Die Zukunft der Finanzindustrie

Future of Financial Institutions – View 2030: Eine Kurzgeschichte aus der Zukunft von Massimo Catrambone

Massimo Catrambone, Mitglied der Geschäftsleitung Swiss FinTech Innovations (SFTI)
Massimo Catrambone, Mitglied der Geschäftsleitung Swiss FinTech Innovations (SFTI)

Wie tickt und funktioniert die Finanzbranche in zehn Jahren? Sechs Schreiberinnen und Autoren fokussieren auf 2030 und berichten aus der Zukunft.

Die Arbeitsgruppe "Future Finance" von Swiss FinTech Innovations (SFTI) hat umfangreiche Recherchen und Analysen durchgeführt und zeichnet im Diskussionspapier "Future of Financial Institutions – View 2030" ein klares Bild der treibenden Kräfte und Elemente des Wandels. Dieses Diskussionspapier soll den Gedankenaustausch über die Zukunft des Finanzwesens unterstützen sowie dazu motivieren, Zukunft, Struktur und Basis der Finanzindustrie gemeinsam zu gestalten.

Acht Schlüsselthemen (Keythemes) aufgeteilt in vier Bereiche erachtet SFTI als prägend für die Zukunft der Finanzindustrie: 

  • People (Increased Importance of Trustworthiness / Changing Behavior)
  • Immediate Environment (The Empowered Digital Customer / Ubiquity of Digital User Interface)
  • Broader Environment (Explosion in Digital Assets / Explosion in Private Digital Data)
  • Business Landscape (Changing Business Models / Changing Business Ecosystems)

Die Geschäftsleitungsmitglieder von SFTI stellen diese acht Schlüsselthemen in Zusammenarbeit mit MoneyToday.ch in sechs Kurzgeschichten vor. Heute die Betrachtungen von Massimo Catrambone.


Die Schranken gehen auf und der Kunde übernimmt

In Zukunft soll es der Kunde in der Hand haben, Finanzdienstleistungen verschiedenster Anbieter und Anwendungen frei zu kombinieren. Ermöglichen sollen dies neue Plattformen, welche helfen, digitale Services und Subservices von Banken, Versicherungen sowie von FinTechs und InsurTechs zu kombinieren.

Noch gilt in vielen Bereichen das Lock-in-Prinzip. Ich als Kunde habe nur eine eingeschränkte Produktwahl und bin von einzelnen Dienstleistern, zum Beispiel meiner Hausbank, stark abhängig. Bin ich mit meiner Hausbank zufrieden, tut es weniger weh. In Zukunft wird sich das aber je länger je mehr ändern. Jene Institute, die ihre Dienstleistungen in Kombination mit Dienstleistungen anderer anbieten können, werden einen grossen Vorteil haben. Plattformen sollen diese Öffnung ermöglichen.

Anbieter, die diesen Lock-in-Effekt lediglich über die Kundenschnittstelle weiterhin steuern wollen, werden früher oder später ein Problem haben – Kunden wollen nicht gefangen bleiben, wenn sie die Möglichkeit haben, über neue Plattformen an zusätzliche Services zu gelangen und das erst noch zu vorteilhafteren Konditionen.

Konsumenten sollen mit mächtigeren Benutzeroberflächen Zugang auf neue Plattformen erhalten und leicht zwischen Dienstanbietern wechseln können. Der notwendige Datenaustausch zwischen den verschiedenen Systemen soll dank ausgereifteren Architekturen (zum Beispiel Microservice-Architektur) und Technologien (APIs) möglich werden. 

Freiheit, Freiheit, Freiheit...

Der Benutzer wird das Gefühl haben, dass er mehr selber in der Hand hat und selber steuern kann, was mit seinen Daten gemacht wird bzw. was er dafür bekommt. 

Eine kritische Bemerkung an dieser Stelle. Echte Freiheit wird es im heutigen System nie geben. Alles hat seinen Preis. Um etwas zu erhalten, gibt man etwas auf bzw. man zahlt etwas dafür. Das Angebot wird jedoch wachsen und man wird mehr wählen können. Der Konsum wird so aufrechterhalten und möglicherweise weiter ausgebaut. Es werden uns andere Faktoren in unseren Entscheidungen beeinflussen, aber im heutigen System wird es immer auf die eine oder andere Weise den Versuch geben, unsere Entscheidungen zu beeinflussen, damit eine verstärkte Bindung stattfindet und der Anbieter sich so einen Vorteil gegenüber Mitbewerbern verschaffen kann. In diese Richtung werden die Unternehmen arbeiten.

Wird die Datenhoheit am Schluss wirklich der Benutzer haben – oder wird das Gegenteil der Fall sein?

Die Kundenschnittstelle…

Es sind nicht nur die Plattformen, die entscheiden werden. Die intensivere Nutzung dieser Plattformen durch neue Kundenschnittstellen, sogenannte User Interfaces, wird eine entscheidende Rolle spielen. 

Aufgrund der aktuellen Trends können wir davon ausgehen, dass digitale Assistenten (Chatbots) smarter werden und die Rolle der neuen UIs übernehmen. Brauche ich noch so viele Apps, wenn mein Voice Assistant vieles schneller und für mich einfacher erledigen kann? Eine solche Entwicklung könnte einen Teil der Apps überflüssig machen. 

Interessant ist jedoch, was sowohl Apps wie auch Assistenten brauchen. Backends bzw. die APIs, welche heute von den Apps verwendet werden und morgen von den digitalen Assistenten und Aggregatoren weiterhin eingesetzt werden, um auf die Daten und Dienstleistungen zuzugreifen. 

Die behandelten Themen im Diskussionspapier sind eindeutig von hoher Relevanz. Es gilt, die Treiber und Faktoren zu identifizieren, welche einen grossen Einfluss haben bzw. notwendig sind, um ein Szenario überhaupt zu ermöglichen, sprich ausgereifte APIs sowie flexible und performante Microservice-Architekturen. Erst dann wird das Potenzial von Bots und anderen Artificial Intelligence-Technologien ausgeschöpft. 

Ein Monitoring und eine laufende Anpassung der Szenarien sind wichtig. Es passieren Dinge, von denen man vor wenigen Monaten nichts wusste. Unerwartete soziale und technologische Entwicklungen können dies massiv beschleunigen. Die weltweite COVID-19-Pandemie hat zum Beispiel extrem viele Menschen von heute auf morgen zu Social Distancing, Home Office, Videokonferenzen und zu digitalem Shopping gezwungen. Selbst wenig digital affine Menschen schaffen es oder zwingen sich dazu. Solche Ereignisse können die Verbreitung neuer Technologien und Innovationen um Jahre beschleunigen oder sogar überhaupt erst auf den Plan rufen.

Fazit

Es braucht Flexibilität, um kurzfristig zu agieren. Auf der anderen Seite muss man, solange noch Zeit dafür ist, in Bereiche investieren, die matchentscheidend sind. Ausprobieren und lernen! Oft erfordert dies viel Zeit und Ressourcen sowie eine gewisse Risikobereitschaft. Eine solche Strategie könnte sich tatsächlich auszahlen, um auf die neuen Entwicklungen vorbereitet zu sein.

Was sich jetzt schon herauskristallisiert ist offensichtlich: NO APIS, NO PARTY! Mit diesen Assets muss man dann seinen potenziellen Platz finden und sich dorthin bewegen.



Der Autor: Massimo Catrambone

Massimo Catrambone ist seit 2017 Mitglied der Geschäftsleitung bei Swiss Fintech Innovations (SFTI).

Seine berufliche Karriere hat Massimo 1996 als Banklehrling bei der Hypi Lenzburg gestartet. Seit über 20 Jahren beschäftigt er sich mit der Digitalisierung im Bankingumfeld. Während mehr als 15 Jahren als Software-Entwickler und in den letzten 10 Jahren vor allem als Projektleiter, Product Owner und Berater.