Vollgeld

Reaktionen zur Vollgeld-Initiative

Bundesrat Ueli Maurer präsentiert an der Medienkonferenz vom 9. November 2016 die Haltung des Bundesrates zur Vollgeld-Initiative
Bild: Getty Images | Creatas

Die Vollgeld-Initiative will die Geld- und Finanzmarktordnung in der Schweiz grundlegend ändern. Reaktionen zum Vorstoss.

Was es ist

Die Initiative "Für krisensicheres Geld: Geldschöpfung allein durch die Nationalbank! (Vollgeld-Initiative)" ist am 1. Dezember 2015 eingereicht und am 9. November 2016 vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen worden.

Im Kern will die Vollgeld-Initiative das Finanz- und Bankensystem tiefgreifend verändern: Der Bund allein soll Münzen, Banknoten und Buchgeld als gesetzliche Zahlungsmittel schaffen – gewissermassen eine Verstaatlichung des Geldwesens. Banken dürften Kredite nur noch mit Geld gewähren, das sie real besitzen, die Schaffung von Buchgeld wäre Banken dadurch untersagt. Neu geschaffenes Geld soll über die Nationalbank schuldfrei in Umlauf gebracht, das heisst Bund und Kantonen zugewiesen oder an Bürgerinnen und Bürger verteilt werden. Die Initiative im Original-Text:

Das Thema der Initiative liest sich auf den ersten Blick einfach, bleibt jedoch sehr komplex – Volkswirtschaft und Finanzsysteme funktionieren in ihrer Vernetzung noch komplexer. Deshalb tun sich selbst Experten schwer, die Initiative in ihren möglichen Auswirkungen bis ins Detail schlüssig durchzudenken. Die Vorlage lanciert einen Alleingang der Schweiz, mit hohem Risiko und praktisch nicht vorhersehbaren Folgen.

Der Bundesrat nimmt Stellung

Der Bundesrat empfiehlt dem Parlament die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung. Die Gründe, ausgeführt durch Bundesrat Ueli Maurer an der Medienkonferenz am 9. November 2016:

Mit der Annahme der Initiative würde die Schweiz zum Experimentierfall für unerprobte Reformen, die Geldpolitik der SNB würde massiv erschwert und die Risiken für die Schweizer Wirtschaft wären erheblich. Der Bundesrat sieht in der schuldfreien Schaffung von Geld eine Gefährdung der Glaubwürdigkeit der SNB. Zudem würde das Geschäftsfeld der Banken erheblich eingeschränkt, da Kreditvergaben nicht mehr durch Sichteinlagen finanziert werden dürften. Schliesslich befürchtet der Bundesrat die Gefahr steigender Kosten für den Zahlungsverkehr für Bankkunden.

Bundesrat Maurer hebt hervor, dass das Anliegen der Initiative nach mehr Sicherheit und Stabilität grundsätzlich verständlich wäre, die Mittel und Wege dazu jedoch falsch gewählt und schlicht gefährlich.

«Wir lehnen Experimente mit unbekanntem Ausgang ab. Weil der Schaden, der daraus entsteht, unendlich gross sein könnte.»

Ueli Maurer, Bundesrat

Meinungen und Statements zur Initiative

Die Ressonanz von Medien, Verbänden und Institutionen zur Vollgeld-Initiative ist gross und wird in den nächsten Monaten noch zunehmen. Einige Beispiele:

  • Schweizerische Bankiervereinigung: SBVg lehnt die Initiative entschieden ab
    Die SBVg unterstreicht die "unkalkulierbaren Risiken eines solchen System-Umbaus" und fasst die Gründe für die entschiedene Ablehnung in sechs Argumenten zusammen.
  • NZZ: Die Schweiz als Versuchskaninchen
    «Die Vollgeld-Initiative verspricht ein spannendes Experiment. Viel besser für die Schweiz wäre es aber, wenn ein anderes Land als Versuchskaninchen herhalten würde.»

    Hansueli Schöchli, Wirtschaftsredaktor der NZZ, bietet in seinem Artikel eine Variante, wie der Bundesrat die Vollgeld-Initiative etwas positiver hätte kommentieren können:

    «Wir würden es begrüssen, wenn zum Beispiel die Schweden das Vollgeld-Experiment wagten. Ist dieses erfolgreich, werden wir auch ernsthaft darüber reden. Und falls es scheitert, können wir die Sache vergessen.»

    Schöchli im Kommentar zu seinem Vorschlag: «Bleibt nur eine Frage: Was sagen die Schweden?»
     
  • 20 Minuten: Wie würde Vollgeld die Schweiz verändern?
    Wirtschaftsredaktor Kaspar Wolfensberger fasst die zentralen Punkte der Initiative mit Pro- und Kontra-Argumenten in verständlicher und lesbarer Form zusammen.

    Detail am Rande: In der eingelinkten Kurzumfrage sprechen sich über 50 Prozent der rund zehntausend Teilnehmer für eine Annahme der Vollgeld-Initiative aus.
  • Handelszeitung: SNB-Chef Jordan stellt sich gegen Vollgeld
    Die Handelszeitung fasst Meinung und Argumente von Thomas Jordan (Präsident Nationalbank) zur Vollgeld-Initiative zusammen.
  • Forbes: Ein lesenswertes Statement zwischen ironisch und zornig
    Journalist und Ökonom Tim Worstall, Senior Partner bei Adam Smith Institute, schreibt sich zur Initiative der Schweizer erst warm und dann zunehmend in Rage.

Über das Stichwort "Vollgeld-Initiative" auf Google finden sich hunderte von Artikeln und Statements zum Thema. Die Diskussion wird schon seit längerem und offensichtlich sehr engagiert geführt.

Herausforderungen

Schweizer Wahlberechtigte werden Ende 2017 oder Anfang 2018 darüber abstimmen, ob Vollgeld das bessere Geld sein kann oder ob damit ein gefährliches Hochrisiko-Experiment mit ungewissem Ausgang für den Finanzplatz Schweiz und für den Zahlungsverkehr gestartet wird.

Die Herausforderung bei diesem Thema liegt darin, die Komplexität der Vorlage deutlich zu machen. Die betroffenen Bereiche und Systeme sowie mögliche Auswirkungen und Risiken national und international zu erklären. Klar und verständlich – für Menschen und Nicht-Experten, für die abstimmende Bevölkerung.

Ein hoher Anspruch. Zumal sich auch Experten schwertun, die Vorlage auf denkbare Konsequenzen durchzudeklinieren und das Ganze in Ausführungen zu fassen, die begreifbar bleiben und deshalb ankommen.

Eine persönliche Betrachtung zum Thema

Das Schweizer Volk stellt in gut einem Jahr mit einem schlichten Ja oder Nein eine bedeutende Weiche für die Zukunft des Finanzplatzes Schweiz. Die Argumente der Initianten lesen sich eingängig:

"Echte Franken für alle, sichere Konten, Entlastung der Steuerzahler, faire Marktwirtschaft, das traditionelle Bankgeschäft wird gefördert, Geld auf dem Konto wird so sicher wie Bargeld, schuldfreie Übergabe von neuem Geld an Bund, Kantone oder Bürgerinnen und Bürger, neue Stabilität, schrittweise Entschuldung."

Echtheit, Sicherheit, Stabilität und mit etwas Glück gibt's noch Geld für alle von der Nationalbank, einfach so. Klingt doch gut. Und auch verlockend. Zudem löst sich in den umfangreichen FAQ jedes denkbare Gegenargument auf, irgendwie stimmig.

Das Schweizer Volk beweist bei Abstimmungen immer wieder Vernunft und Pragmatismus. Vordergründige Vorteile werden abgewogen gegen mögliche negative Auswirkungen. Zum Beispiel 2012 hat sich die Schweiz, zum grossen Erstaunen ausländischer Medien, deutlich gegen die Vorlage "6 Wochen Ferien für alle" ausgesprochen. 66.5 Prozent sagten Nein, obschon doch 6 Wochen Ferien klasse wären. Die Vorteile waren klar, die Nachteile aber eben auch, weil sie sich eher leicht haben erklären lassen.

Gefahren und Risiken der Vollgeld-Initiative deutlich zu machen, dürfte sehr viel schwerer fallen. Weil Abhängigkeiten, Einflussfaktoren und Vernetzung von Banken, Geldsystem, Zahlungsverkehr in Verbindung mit Buchgeld und Schaffung von Geld für viele Menschen verständlicherweise oftmals abstrakt bleiben.

Offenheit, Klarheit und das Herunterbrechen der Komplexität des Themas auf erkennbare eigene und mögliche Betroffenheit werden wichtig, um verstanden zu werden. Sehr viel stärker als bei anderen Abstimmungen werden nicht primär Grösse und Breite der Kampagnen zu entscheidenden Faktoren. Vielmehr Absender, Sensibilisierung für Zusammenhänge und Plausibilität – fassbar, klar und einfach präsentiert. Um bei breiten Bevölkerungsgruppen anzukommen und um ein Bewusstsein für die volle Tragweite der Entscheidung zu schaffen.

Gefährlich wäre, die Brisanz der Vorlage zu unterschätzen. Zumal im Erinnerungsumfeld von Finanz- und Bankenkrisen vermeintlich einfache und auf den ersten Blick auch einleuchtende Rezepte angeboten werden, die neue Sicherheit für alle schaffen sollen. Die kluge Dramaturgie im Umgang mit Inhalten und Information im Vorfeld der Abstimmung wird mitentscheiden, wie sich der Finanzplatz Schweiz in Zukunft entwickeln kann. Die ersten Hürden sind mit der klaren Haltung des Bundesrates genommen.