Digitalisierung

Wie digital funktionieren Europas Retail-Banken?

Bankenviertel in Frankfurt
Bild: SeanPavonePhoto | Getty Images

Im DACH-Raum schafft es keine Bank in die digitale Spitzengruppe – auch Schweizer Banken gehören zu den Nachzüglern und belegen hintere Ränge.

Welche Retail-Banken bei der Digitalisierung führend sind, hat das Beratungsunternehmen Bain & Company in einem Benchmarking zusammengefasst. Die gewählte Studien-Anlage deckt auch die konkreten Stärken und Schwächen der europäischen Banken auf. Diese Digitalisierungs-Profile sind anhand von 150 Kriterien aus Kunden- sowie interner Bankensicht ermittelt worden und zeigen, wie weit die Digitalisierung der beteiligten Geldhäuser fortgeschritten ist

Wie die 50 führenden Retail-Banken digital aufgestellt sind

Nach der Studie schaffen es nur wenige Retail-Banken, mit ihren Digitalisierungs-Bemühungen ihre Kunden zu begeistern und die angestrebten Kostenvorteile zu realisieren. Dass sich Digitalisierung-Anstrengungen lohnen, rechnen die Bain-Experten in ihrer Studie vor und halten fest: Retail-Banken, die Vorreiter in Sachen Digitalisierung sind, übertreffen mit einer Eigenkapitalrendite von 8,7 Prozent den Wettbewerb deutlich und haben zudem loyalere Kunden.

Banken aus Deutschland und aus der Schweiz gehören nicht zur Gruppe der digitalen Vorreiter. Zwei Schweizer Banken bewegen sich im Mittelfeld, vier Finanzinstitute belegen hintere Ränge.

Warum es sich lohnt, digital vorne mitzumischen

Die mit dem Net Promoter Score (NPS) messbare Kundenloyalität liegt bei den digitalen Vorreitern unter den traditionellen Banken mit 21 Prozent deutlich über der des Wettbewerbs. Reine Online-Banken schneiden sogar noch besser ab und können ihre Kunden unter anderem durch niedrige Gebühren überzeugen.

Auch die Belegschaft bewertet diejenigen Banken, die Vorreiter in Sachen Digitalisierung sind, deutlich positiver. Das gilt für die Weiterempfehlungs-Bereitschaft als Arbeitgeber, wie auch für die Beurteilung der Zukunftsaussichten des Unternehmens aus Sicht der Mitarbeitenden.

Nicht zuletzt profitieren die Eigentümer. Mit einer Eigenkapitalrendite von im Schnitt 8,7 Prozent liegen die bestplatzierten traditionellen Kreditinstitute 2,5 Prozentpunkte über dem Durchschnittswert der Konkurrenz. Zudem ist ihre Cost-Income-Ratio deutlich niedriger.

Die Studien-Autoren fassen zusammen: Eine umfassende Digitalstrategie erlaubt es, den Automatisierungsgrad einer Bank zu steigern, ohne dass das Kundenerlebnis leidet. Im Gegenteil: Durch schnellere und einfachere Interaktionen wird dieses sogar noch verbessert. Damit verbunden ist eine nachhaltige Kostensenkung.

Was macht eine erfolgreiche Digitalstrategie aus?

Die Experten der Studie "How Digital Done Right Pays Off for Retail Banks" haben die Leuchtturm-Beispiele aus der Erhebung in sieben Elementen zusammengefasst – zentrale Punkte, welche nach Ansicht der Autoren die Unterschiede zwischen digitalen Vorreitern und Nachzüglern schaffen:

  • Strategie, Ziele und Roadmap
    Erfolgreiche Banken fahren bei der Umsetzung ihrer Strategie in der Regel zweigleisig. Einerseits digitalisieren sie ihr bestehendes Geschäft und erweitern es regelmässig um digitale Innovationen. Andererseits bauen sie neue Geschäftsmodelle auch abseits ihres Kerns auf.
  • Produktportfolio
    Digitale Vorreiter setzen entweder auf ein reduziertes, standardisiertes Produktportfolio oder auf ein breiteres, dann aber modular auf die Bedürfnisse der jeweiligen Kunden ausgerichtetes Leistungsspektrum.
  • Kundenerlebnis
    Die Verlagerung des Vertriebs in digitale Kanäle ist erfolgreich, wenn Banken systematisch sämtliche Kontaktpunkte entlang der Kundenreise digitalisieren. Sind mehr als 80 Prozent des Angebots digitalisiert, laufen nahezu drei Viertel der Verkäufe über digitale Kanäle. Gerade für Schweizer Banken besteht hierbei noch signifikanter Aufholbedarf.
  • Moderne Kanäle
    Alle Zugangswege der Top-Banken im Benchmarking sind extrem nutzerfreundlich. Sie entsprechen dem, was der Kunde heute erwartet und von anderen Digitalunternehmen gewohnt ist. Den führenden Kreditinstituten gelingt es, ihre Kunden in die digitale Welt zu migrieren – zunächst mit sanften Methoden wie Werbekampagnen, gefolgt von härteren Massnahmen wie höheren Preisen etwa für Dienstleistungen in den Filialen.
  • Kundenloyalitätssystem
    Digitale Vorreiter erfassen regelmässig das Feedback ihrer Kunden bis hinunter auf die Ebene von Einzelinteraktionen. Auf dieser Basis verbessern sie ihre Abläufe und Angebote systematisch und kontinuierlich.
  • Betriebsmodell
    Führende Banken brechen Silodenken auf und richten ihre Organisation konsequent entlang der Kundenreise aus. Abteilungsübergreifende agile Teams sind dafür genauso unentbehrlich wie ein Talentmanagement, durch das die benötigte Digitalexpertise aufgebaut und weiterentwickelt werden kann.
  • Technologie und Daten
    Viele traditionelle Banken haben mit einer unflexiblen, veralteten IT-Architektur zu kämpfen. Durch die Entkopplung der eingesetzten Systeme und die Einführung agiler Arbeitsweisen lassen sich Geschwindigkeit und Flexibilität deutlich erhöhen. Auch bei der Nutzung von Daten gibt es vielerorts noch Defizite. Deren Verfügbarkeit und Qualität sicherzustellen, ist ein kritischer erster Schritt.

Diese sieben Elemente sind entscheidend, glauben die Studien-Autoren, wenn Nachzügler erfolgreich zur Konkurrenz aufschliessen wollen.

Der Markt tickt digital – und zunehmend digitaler

Retail-Banken haben alle Möglichkeiten, von der Digitalisierung zu profitieren. Sogar in enormem Ausmass, sind die Bain-Experten überzeugt. Sicher eine gute Idee für Retail-Banken, ihre Digitalisierungs-Strategie auf den Prüfstand zu stellen und mit den Erfolgsrezepten der Konkurrenz zu vergleichen. 

Zumal die Konkurrenz nicht nur in den eigenen Reihen der klassischen Banken aktiv operiert. Neue Anbieter "von aussen", welche immer schon mit einer digitalen DNA unterwegs waren, rüsten in diesen Tagen kräftig auf. Zum Beispiel Google mit Google Plex – eine Initiative, die Google zur Bank macht, ohne dass das Big Tech selbst Bank sein muss. Oder Klarna, das internationale Riesen-FinTech mit Banklizenz, das nun ebenfalls mit Kontoangeboten und Karten die Muskeln spielen lassen will. Diese und weitere Anbieter besetzen dasselbe Terrain, auf dem auch klassische Banken mit ihren Kunden zuhause sind. Mit im Spiel ist die wachsende Zahl von Challenger-Banken, die ebenfalls im Begriff sind, Europa unter sich aufzuteilen. 

Wer Kunden, Märkte und die Zeichen der Zeit lesen und interpretieren kann, ist im Vorteil

Raum besteht nach wie vor für viele, für neue Anbieter und auch für klassische Banken. Einzig für nicht oder sehr schwach digitalisierte Mitbewerber dürfte die Luft zunehmend dünner werden. Der ausschliessliche Fokus auf interne Prozesse kann Kosten optimieren, dürfte aber nicht den Zugang auf den Erfolgspfad öffnen. Mit im Vordergrund müssen die für Kunden sichtbaren und erlebbaren Auswirkungen der Digitalisierung und der Innovations-Strategien stehen.

Kunden haben sich längst an digitalen Komfort gewöhnt. Und es wird laufend von allen Seiten noch mehr digitaler Komfort erdacht, entwickelt und geboten. Dieser Welle mit Rezepten und Prozessen aus dem letzten Jahrhundert zu begegnen, dürfte sich mittelfristig als chancenlos erweisen.