Über das Projekt der digitalen Kontaktnachverfolgung, das von der EPFL und der ETH Zürich vorangetrieben wird, haben wir bereits ausführlich berichtet. Im Kern basiert die Idee von DP-3T (Decentralized Privacy-Preserving Proximity Tracing) auf einer App. Ist eine Person mit dem Corona-Virus infiziert, können andere Personen über diese App sofort gewarnt werden, welche mit der infizierten Person nahen Kontakt hatten. Damit könnten Infektionsketten erkannt und durchbrochen werden.
Voraussetzung für das Gelingen: Der Befund "positiv getestet" infizierter Personen muss bekannt und in der App erfasst sein – und die App muss grossflächig eingesetzt werden, das heisst auf zahlreichen Smartphones installiert sein.
Die App soll am 11. Mai 2020 einsatzbereit sein
In den vergangenen zwei Monaten haben Forscher der EPFL Lausanne und der ETH Zürich gemeinsam mit einer Vielzahl europäischer Kollegen Technologien für die geplante digitale Kontaktnachverfolgung entwickelt. Die vollständige Lösung scheint kurz vor der Fertigstellung zu stehen, Dokumente sind als Open-Source-Protokoll bereits auf GitHub verfügbar.
Pascal Strupler, Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), hat gestern in einer Mitteilung der EPFL bestätigt, dass das BAG mit der EPFL und der ETH Zürich zusammenarbeitet, um bis zum 11. Mai 2020 eine App fertigzustellen:
Die App wird auf dem DP-3T-Konzept der EPFL basieren und die neuen Contact-Tracing-APIs von Google und Apple nutzen, sobald diese verfügbar sind
DP-3T schlägt ein sicheres, dezentrales, datenschutzfreundliches Proximity-Tracing-System vor, das auf dem Bluetooth Low Energy-Standard basiert. Ziel ist es, die Identifizierung von Personen zu vereinfachen und zu beschleunigen, die mit jemandem in Kontakt gekommen sind, der mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert ist. So soll eine technologische Grundlage geschaffen werden, um die Ausbreitung zu verlangsamen. Das System soll nach Aussagen der EPFL Sicherheitsrisiken für Einzelpersonen und Gemeinschaften minimieren und dabei ein Höchstmass an Datenschutz gewährleisten.
In der Schweiz werden die DP-3T-Anstrengungen national koordiniert im Rahmen der Swiss National COVID-19 Science Task Force des Bundes. Pascal Strupler verweist in der Mitteilung der EPFL darauf, dass das BAG zusammen mit anderen Schweizer Bundesbehörden den DP-3T-Ansatz voll und ganz unterstützen würde und lässt sich zitieren:
Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeits-beauftragte, das Nationale Zentrum für Cybersicherheit und die Nationale Ethikkommission sind sich einig, dass ein dezentraler Ansatz den Schweizer Anforderungen an einen maximalen Schutz der Privatsphäre am besten entspricht
Herausforderungen und offene Fragen
Weitere Details zum Projekt werden voraussichtlich bald folgen. Interessant ist vor allem, wie der Bund und das BAG erreichen wollen, dass die App von der Schweizer Bevölkerung angenommen und breit eingesetzt wird. Mit dieser Breite und einer grossflächigen Anwendung steht und fällt der Erfolg, dass Infektionsketten erkannt und wirksam durchbrochen werden können.
Offen ist momentan auch die Frage der Datenerhebung, die wir in unserem letzten Artikel thematisiert haben:
"Wie werden die Daten von bisher gesunden Menschen mit Corona-Infizierten abgeglichen oder anders gefragt: Auf welchen Wegen kommt die Information einer Infiizierung ins System? Durch die Infizierten selbst? Durch eine Behörde oder durch ein Amt?"
Mehrere Leserinnen und Leser haben auf unseren Artikel reagiert und die gestellte Frage um einen interessanten Aspekt erweitert. Stellvertretend für ähnliche Überlegungen steht das Statement von Hans-Peter Korn:
"Was mir im Artikel fehlt, ist der klare Hinweis darauf, dass diese Apps nur dann sinnvoll sind, wenn sich ALLE, die auch nur sehr SCHWACHE Symptome haben, RASCH testen lassen können und das Ergebnis innert WENIGER Stunden erhalten und es SOFORT in der App eintragen, falls es positiv ist. All das ist im Moment nicht der Fall. Somit sind solche Apps derzeit recht wertlos. Warum wird nirgends über diese ganz zentrale Beschränkungen solcher Apps berichtet?"
Der Einwand ist insofern berechtigt, als grossflächige Tests noch nicht die Regel sind. Es existieren auf kantonaler Ebene wohl Teststrassen, der Weg zum Test öffnet sich momentan jedoch nur über eine Anmeldung des Hausarztes. Der "Umweg" über Spitäler oder Arztpraxen, um sich testen zu lassen, kostet ebenfalls wertvolle Zeit.
Einfach erhältliche Schnelltests, welche zu Hause durchgeführt werden, könnten eine sinnvolle und zeitsparende Alternative sein. Immer vorausgesetzt, dass einfach anwendbare Testkits zur Verfügung stehen, welche zuverlässige Resultate liefern.
Eine hochinteressante Chance liegt in der Früherkennung von COVID-19, welche über die Ava-Technologie unterstützt werden soll. Dieses mögliche Frühwarn-System ist Gegenstand eines laufenden Forschungsprojekts, das vom Fürstenhaus Liechtenstein und der liechtensteinischen Regierung finanziert wird. Erste Ergebnisse sind allerdings erst im Herbst 2020 zu erwarten.