Beim Quintett, zusammengesetzt aus den Bezahllösungen mit der grössten Medienresonanz und deshalb Bekanntheit, bleibt es allerdings auch nicht. Zahlreiche weitere Player mischen mit. Heute schon und sicher verstärkt auch in Zukunft.
Darunter auch solche, die sich im Moment auf P2P-Funktionen beschränken, zum Beispiel Postfinance, oder auf P2P und E-Commerce wie PayPal. Diese Anbieter werden Shop-Zahlungen und weitere Funktionen kaum auf Dauer aus ihren Apps ausschliessen.
Bezieht man die expansionshungrigen chinesischen Anbieter wie Alipay oder Wechat Pay gedanklich mit ein, wird's noch farbiger und die Palette der Lösungen erweitert sich zusätzlich mit markanten Leistungsangeboten.
Der Blick der Medien
Die Berichterstattung zum Markteintritt von Google Pay ist in zahlreichen Medien von der Vermutung begleitet worden, dass vor allem Twint nun Konkurrenz erhalten würde und dass es eng werden könnte für die Lösung der Schweizer Banken. Ist das so?
Auf lange Sicht möglicherweise schon, heute und morgen jedoch sicher nicht. Die entscheidende Phase und der Kampf um Marktanteile kommt erst später. Dann, wenn alle Anbieter gemeinsam Mobile Payment aus der Nische der aktuellen Bedeutungslosigkeit geholt und zu einer breit genutzten Form des Bezahlens gemacht haben.
Dazu kommt, dass die Untergangsszenarien für Twint auch schon beim Markteintritt von Apple Pay (Juli 2016) und in abgeschwächter Form beim Start von Samsung Pay (Mai 2017) bemüht worden sind. Twint hat die damalige Marktposition nicht nur gehalten, sondern weiter ausgebaut. Nach einer Schätzung von Prof. Dr. Andreas Dietrich (Hochschule Luzern) weist Twint ein in etwa doppelt so hohes Volumen auf wie Apple Pay und Samsung Pay zusammen.
Nach der Mobile Payment Studie 2018 ist Twint in der Schweiz aktuell der wichtigste Mobile Payment-Anbieter, sowohl in Bezug auf das Volumen wie auch in Bezug auf die Anzahl der Transaktionen. Daran wird auch der Markteintritt von Google Pay kurzfristig nichts ändern.
Wird das so bleiben?
Kaum. Andreas Dietrich schätzt, dass nahezu 70 Prozent aller Transaktionen nach wie vor mit Bargeld abgewickelt werden. Die übrigen 30 Prozent gehen nicht aufs Konto von Mobile Payment, da stehen Debit- und Kreditkarten im Vordergrund. Diese haben mit NFC und berührungslosem Bezahlen an Attraktivität noch gewonnen. Können mobile Bezahllösungen nur Bezahlen und nicht viel mehr, ist der Anreiz sehr gering, die Karte durch das Smartphone zu ersetzen. Komfort und ein überzeugender Leistungsumfang können hier Unterschiede schaffen.
Mobile Payment dümpelt aktuell noch auf sehr tiefem Niveau. Die Autoren der Mobile Payment Studie 2018 beziffern die Zahlungen, die in der Schweiz über mobile Bezahlmittel ausgelöst werden, als Schätzung mit 1.75 Millionen Transaktionen pro Monat. Dies entspricht einem Marktanteil von rund 0.5 Prozent.
In diesem noch ziemlich dürren Szenario einen tobenden Verteilungs- und Verdrängungskampf zu sehen, erfordert dann doch etwas Fantasie. Es gibt schlicht noch nicht allzu viel zu verteilen und zu verdrängen. Natürlich werden die Weichen für die Zukunft teilweise heute schon gestellt, im Moment jedoch haben sämtliche Konkurrenten einen anderen und gemeinsamen Gegner: Bargeld- und Kartenzahlungen. Wobei Karten nicht verdrängt werden, die sind auch bei mobilen Zahlungen (oftmals) hinterlegt, sofern die mobile Lösung nicht direkt mit dem Konto verbunden ist.
Die Herausforderungen für alle Mobile Payment-Anbieter
Die hauptsächliche Herausforderung für sämtliche Anbieter von mobilen Bezahllösungen liegt darin, bei der Schweizer Bevölkerung die Lust auf mobiles Zahlen zu wecken. Diese Lust hat auch in den letzten Jahren schon zugenommen, allerdings in sehr kleinen und sehr langsamen Schritten. Neues verschärftes Tempo und umwälzende Entwicklungen sind nicht allein durch einen zusätzlichen Anbieter zu erwarten, in diesem Falle Google Pay, der im Kern dasselbe Angebot lanciert, das alle anderen bereits platziert haben.
Wirkliche Bewegung dürfte durch Komfort, Sicherheit und vor allem durch überzeugende Funktions-Vielfalt mit smarten Features ausgelöst werden. Ohne diese Motivationsspritze werden User (zumindest die Masse) voraussichtlich noch länger auf ihre gewohnte Karte setzen. Die ist klein, handlich, funktioniert berührungslos und kann wunderbar bezahlen. Gutes mit Gutem zu konkurrenzieren ist zu wenig und wird Gewohnheiten nicht ändern, zumindest nicht auf die Schnelle, da braucht's tatsächlich etwas mehr.
In Sachen Komfort und Leistungsumfang könnte Alipay mit seiner Lifestyle-Lösung zur willkommenen Überraschung für Konsumenten und zur knallharten Konkurrenz für bestehende Anbieter werden. Spätestens dann, wenn die Teststrecke mit den chinesischen Touristen in Europa abgeschlossen wird und Ant Financial den Kundenkreis der 12.7 Millionen inzwischen gut bedienten Touristen um rund 500 Millionen Europäer erweitern möchte.
Die Herausforderungen für Twint
Eine Herausforderung für Twint liegt darin, die Anteile von POS- und E-Commerce-Zahlungen laufend zu erhöhen. Aktuell liegt der Löwenanteil der Transaktionen nach wie vor im P2P-Bereich. Das ursprüngliche Konzept von Twint, mit der P2P-Funktion durch Netzwerk-Effekte schnell Masse zu generieren, hat bisher gut funktioniert. Inwieweit P2P-Nutzer zu Anwendern werden, die im Shop mit dem Smartphone bezahlen, bleibt abzuwarten.
Eine weitere zentrale Herausforderung hängt mit der Entscheidung zusammen, ob Twint eine rein nationale Anwendung bleiben will und als Folklore-Lösung mit spezifischem Schweizer Bezug im kleinen Markt punkten möchte – oder ob Twint in den Ring mit den Internationalen steigen will und selbst als international einsetzbare Lösung auf den Markt Europa und die Welt setzt.
Eine dritte Herausforderung dürfte in den Banken liegen, welche mehr und mehr den Widerstand gegen die Lösungen der Big Techs aufgeben. Credit Suisse hat sich für Apple Pay und Samsung Pay geöffnet, UBS scheint noch überlegen und dürfte folgen. Im Zuge dieser Öffnung werden auch andere Banken auf den Zug aufspringen. Damit verliert Twint einen bisher aufgespannten Schutzschirm, der eine gewisse Exklusivität geschaffen hat – ab diesem Punkt kann und muss Twint allein durch Leistung überzeugen.
Zurück auf Anfang: Wird jetzt mit Google Pay in der Schweiz alles anders?
Vieles wird anders. Aber nicht ausgelöst durch den Markteintritt von Google Pay. Vielmehr durch Entscheidungen, Konzepte, Leistungen, Überraschungen – aus verschiedenen Richtungen und von verschiedenen Anbietern. Der Kampf um Marktanteile wird auch stattfinden. Allerdings erst dann, wenn sich ein funktionierender Markt etabliert hat, dessen Anteile wahrnehmbare Dimensionen erreicht, die tatsächlich verteilt werden können. Dann also, wenn Mobile Payment zum Breitenthema geworden ist, das nicht primär Medien und Anbieter beschäftigt, sondern Massen bewegt.
Keine Frage, dass die spannende Reise dahin führen wird. Wie viel Zeit und Umwege zwischen Wunsch und Ziel liegen, ist momentan noch nicht zu beantworten.