme und das Führen empathischer Gespräche konzentrieren. Dies ist besonders in komplexen finanziellen Situationen von Vorteil, in denen ein tieferes Verständnis und menschliche Erfahrung unerlässlich sind.

Bereits heute kann sich, wie oben gezeigt, generative KI als wertvolle Unterstützung für Beraterinnen und Berater erweisen und Nutzerinnen und Nutzern von digitalen Diensten wie Online-Brokern zusätzliche, nützliche Hilfestellungen liefern.

Wie sieht die Zukunft aus? Ein nächster Entwicklungsschritt, der bereits in Ländern wie Südkorea zu beobachten ist, könnten digitale Avatare sein, die in der Lage sind, mit Kundinnen und Kunden in Filialen zu interagieren. Es bleibt aber abzuwarten, ob wir dafür wirklich bereit sind.


Die Autoren

Johannes Höllerich ist Leiter Development und Services und Stv. Studiengangleiter des MSc Banking und Finance an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW), Abteilung Banking, Finance, Insurance.

Selina Lehner-Grimm ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Institut für Wealth & Asset Management an der ZHAW. Sie ist Studienleiterin des CAS Financial Service Innovation und Verwaltungsrätin.