Lockdown

Corona-Krise: Offener Brief der Fintechrockers an Bundesrat Ueli Maurer

Junge Leute unter der Schweiz Flagge
Bild: Rawpixel | Getty Images

Die Community der Fintechrockers zum Startup Ökosystem der Schweiz, zu drei notwendigen Massnahmen, um weiterhin die Zukunft zu rocken und eine Einladung an Ueli Maurer, den Band Lead zu übernehmen.


COVID-19-Krise vs. Hilfspaket des Schweizer Bundes für Startups


Zürich, 1. April 2020


Lieber Herr Bundesrat Maurer

Die Fintechrockers sind eine engagierte Gruppe von Macherinnen und Machern aus etablierten Schweizer Unternehmen und Startups. Individuell verantworten wir einige der erfolgreichsten Unternehmungen und Budgets bis zu mehreren Millionen Schweizer Franken. Gemeinsam sind wir 38 gestandene UnternehmerInnen, die mutig eine Branche vorantreiben – mit Know-how, Erfahrung, Austausch, Technologie und Leadership. Wir gestalten Innovation und begleiten aktiv Zukunftsthemen, insbesondere aus den Bereichen Informationstechnologie und Finanzindustrie. Unser Ziel ist eine wirtschaftlich und international erfolgreiche Schweiz, speziell im Finanz- und Technologiesektor. Vor COVID-19 war die Schweiz hervorragend aufgestellt, durch die Impulse vom Crypto Valley und der lebendigen Fintech Szene, aber auch dank der Begleitung vom Bund. Aufgrund der notwendigen Massnahmen gegen COVID-19 durch den Bundesrat könnte der Schweiz im internationalen Wettbewerb nun ein ganzes Jahrzehnt verloren gehen.

Wir möchten daher gerne Vorschläge machen, welche die Schweizer Fintech-Wirtschaft für den internationalen Markt überlebensfähig machen würden.

Wie Startups tatsächlich entstehen

Der Legende nach entstehen Startups durch StudienabbrecherInnen in der Garage und bekommen Wagniskapital nur so nachgeworfen, um die Welt im Sturm zu erobern. Diese Fälle gibt es und sie faszinieren uns alle, weshalb insbesondere die Medien sie immer wieder gerne aufgreifen. Sie bleiben jedoch die Ausnahme, besonders  in der  Schweiz.  In ganz Europa fokussiert das Kapital vor allem auf bereits erfolgreich erprobte Ideen und den Weg der kleinen Schritte. Das World Wide Web wurde zwar in der Schweiz erfunden, es gibt jedoch bis heute keinen einzigen globalen Internetkonzern aus der Schweiz.

Kein globaler Internetkonzern kommt bisher aus der Schweiz. Damit sich das in den kommenden Jahren ändern kann, braucht es heute die Unterstützung vom Bund.

Ein typisches Startup durchläuft im Rahmen seines Weges zum erfolgreichen Unternehmen einen Prozess, der im Schnitt 3-5 Jahre benötigt – mit “Ausreissern” in beide Richtungen. Die ersten Monate sind beherrscht von einer Idee. Diese Idee muss reifen und mündet schliesslich in einem Plan, dessen Umsetzung ein Team erfordert. Dafür braucht es oft das erste Kapital und es muss Wagniskapital eingeworben werden. Dies gelingt etwa 10% der Startups. Die restlichen Ideen landen auf dem Friedhof der Geschichte, teilweise unglücklich, oft aber auch aus guten Gründen.

Die 5% der Startups, die es nach 3-5 Jahren noch gibt, haben Potenzial für internationalen Erfolg

Der eigentliche Wettlauf beginnt nach 6-12 Monaten. Das Team befindet sich nun in einem  Wettlauf gegen die Zeit, um die Idee schnellstmöglich umzusetzen und an der Realität zu testen. Gelingt dies, so wird im besten Fall erster Umsatz geschrieben. Meist reicht es jedoch nicht, um sofort auf eigenen Beinen zu stehen. Und manchmal,  insbesondere  bei  Sprunginnovationen, braucht es eine zweite Runde, um in den Markt zu gelangen. Es muss mehr Kapital eingeworben werden. Diese zweite Runde gelingt wiederum nur etwa 10% der Überlebenden aus Runde 1. Also 1% der Startups. Der Rest hat nicht ausreichend Werte geschaffen – oder einfach Pech. Manchmal ist man mit der richtigen Idee zur falschen Zeit unterwegs. Oft auch zu früh.

Jetzt sind meist 3-5 Jahre vergangen. Die Unternehmen, die beide Runden überstanden haben, schaffen es öfter, sich erfolgreich im Markt zu platzieren. Für weitere Finanzierungsrunden steht dann meist ausreichend Kapital zur Verfügung, sofern sich die Wirtschaft nicht gerade in einer Rezession befindet. Wieviel Kapital jeweils bis zu diesem Zeitpunkt benötigt wird, hängt zum Grossteil davon ab, um welches Gebiet es sich handelt und wie tief die Innovation geht – aber auch davon, wie alt die GründerInnen sind.

Die 40-50-Jährigen sind statistisch die erfolgreichsten UnternehmerInnen

Gründer zwischen 40 und 50 sind teurer als jüngere GründerInnen. Sie haben oft Familie und weniger Zeit. Sie sind statistisch gesehen jedoch die erfolgreichste Altersgruppe als UnternehmerInnen. Ausgestattet mit Realitätssinn, Erfahrung und einem grossen Netzwerk, scheitern diese Unternehmen sehr viel seltener komplett und sind überproportional oft erfolgreich. Ihre Unternehmungen basieren auf 15-20 Jahren Erfahrung in bestimmten Sektoren.

Egal was, wer oder wie, eine harte Realität gilt für alle Startups: Kapital repräsentiert Zeit. Wenn die Zeit verronnen ist, gehen die Lichter aus – es sei denn, es gibt frisches Kapital von Kunden oder Investoren. Daher sind die Prioritäten von Startups immer auf den Markteintritt ausgerichtet. Nur so wird aus einem Startup ein erfolgreiches Unternehmen.

Markteintritt um 6 - 18 Monate verzögert, aufgrund der aktuellen Rezession

Die Massnahmen des Bundes zur Eindämmung von COVID-19 haben zu einer Rezession geführt. Viele Kunden stellen Ausgaben zurück. Grosse Unternehmen haben bereits mit Kurzarbeit, Entlassungen und zum Teil dramatischen Kürzungen bei Innovationsprojekten reagiert. Es wird  aufs Kerngeschäft fokussiert. In der Konsequenz wird für viele fortgeschrittene Startups der Markteintritt um 6 bis 18 Monate verzögert. Die Refinanzierung über erfolgreiche Kundengewinnung ist damit extrem erschwert.

Und auch Investoren schauen in Zeiten einer Rezession nach sicheren Anlageformen und versuchen, die eigene Liquidität zu schützen. Damit wird es für die kommenden 6-12 Monate extrem schwierig, Kapital einzuwerben. Startups, die aktuell über weniger als 6 Monate Kapital für den Cash Flow verfügen, sind zum Teil bereits jetzt dabei, ihren mit grossem Aufwand gewonnenen Mitarbeitern wieder zu kündigen.

Die vom Bund für KMU und Startups angekündigten verbürgten Darlehen würden da eine grosse Hilfe darstellen, verlorene Zeit zumindest teilweise zu überbrücken. Leider sind sie in ihrer aktuellen Form nicht auf die besonderen Bedürfnisse von Startups ausgerichtet.

Der Shutdown dauert bereits schon länger, als die zugesagten Mittel ein erfolgreiches Startup unterstützen können

Die maximal 50’000 CHF verbürgtes Darlehen für Startups im Mittel entsprechen etwa 4 Wochen “Lebenszeit” aus Perspektive eines Startups zwischen 1 und 2 Jahren – oder gerade einmal 2 Wochen für Startups zwischen 2 und 5 Jahren.

Aus Sicht der Informationstechnologie ist der aktuelle Rahmen lediglich für sehr junge Startups in eine frühen Phase ein Rettungsring. Allerdings ist zu erwarten, dass 99% dieser Startups, unabhängig von verbürgten Darlehen, den oben beschriebenen Ausleseprozess nicht überstehen werden. Für Startups, die diesen Prozess bereits erfolgreich durchlaufen haben und immer wieder Leistungsnachweise erbringen mussten, um Mitarbeiter, Kapital und Kunden einzuwerben, gibt es hingegen keine sinnvolle und hilfreiche Unterstützung.

Für 2-5 Jahre alte Startups, welche statistisch die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit haben, ist also bereits mehr Zeit im Shutdown vergangen, als ihnen Mittel über verbürgte Darlehen offeriert werden. 1-2 Jahre alte Startups erreichen diesen Punkt in einer guten Woche.

Die Schweiz verspielt ihre Chance auf erfolgsversprechende Startups durch ihre zu kurz greifenden Massnahmen zur COVID-19-Krise

Alle Startups befinden sich in einem ständigen Wettlauf gegen die Zeit und müssen sich permanent beweisen, um Zeit in Form von investiertem Kapital zu gewinnen. Nur den besten Startups gelingt dies über einen Zeitraum von mehreren Jahren.

Die notwendigen Massnahmen des Bundes zur Einschränkung von COVID-19 haben eben diese vielversprechendsten Startups der Schweiz  gerade 12-18 Monate  gekostet. Wenn nun diese Startups im Resultat ihren Mitarbeitern kündigen oder ganz die Segel streichen müssen, so wird es nach dem Ende der Rezession 6 bis 7 Jahre erfordern, bis die Schweiz wieder von einem ähnlich vielversprechenden Ökosystem an frühen und späten Startups profitieren kann.

Die Community der Fintechrockers denken, das wäre ein zu hoher Preis für die Zukunftsfähigkeit der Schweiz. Daher ersuchen wir Sie um drei notwendige Massnahmen, um dieses Szenario abzuwenden:

  • 1. Aufstockung der verbürgten Darlehen für Startups auf 500’000 CHF auf Basis einer Kombination aus Umsätzen, ggf. auch geschätzt über Lohnsumme, existierende Kapitalreserven und bereits investiertem Kapital.
     
  • 2. Förderinstrumente für technologieorientierte Unternehmen, damit bestehende Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsprojekte weitergeführt werden können, z.B. durch die Sicherung von maximal 5 Schlüssellöhnen über mehrere Monate (analog der Umsetzung vom Kanton Bern in Zusammenarbeit mit der lokalen Standortförderung).
     
  • 3. Schaffung eines Budgets für Innovations- und Modernisierungsprojekte in Verwaltung und staatsnahen Unternehmen mit Fokus auf Schweizer Startups.

Auch in Kombination können die aufgeführten Massnahmen nicht den bereits entstandenen Schaden ausgleichen. Die heutigen Massnahmen zur Krise entscheiden jedoch, welche Länder in den kommenden 10 Jahren in der digitalen Innovation und daraus entstehenden Opportunitäten eine wesentliche Rolle spielen.

Die erste Massnahme würde den Zeithorizont für betroffene Startups so erweitern, dass sie eine realistische Chance erhalten. Unser zweiter Vorschlag sichert die Innovation als Grundlage aller Startups ab und der dritte Vorschlag würde zumindest einem Teil der Startups den Markteintritt vereinfachen und so verlorene Zeit kompensieren.

Unsere Startups sind für die Zukunft der Schweiz essentiell. Wir bitten Sie, den Band Lead zu übernehmen, damit wir gemeinsam weiterhin die Zukunft «rocken» können. Lassen Sie uns mit gezielten Massnahmen den Finanztechnologie-Sektor und dessen Startups in der Schweiz zukunftsorientiert unterstützen, so dass wir erstarkt und branchenführend aus der Corona-Krise hervorgehen.

Freundliche Grüsse

die Fintechrockers