Blockchain Fachtagung Mai 2017

Bild: Oscar Neira | Fachtagung Blockchain 2017 | Swiss Payment Forum

Wen beschäftigt die Blockchain in der Schweiz? Und was bringt die Blockchain der Finanzbranche? Referenten, Fakten und Meinungen zu einem komplexen Thema.

Das Swiss Payment Forum hat die Fachtagung zur Blockchain zum ersten Mal auf die Agenda gesetzt. Die Tagung wird moderiert von Damir Bogdan, ehemaliger CIO und Head of Operations bei Raiffeisen, aktuell Gründer und Berater Digitalisierung bei Actvide.

Die Blockchain als Technologie und Phänomen beschäftigt natürlich die ganze Welt, die Veranstalter haben deshalb darauf geachtet, auch direkte Bezüge zur Schweiz zu schaffen. Von unserer Redaktion mit dabei: Oscar Neira, mit Notizen und Kommentaren zu Referenten und Themen.

Basiswissen: Das Grundsätzliche zur Blockchain

Unter der Flagge "Blockchain in a Nutshell" präsentiert Dr. Beate Schmitz, was die Blockchain ist und wohin die Entwicklung gehen kann. Beate Schmitz ist Seniorberaterin Payment Standards & Services bei SIZ, einem Gemeinschaftsunternehmen der deutschen Sparkassen-Finanzgruppe. Schmitz versucht, das Phänomen Blockchain so einfach wie möglich zu erklären, angepasst auf die unterschiedlichen Wissensstände im Auditorium.

In einem Satz
Die Blockchain ist digitalisiertes Vertrauen. Hat man das verinnerlicht, hat man das Wesentliche schon mal verstanden.

Etwas detaillierter am Beispiel von Bitcoin
Es gibt ja nicht die Blockchain, aber die grösste und älteste ist allen bekannt: die Bitcoin Blockchain. Diese Technologie heisst so, weil unveränderbare Datenblöcke gebildet werden, in denen Transaktionen enthalten sind. Diese Datenblöcke werden in einer Kette (Chain) nacheinander eingefügt. Dies ergibt ein Distributed Ledger, also ein verteiltes Kassenbuch/Buchungssystem. Wieso verteilt? Weil diese Kette an Blöcken (Blockchain) nicht auf einem zentralen Computer läuft, sondern verteilt über tausende. Und bei jedem neuen Block, kontrollieren diese tausende von Computern, ob der vorhergehenden Block unverändert ist und speichern den neuen Block ab. Das ist im Prinzip das geniale System.

Die Blockchain von Bitcoin ist offen und für alle frei einsehbar. Zum Beispiel unter www.chain.so oder www.blockchain.info können Statistiken sowie alle bisher getätigten Transaktionen nach- und auch live mitverfolgt werden. Es sind ja keine Namen gespeichert sondern ellenlange Nummern. Man kann also seine persönliche Nummer suchen und sämtliche Transaktionen anschauen, die man getätigt hat. Das gleiche gilt natürlich, wenn man des Nachbarn persönliche Nummer kennt.

Bitcoins und Handelsplätze
Um die Verknüpfung der realen Welt mit Bitcoins zu schaffen, also CHF, USD, EUR in Bitcoins zu wechseln, nutzt man eine der zahlreichen Handelsplätze (Exchanges). Einer der führenden Anbieter ist www.kraken.com aus den USA. Oder www.bitstamp.net, der erste Exchange der die Zulassung als Zahlungsanbieter in der EU erhalten hat, nämlich im April 2016 in Luxemburg. Weitere bekannte Plattformen sind auch www.bitcoin.de oder die Schweizer Antwort www.bitcoinsuisse.ch.

Smart Contracts
Andere Blockchains beinhalten keine "Münzen", sondern Verträge. Da ergibt sich eine dynamische Anwendung und automatische Ausführung und Abwicklung dieser Verträge, was diese zu Smart Contracts macht. Die AVBs, also das "Kleingedruckte" oder die Vertragsbedingungen, werden unveränderbar hinterlegt. Bei Eintreffen eines vorher definierten Ereignisses, beginnt die Ausführung und damit die Abwicklung des Vertrages in definierten Schritten automatisch. Hier sind die bekanntesten Plattformen und Beispiele Ethereum und Ripple.

Anwendungen und Nutzen
Bisher lässt sich über das WorldWideWeb, also über das Internet, alles innerhalb von Sekunden weltweit teilen – allerdings immer auf der Basis einer Kopie. Zum Beispiel bei einer Word-Datei bekommt ja der Empfänger nicht das Original, welches man geschrieben hat, sondern eine identische Kopie. Mit der Blockchain-Technologie lassen sich zum ersten Mal Originale verwenden, die für alle sichtbar in der Blockchain hinterlegt sind.

Nach Beate Schmitz hat die Blockchain das Potenzial, die heute genutzten Transaktionssysteme der Finanzdienstleister infrage zu stellen. Ein Szenario sieht sie zum Beispiel bei Instant Payments auf Blockchain-Basis, weil durch die unmittelbare Abwicklung der Transaktion die ständige Überwachung von Salden verschiedener Anlageverbindlichkeiten zwischen den Transaktionspartnern entfallen würde. Weitere Szenarien sieht Schmitz zum Beispiel in der Anbindung der Banken an die Nationalbank über eine Blockchain. Aber auch im internationalen Warenhandel (Supply Chain) sind Lösungen machbar.

Selber testen
Beate Schmitz empfiehlt, ein Bitcoin-Konto zu eröffnen, Bicoins zu erwerben und die Blockchain ganz direkt selber zu testen, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Oder man kann auch gleich eine eigene private kleine Blockchain aufbauen oder einen Dienst wie BaaS (Blockchain-as-a-Service) nutzen. Blockchain ist bereits heute nicht mehr Theorie, die Praxis ist für jeden in Reichweite.

SIX und die Blockchain

SIX ist sich der Situation bewusst, dass durch die Blockchain möglicherweise bestimmte Geschäftsbereiche disrupted werden könnten. Deshalb forscht man bei SIX intern selbst, prüft mögliche Einsatzbereiche und experimentiert mit der Technologie, so Marc Studer, Head Innovation Management DSS bei SIX Securities Services.

Mit der Blockchain-Technologie erhofft sich SIX eine effizientere und somit günstigere Form, um zum Beispiel Wertschriften-Abrechnungen durchzuführen.

Bei Innovationen geht es nicht darum, Bestehendes in kleinen Schritten immer ein bisschen besser machen (Kostenreduktion/Effizienzsteigerung). Studer definiert Innovation in Richtung von neuen Geschäftsfeldern, die auch zusätzlichen Umsatz bringen können.

Zurückhaltend bleibt Marc Studer bei Pognosen und Zeitangaben, also bis wann solche Technologien spruchreif werden könnten. Man ist dabei und man ist dran.

UBS und die Blockchain

Bei der UBS ist sehr spürbar, dass das Thema Blockchain nicht bloss ein Randthema ist. Als teilnehmende Bank am Level 39 betreibt die UBS ein Fintech Lab in London, forscht und entwickelt schon seit längerem Zeit an der Blockchain und an anderen neuen Technologien.

Bei folgenden Geschäftsvorfällen sehen die Referenten von UBS, Martin Rindlisbacher, Senior Business Architekt und Annika Schröder, Director Group Innovation, konkrete Potenziale: Ein Loyalty Programm in der Blockchain oder Smart Bonds, bei denen der Regulator, die Bank, der Investor und der Emittent verbunden sind und die Zinszahlung automatisch abläuft.

Ein weiteres, grösseres Projekt, welches von der UBS geführt zusammen mit verschiedenen Banken verfolgt wird, ist ein Trade Finance Projekt. Trade Finance scheint prädestiniert zu sein für die Blockchain, weil in der Regel viele Mittelsmänner und Parteien im Spiel sind und bis heute noch sehr viel Papier notwendig ist.

Das Projekt, von dem man am meisten hört und das vermutlich auch in fortgeschrittenem Entwicklungsstadium seht: der USC (Utility Settlement Coin). Dabei führen die teilnehmenden Banken ein Fiat Currency Depot bei der Bank of England, rechnen jedoch beim internationalen Zahlungsverkehr untereinander bloss über die Blockchain und mit USC ab. Zurzeit sind Banco Santander, Deutsche Bank und ICAP dabei.

Die Blockchain in der Logistik: Project Inventory Finance

Ein weiteres Projekt im Bereich des internationalen Handels, ist das sogenannte "Project Inventory Finance", präsentiert durch Beije Aljosja, selbstständiger Berater im Bereich Logistik. Dieses niederländische Projekt will, im Gegensatz zur UBS, welche eher die Finanzen im Blick hat, die Administration im ganzen Logistik-Bereich optimieren. Mit der Blockchain will man eine ganze Horde an sogenannten "Middleman" aus dem System nehmen und die Abläufe in der Logistik damit effizienter und günstiger gestalten.

Man könnte, als Beispiel, Versicherungen direkt an der Basis und auch direkt mit der Blockchain verbinden. Schadenfälle und Ereignisse, wenn also zum Beispiel gewisse Parameter wie Gewicht, Feuchtigkeit, Kälte nicht eingehalten sind, werden registriert und die Schadenregulierung kann nach vorgegebenen Kriterien automatisch erfolgen.

Das Projekt, initiiert durch Aljosja und in Zusammenarbeit mit ABN Amro, Innopay, Exact, BeScope und NKB, verfolgt das Ziel, ein Proof of Concept zu erstellen und danach einen Pilot-Kunden damit zu bedienen. Basis ist dabei die Ethereum Smart Contracts Blockchain. Ein sehr sinnvolles Projekt, welches auch KMUs offensteht und nicht nur von den allergrössten der Branche genutzt werden kann.

Die Hochschule und die Blockchain

OTC-Geschäfte bei Wertschriften, zum Beispiel für Valoren einer Schweizer Seilbahn oder der Fähre Horgen-Meilen, sind genau das wofür der Namen steht: "Over The Counter", also Handelsgeschäfte "über die Ladentheke" ohne Support und Kontrolle einer Börse. Dennoch sind diese Geschäfte der FINMA unterstellt und müssen eine gewisse Transparenz aufweisen. Und wie macht man das? Mit sehr viel Papier, Rapporten und Zeit.

Dieser Herausforderung hat sich die Hochschule Luzern angenommen. Zusammen mit Dr. Mathias Bucher, Dozent IFZ/HSLU sowie Gründer und CEO von Blockchain-Innovation.com, ist das Programm "OTC Swiss Blockchain" ins Leben gerufen worden. Dabei geht es darum, wie man eine Blockchain aufbauen könnte, bei welcher der gesamte Handel automatisch abläuft und durch Vergabe von verschiedenen Einsichtsrechten (zum Beispiel der Regulator sieht alles, der Käufer sieht nur die Käufer-Seite etc.) nicht nur die Transparenz gegeben ist, sondern auch die Privacy erhalten bleibt und schützt, was eben nicht alle sehen sollten.

Mathias Bucher regt zudem an, dass sich die SNB Gedanken über einen "Crypto Schweizer Franken" machen sollte. Solange es diesen nicht gibt, müssen die Zahlungen immer noch separat entweder zu den Banken oder ins SIX Clearing System gespeist werden.

Die Forscher und die Blockchain

Über Distributed Ledger Technologie referieren die jungen Forscher und Studenten Ante Plazibat und Johannes Wotzka vom BEI-Business Engineering Institute St. Gallen der Universität St. Gallen. Sie referieren nicht nur, vielmehr führen sie mit mitreissender Begeisterung und Engagement aus, wie man eine gute Blockchain aufbauen könnte, um das grosse Problem von KYC (Know Your Customer) besser zu lösen. Die beiden Forscher zeigen auch gleich mit einer Live-Demo, dass ein solches System für Banken sehr vieles vereinfachen kann beim Onboarding-Prozess.

Die Polizei und die Blockchain

Den Schlusspunkt bilden die Herren der Kantonspolizei Zürich, Abteilung Cyberkriminalität. Sie beleuchten die Digitalisierung aus der Sicht der Strafverfolgungsbehörde. Mit der Bemerkung, dass Cyberkriminalität in der Schweiz noch sehr stiefmütterlich behandelt wird und einzig der Kanton Zürich eine eigene Abteilung unterhält. Die anderen Kantone stützen sich auf die Bundesbehörde.

Die Herren Mike Hotz, Dienstchef Digitale Ermittlungen, und Max Preisig, Dienstchef des Dienstes Cyber Ermittlungen, führen durch eindrückliche Fallbeispiele. Eines davon zeigt, dass auch die Polizei lernen musste, mit den neuen digitalen Medien und Technologien umzugehen.

Im Jahr 2015 wurde auf dem Computer einer Person, welche Drogen über das Darknet verkaufte, ein Guthaben von 5 Bitcoins festgestellt, was damals einem Wert von ca. CHF 3’000.– entsprach. Im Online Wallet hat der Beamte die Zugangsdaten verändert und war der Meinung, er hätte das Guthaben so gesichert. Als ein gutes Jahr später die Staatsanwaltschaft auf dieses Guthaben zugreifen wollte, wurde bloss ein leeres Wallet gefunden. Der Täter hatte sich über die Code-Wiederherstellungsfunktion wieder Zugriff auf das Wallet verschafft und die "Beute" anderswo gebunkert.

Die Polizei profitiert in ihrer Arbeit ebenfalls vom "Gedächtnis" der Blockchain. Für die Ermittler haben Blockchain und Bitcoin einen überzeugenden Vorteil: Hat man Zugriff auf den Private Key, lassen sich sämtliche Transaktionen rekonstruieren, lückenlos, seit dem ersten Tag. Transaktionen und History sind nicht veränderbar und bleiben gespeichert, damit kann man arbeiten.

Ein sehr kurzweiliges Referat über Sicherheit, DDoS-Attacken, Fraud, Bitcoin-Serverfarmen in China, Darknet und was in diesem Netzwerk alles gehandelt wird.

Aufschlussreich und spannend, auch in diese Seite der Entwicklung nähere Einblicke zu erhalten.

Speed Debating

Die letzte Stunde gehörte nicht einem Podium mit Experten hier und Zuhörern dort – die Veranstalter haben auch dieses Mal beide Gruppen gemischt für eine Stunde interaktives Speed Debating. Meinungen austauschen, mit Experten und Teilnehmern diskutieren, Fragen stellen, kontroverse Ansichten hören, Urteil bilden und mehr. Ein spannender und lebendiger Abschluss der Blockchain Fachtagung.

Stichworte zum Thema im Lexikon: Blockchain | Smart Contract | Bitcoin | KYC