Über die Digitale Identität der Schweiz, die E-ID, haben wir regelmässig berichtet. Die Chronologie der zentralen Ereignisse zwischen 2010 und 2021 finden Sie übersichtlich zusammengefasst, hier.
Das E-ID-Gesetz ist von der Schweizer Bevölkerung abgelehnt worden. Zur Erinnerung: Nachdem das Parlament dem vom Bundesrat vorgelegten E-ID-Gesetz den Segen gegeben hatte, ist von Gegnern das Referendum ergriffen worden. Am 16. Januar 2020 haben die Initiatoren des Referendums 64'172 amtlich beglaubigte Unterschriften in Bundesbern eingereicht – damit konnte das verabschiedete Gesetz nicht in Kraft gesetzt werden, es musste dem Schweizer Volk zur Abstimmung vorgelegt werden.
Am 7. März 2021 hat die Schweizer Bevölkerung sehr klar entschieden, mit 64.4 Prozent haben sich nahezu zwei Drittel der Abstimmenden gegen das E-ID-Gesetz ausgesprochen. Die im Gesetz vorgesehene Aufgabenteilung von Bund und Privatwirtschaft ist vom Volk nicht goutiert worden. Damit ist der vom Bundesrat ausgearbeitete und vom Parlament verabschiedete "Bauplan" zur Einführung der E-ID vom Tisch.
Steht die Schweiz nun vor einem digitalen Scherbenhaufen?
Eher nicht, zumindest nicht wegen der Ablehnung der E-ID in der vorgestellten Form. Die Swiss Sign Group, das Joint Venture aus staatsnahen Betrieben, Banken und Versicherern, wird ihre SwissID weiterentwickeln, nun einfach ohne den erwarteten "nationalen Mantel".
Fakt ist jedoch, dass die Schweiz nach dem Nein der Schweizer Bevölkerung einige weitere Jahre ohne nationale Digitale Identität (E-ID) auskommen muss, Bund und Parlament gehen zurück auf Feld eins.
Bevor die nächste Auflage einer nationalen E-ID planerisch erneut in Angriff genommen wird, einige Überlegungen zur Digitalisierung des Bundes und zu möglichen Gründen, warum das E-ID-Gesetz bei der Schweizer Bevölkerung durchgefallen ist.
Warum es gefährlich sein kann, Gesetze am Volk vorbeizuschmuggeln
Unsere Redaktion hat bereits vor längerer Zeit auf eine Konstellation hingewiesen, die dem inzwischen versenkten E-ID-Gesetz gefährlich werden könnte.
Verschiedene Umfragen haben gezeigt, dass die von Bundesrat und Parlament einhellig unterstützte Regelung vom Volk nicht geteilt wird. Ja nach Zeitpunkt und Umfrage haben sich jeweils zwischen 74 und 81 Prozent der Befragten dafür ausgesprochen, dass eine E-ID vom Staat ausgestellt werden sollte.
Ein Gesetz nach dem Geschmack von Politik und Wirtschaft auf den Weg zu bringen, des Volkes Wünsche und Stimme dabei zu ignorieren und darauf zu hoffen, dass niemand das Referendum ergreifen möge, ist ein Tanz auf dem Hochseil ohne Netz. Ein Netz hätte zum Beispiel sein können, das Volk rechtzeitig klar zu informieren und mit wirklich überzeugenden Argumenten ins Boot der E-ID zu holen – vor und nicht erst nach dem Zustandekommen eines Referendums.
Subtile Drohgebärden kommen in der Regel nicht gut an
Ein Argument, das im Vorfeld der Abstimmung öfters bemüht worden ist, sinngemäss kolportiert: Mit der Aufteilung der Aufgaben auf Bund und Privatwirtschaft haben wir ein Gesetz, das euch in dieser Form möglicherweise nicht gefällt. Solltet ihr das jetzt aber nicht annehmen, wird die Schweiz um Jahre zurückgeworfen, ihr habt keine nationale E-ID – und nachher wird alles noch viel komplizierter.
Diese Drohgebärde hat nicht gezogen, offensichtlich haben fast zwei Drittel der Bevölkerung eine E-ID bisher nicht vermisst, sehen wenig Nutzen darin oder wollen sich schlicht nicht auf Druckversuche einlassen. Auch das nachgeschobene Argument, dass eine Ablehnung Tür und Tor für Big Techs öffnen würde, hat nicht verfangen. Möglicherweise auch deshalb, weil Big Techs und andere private Unternehmen in Sachen E-ID ohne staatliche Anerkennung schon längst unterwegs sind.
Gekrönt wurden die diversen Schreckensszenarien mit dem Bild eines digitalen Scherbenhaufens, vor dem der Bundesrat stünde, sollte das widerborstige Volk dem E-ID-Kurs der Regierung nicht folgen.
Was Politikerinnen und Politiker aus Erfahrung wissen sollten: Das Schweizer Stimmvolk mag es nicht, mit mehr oder weniger subtil aufgebautem Druck gegängelt zu werden. Zudem sind die meisten der vorgebrachten Argumente so hilflos wie durchsichtig. Hat man es versäumt, wider besseres Wissen, die Bevölkerung rechzeitig mit ins Boot zu holen, kommt es nicht gut an, wenn man sinngemäss die Haltung kommuniziert: Gut, wir haben eure Wünsche gehört und ignoriert, aber Schwamm drüber, mit einem Referendum haben wir eben nicht gerechnet – sei's drum, um Schlimmeres zu verhindern, müsst ihr jetzt ein Gesetz annehmen, das ihr nicht wollt, wir aber schon.
Der Bund sieht sich nicht in der Lage, eine digitale ID auszustellen
Das Argument der fehlenden Kompetenz des Bundes wurde wiederholt und mantrisch ins Feld geführt, um die digitale Hilflosigkeit des Bundes im Vergleich zur Professionalität der Privatwirtschaft glaubhaft zu machen. Mit Verlaub, dieses Argument ist Blödsinn und eine generelle verbalisierte Bankrotterklärung in Richtung der nationalen Digitalisierungs-Notwendigkeiten. Eine, die zudem das Vertrauen in den Staat infrage stellt, statt Vertrauen zu schaffen. Ein Land wie die Schweiz, ein Staat mit einer komfortabel ausgebauten Organisation, die sich nicht in der Lage sieht, eine digitale ID auszustellen? Frühere IT-Pannen als Beweis für dieses Unvermögen heranzuziehen, stellen den Kommunikations-Verantwortlichen des Bundes wie auch dem Staat selbst ein jämmerliches Zeugnis aus.
Kein Land darf sich hinter der Privatwirtschaft verstecken, wenn's darum geht, eine ganze Nation zu digitalisieren. Zumal das eGovernment, E-Voting und sehr viel mehr mit einschliesst. Gerade der Bund ist in Plänen, Projekten und auch in der Regulierung digital teilweise sehr gut unterwegs. Warum sollte es diesem Bund nicht möglich sein, das Ausstellen einer digitalen Identität technologisch und auch administrativ auf die Beine zu stellen?
Der Bundesrat darf jederzeit sagen, wir wollen, dass die Privatwirtschaft dies oder jenes übernimmt und er kann die Gründe dafür plausibel darlegen. Es ist jedoch schlicht unglaubwürdig mit der fadenscheinigen Behauptung zu operieren: Wir können das nicht, uns fehlen Know-how, Ressourcen und Spezialisten.
Scheinen die Hürden auch in Zukunft für den nächsten Anlauf der nationalen E-ID unüberwindbar hoch, empfehlen sich Gespräche mit den Kolleginnen und Kollegen in Talin. Estland ist die digitale Hochburg in Europa – in der Fläche etwa gleich gross wie die Schweiz, mit 1.33 Millionen Einwohnern deutlich kleiner. Neben einer staatlichen digitalen ID sind nahezu alle zentralen Prozesse in Estland im Zusammenhang mit Behörden, Ämtern, Gesundheit und Rechtssprechung voll und so gut wie durchgängig digitalisiert.
Die Estländer sind freigebig und sagen: "We have built a digital Society and we can show you how". Eine gesprochene Einladung, die angenommen werden darf, auch von der Schweiz.
Möglicherweise geht's im nächsten Anlauf sogar umfassender
Die E-ID ist in der bisher präsentierten Form kein digitaler Pass, sondern "nur" eine Möglichkeit, online die eigene Identität zu beweisen. Etwas grösser gedacht könnte die Vision der Digitalen Identität möglicherweise stärker überzeugen.
Die Idee, statt eine Identitätskarte mit sich herumtragen zu müssen, die ID auf dem Smartphone zu haben, hat etwas Verführerisches. Ist bereits das halbe Alltagsleben auf dem Handy, Karten, Bezahlmöglichkeiten, Tickets und Boardingkarten inklusive, würde der nationale Ausweis auf dem Smartphone gut dazu passen.
Noch etwas grösser gedacht und natürlich in Kooperation mit anderen Staaten findet auch der Pass irgendwann den Weg auf das Device, das unser aller Leben nun schon länger dominiert. Der Pass auf dem Smartphone mit den Daten aus der Blockchain wird ohnehin kommen – zumindest ist es schwer vorstellbar, dass Menschen in zwanzig Jahren immer noch mit einem physischen Pass unterwegs sind, der für alle Länder gigantische administrative Aufwände mit sich bringt.
Die Schweiz als Vorreiterin und Botschafterin für den Pass in digitaler Ausführung? Das könnte Punkte bringen, national und international. Oder muss weiterhin alles Digitale zwingend aus Asien oder aus den USA lanciert werden? Eine weltumspannende Initiative aus Europa oder eben aus der Schweiz wäre eine wünschbare Alternative, zumal technologisch heute schon keine unüberwindbaren Hürden im Wege stehen.