Kartenzahlungen

16 europäische Banken wollen sich gemeinsam mit Worldline und Nets von Mastercard und Visa unabhängig machen

Junge Frau mit Kreditkarte in der Hand
Bild: andresr | Getty Images

Die European Payments Initiative (EPI) verfolgt hochgesteckte Ziele – so spannend das Projekt, so hürdenreich ist auch der Weg zu einer tragfähigen Lösung.

Europa rennt in verschiedenen Bereichen Asien und den USA in Sachen Technologie und Innovation hinterher. Das gilt auch für die Finanzindustrie bei Zahlungssystemen und Finanzdienstleistungen.

Seit einiger Zeit rennen die USA teilweise mit, aktuell zum Beispiel bei digitalen Zentralbankwährungen (CBDC) – da fürchten die USA und Europa gemeinsam den Vorsprung und eine mögliche Dominanz von China. Der digitale Yuan ist seit einigen Wochen Tatsache und bereits in ausgewählten Regionen testweise im Einsatz, derweil Europa und die USA noch im Stadium von Planungsrunden Ideen und Vorgehenspläne sortieren und um Abstimmung bemüht das Thema zumindest gedanklich forcieren.

Im Kartengeschäft brauchen die USA jedoch nicht zu rennen, mit Mastercard und Visa besetzen zwei Kartenorganisationen die zentralen Positionen und kommen gemeinsam auf einen Marktanteil von rund 70 Prozent weltweit.

Eine harmonisierte Zahlungslösung in Europa soll die Luft für Mastercard und Visa dünner werden lassen

Die European Payments Initiative (EPI) möchte Europa von Abhängigkeiten befreien – insbesondere von der Dominanz der USA. Im Speziellen von Mastercard und Visa, welche den Zahlungsverkehr im Bereich Zahlkarten dominieren. Auch in Europa, nach Angaben der Deutschen Bundesbank laufen mehr als zwei Drittel der europäischen Kartentransaktionen über die Netzwerke von Mastercard und Visa. Eine Dominanz, die sich in den nächsten Jahren eher noch verstärken wird: Big Techs und auch europäische Technologie-Unternehmen, welche bankähnliche Finanzdienstleistungen mit eigenen Karten in Planung haben, docken in der Regel bei Netzwerken und Lösungen mit breiter Abdeckung an. Kein Zweifel, dass bevorzugt Mastercard und Visa zum Zug kommen werden.

Die EPI als Europäische Zahlungsverkehrsinitiative hat sich mit der Unterstützung der Europäischen Zentralbank (EZB) auf die Flagge geschrieben, diese Vorherrschaft zu brechen. Durch ein eigenes System, das Instant Payments (SEPA Credit Transfer Instant, SCT Inst) zum Durchbruch verhelfen und dabei eine Karte, eine digitale Geldbörse (Wallet) und P2P-Zahlungen im Angebot haben soll.

Die neue Zahlungslösung soll in Europa zum Standard werden, welche Konsumenten und Händler bei Shop-Zahlungen verbindet, selbstverständlich Online-Zahlungen, mobile Zahlungen und auch Bargeldbezug möglich macht. Erklärtes Ziel: den Markt Europa zurückerobern, mit vereinten Kräften zahlreicher Banken und durch den Einbezug von Partnern, die gemeinsam ein eigenes Zahlungs-Ökosystem auf dem Kontinent aufbauen und etablieren. Die EZB geht einen Schritt weiter und formuliert nach Erreichen der europaweiten Durchdringung langfristig auch globale Reichweite.

Der aktuelle Stand des Projekts

Die Initiative ist schon länger am Köcheln und zum ersten Mal Anfang Juli 2020 von verschiedenen teilnehmenden Banken und auch von der Europäischen Zentralbank (EZB) etwas konkreter vorgestellt worden. 

Letzte Woche haben die Mitgliedsbanken und deren Partner in einer gemeinsamen Erklärung die aktuellen Fortschritte präsentiert. Die ehrgeizigen Ziele sind geblieben, inzwischen ist eine Interims-Gesellschaft gegründet worden, welche das Projekt vorantreiben soll. Beteiligt an der Gesellschaft sind momentan 16 Banken sowie seit kurzen zwei Zahlungsdienstleister: die französische Worldline und die dänische Nets.

Weitere Beteiligungen sind angekündigt, bereits in den nächsten Tagen sollen neue Anteilseigner dazustossen, meldete der Vorstandsvorsitzende der Interims-Gesellschaft Dr. Joachim Schmalzl, Vorstandsmitglied Deutscher Sparkassen- und Giroverband (DSGV). Zur CEO der neuen Gesellschaft ist Martina Weimert, Partnerin bei Oliver Wyman, ernannt worden.

Das europäische Bezahlverfahren und die Karte sollen unter einer neu geschaffenen, einheitlichen Marke segeln. Der Terminplan ist sportlich, das neue Bezahlsystem soll in zwei Jahren in den Markt gehen. Thierry Laborde, stellvertretender Generaldirektor von BNP Paribas, formulierte gegenüber dem Handelsblatt eine stolze Zielmarke: 

Ziel ist es, dass die europäische Marke bis 2025 rund 65 Prozent der Zahlungen in Europa abwickeln wird

Vorgesehen ist, das neue System 2022 in den Markt zu stellen – das Ziel der 65 Prozent sollte demnach in drei Jahren erreicht werden.

Wie ist die europäische Initiative einzuordnen?

Grundsätzlich ist die gemeinsame Initiative als starkes und ambitioniertes Vorhaben positiv zu werten. Gelingt das Projekt, würde sich Europa in einem zentralen Bereich der Finanz- und Zahlungssysteme ein Stück Unabhängigkeit zurückerobern und sichern. Die jüngere Vergangenheit hat gezeigt, das technologische Abhängigkeiten auch politisch als Druckmittel genutzt werden können, was Europa in seiner Entscheidungsfreiheit empfindlich einschränken kann.

Die Ziele sind allerdings sehr hoch gesteckt, zumal die Initiative gegen die längst etablierten und funktionierenden Netzwerke und Systeme von Mastercard und Visa antreten will.

Müssen Mastercard und Visa zittern?

Vorderhand noch nicht, weil die Hürden sehr hochgelegt sind und zahlreiche Fallstricke das ehrgeizige Projekt ausbremsen können. Um nur einige Beispiele aus unserer Sicht zu nennen:

Die Zusammensetzung der Interims-Gesellschaft
Können 16 Banken und zwei Zahlungsdienstleister dieses Riesenprojekt stemmen? Das Konsortium soll sich erweitern, aber auch mit einigen Neuzugängen und prominenter Besetzung bleibt das Projekt als Angriff gegen die bestehende Kartenwelt sehr ambitiös.

Wären nicht einfach "nur" Banken im Lead, sondern sämtliche Länder der EU, unterstützt von allen relevanten Banken, hätte die Initiative deutlich grössere Chancen.

Dass Worldline und Nets mit im Boot sind, ist sehr positiv zu bewerten. Dadurch ist der Zugang zum Handel geschaffen und die zentral wichtige Schnittstelle zu Terminals vorhanden.

Die Hürde der Einigkeit
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass grosse Pläne oftmals an völlig unterschiedlichen Meinungen und Vorstellungen der verschiedenen Teilnehmer gescheitert sind. Einigkeit in Bezug auf Verfahren, gemeinsame Standards und mehr erfordert von allen Beteiligten Kompromisse. Und auch die Bereitschaft zu einer gewissen Unterordnung für die Sache, um das grosse Ziel erreichen zu können. Ob das wachsende Konsortium diese Hürde meistern kann, bleibt offen.

Wer soll das bezahlen?
Aktuell werden die Kosten auf mehrere Milliarden Euro geschätzt. Die Banken hoffen hier auf die Unterstützung aus einem der Töpfe der Europäischen Kommission. Auch hier, wäre die Initiative nicht "nur" ein Projekt europäischer Banken sondern ein EU- und damit ein Länderprojekt, wäre nicht nur der Rückhalt sehr viel stärker, auch die Finanzierung wäre gesichert.

Wie spielen sich die Investitionen zurück?
Die Spielräume für Erträge im Zahlungsverkehr sind eher gering. Neu kreierte Gebühren oder auch Übertreibungen bei den gewohnten Gebühren würden dem Projekt von Anfang an den Wind aus den Segeln nehmen. Ergo braucht es einen langen Atem aller Beteiligten, bis sich getätigte Investitionen zurückspielen werden.

Die möglicherweise grösste Hürde: Wer wird die europäischen Karten nutzen?
Ein ausgeprägter EU-Patriotismus ist nicht in Sicht und darf nicht vorausgesetzt werden. Folglich müssen konkrete Anreize im Vordergrund stehen, um neue und vor allem auch bestehende Kartennutzer zum Einsteigen oder zum Wechseln zu bewegen. Kann die neue Bezahlkarte weniger oder nur gerade das, was Mastercard und Visa heute schon können, wird das keine Wechselwelle auslösen. Auch und gerade dann nicht, wenn Banken ihre Kunden mit Druck in Richtung einer bestimmten Karte lenken wollen.

Die Karte, das Bezahlsystem und das Ökosystem müsste deshalb so gestrickt sein, dass in Sachen Komfort, Leistungen, Möglichkeiten oder Preis echte und fassbare Mehrwerte für Nutzer und Kundinnen geboten werden. 

Fazit

Das Projekt ist so ambitioniert wie auch spannend. Und notwendig ist es auch, weil für Europa und die EU globale Augenhöhe nur dann zu erreichen ist, wenn USA- und Asien-Systemen auch Europa-Systeme mit grossartiger Technologie gegenüberstehen. Nicht als Konkurrenz, vielmehr als eigenes Angebot, das Europa unabhängig macht und dennoch mit dem Rest der Welt verbindet. Das gilt für zahlreiche Bereiche, auch für die Finanz- und Zahlungsindustrie.

Europa ist in Sachen Technologie und Innovation gegenüber Asien und den USA in mehreren Sparten im Hinterteffen. Jede Initiative, welche die Kraft hat, diese Distanzen zu verringern, ist ein Gewinn. Wünschbar wäre, dass das Erreichen dieser hochgesteckten Ziele nicht ausschiesslich oder nicht vor allem den jeweiligen Marktteilnehmern überlassen wird. Projekte mit elementaren wirtschaftlichen und politischen Dimensionen sollten auf Länder- oder EU-Ebene angebunden sein. Das kann die Chancen auf Finanzierung, Realisierung und Durchsetzung der Ziele markant erhöhen.