Die klassische Finanzwelt trifft auf ihre Herausforderer aus dem digitalen Zeitalter. Eines vorweg: die Distanzen zwischen beiden Welten sind kürzer geworden, Kooperation und Kollaboration stehen im Vordergrund. Die Herausforderungen sind nur gemeinsam zu schaffen. Unser Korrespondent, Oscar Neira, war mit dabei an der digitalen Finanzkonferenz.
Aufgefallen: Neben den "grossen" übergeordneten Themen zur Digitalisierung der Finanzbranche spielt sich in den Diskussionen ein interessantes Stichwort verstärkt und immer wieder mit in der Vordergrund: Welche Auswirkungen hat die PSD2 für die Schweiz? Wir von ISO-20022.CH scheinen nicht die Einzigen zu sein, welche eine klare Haltung, ein Statement und einen Plan der offiziellen Schweiz zum Thema vermissen.
Swiss Digital Finance Conference 2017
Prof. Dr. Georges Grivas, Hochschule Luzern – Informatik
Die Bedeutung von FinTech für die Gegenwart und für die Zukunft der Finanzbranche ist inzwischen überall angekommen. Grivas legt den Finger in diesem Zusammenhang auf einen irritierenden Punkt: Betrachtet man die absoluten Zahlen, dann sind nach Swiss Venture Capital Report im Jahr 2016 nur 50 Millionen an Investitionskapital in Schweizer FinTechs geflossen. Das ist bloss 0.3 Prozent des gesamten weltweiten FinTech-Investitionskapitals. Was bedeutet das?
«Investoren, habt mehr Mut!», appelliert Prof. Dr. Georges Grivas und fordert Banken und Venture Capital-Unternehmen auf, sich gegenüber FinTechs mehr zu öffnen. Bei Kooperationen und bei Investitionen.
Grivas gibt einen Überblick über die disruptiven Technologien, welche die nächsten Jahre dominieren werden: Der Mobile Trend geht weiter, Artificial Intelligence und Big Data gehören zu den heissen Themen, in den Bereichen Virtual Reality und Augmented Reality werden wir noch weitere interessante Sachen sehen und schliesslich: die Blockchain. Die Technologie, die aktuell noch am wenigsten ausgereift ist von den genannten Technologien, allerdings: die Blockchain hat das Potenzial, alles auf den Kopf zu stellen.
Die grösste Gefahr steht vor der Türe
Grivas wirft ein warnenden Seitenblick auf eine aktuelle und konkrete Entwicklung: Was hier und jetzt für Banken am gefährlichsten ist, das ist das Thema PSD2. Diese europäische Direktive wird das Banking komplett verändern.
Banking at the tipping point?
Oliver Bussmann, Founder & Managing Partner, Bussmann Advisory
Der Keynote Speaker ist gut gewählt. Man merkt Oliver Bussmann an, dass er die letzten Jahre als Group CIO der UBS nicht in einem Elfenbeinturm der internationalen Grossbanken gelebt hat, sondern vielmehr über ein riesiges fachliches Know-how verfügt, das er in Zukunftsvisionen "umsetzt" und präsentiert.
«Der Middleman wird durch die Blockchain stark unter Druck kommen», meint Bussmann. Denn diese Technologie erlaubt es, Transaktionen mit absoluter Sicherheit einmalig und direkt, also "im Original" elektronisch abzuwickeln – und nicht wie bisher im Internet, bei dem "Kopien" versandt werden.
Oliver Bussmann führt FinTechs an, welche ein disruptives Potenzial haben, unter anderen und zum Beispiel: Ripple. Basierend auf der Blockchain-Technologie. wird der internationale Zahlungsverkehr nicht nur um vermutlich 90 Prozent günstiger, sondern auch schneller. Oder Sqreem, ein Kundenberatungs-Tool welches Artificial Intelligence einsetzt. UBS hat bereits einige Versuche damit gestartet.
Bussmann führ auch die neu gegründete Crypto Valley Association ins Feld. Das ist die Initiative mit breiter Trägerschaft, welche die Zentralschweiz als Standort für Startups im Zusammenhang mit der Blockchain fördern und stärken soll.
Digitale Transformation und unterschiedliche Geschwindigkeiten
Dr. Kurt Mäder, Group COO, Liechtensteinische Landesbank
Mäder präsentiert, wie die LLB die Digitalisierung vorantreibt. Die Video-Identifikation wurde innerhalb von sechs Wochen durchgeboxt und eingeführt. Das zeigt, wenn in der Bank von oben bis unten alle am selben Strick ziehen, kann man sehr schnell Neuerungen einführen. Beratungen über Videochat, Unterstützung der Berater durch Robo Advisory – das ist bei LLB heute schon Realität.
Die Herausforderungen liegen jedoch nicht nur in der Digitalisierung an sich, sondern auch in den unterschiedlichen Geschwindigkeiten der verschiedenen Regulatoren. Als aktuelles Beispiel dafür bennent Dr. Kurt Mäder die Digitale Signatur. Die Europäische eIDAS-Verordnung ist im EWR noch nicht angekommen und somit kann man die Zertifikate zur Zeit nicht nutzen. Auf der anderen Seite die Schweiz, deren Zertifikate im EWR-Raum auch nicht oder nur beschränkt eingesetzt werden können. Hier setzen Regulatoren und unterschiedliche Fahrpläne Grenzen.
Mobiles Bezahlen, Digitalisierung vs. Schein-Digitalisierung und PSD2
David Kauer, Leiter Produktmanagement Value-Added Services, PostFinance
Kauer bleibt in Erinnerung durch seine tempogeladenen Vorträge, welche Tatsachen, Dinge und Notwendigkeiten klar benennen. Seinem vorauseilenden Ruf wird David Kauer auch an der Swiss Digital Finance Conference 2017 gerecht. Mit Engagement erklärt er das neue Twint. Die neue mobile Bezahllösung vereine das Beste aus beiden Welten, Paymit und Twint, und habe jetzt effektiv ein Vier-Parteien-System, genauso wie die Kreditkarten. Zudem: Twint sei keine blosse Bezahllösung, sondern vielmehr und gesamthaft eine Einkaufslösung. Die P2P-Funktion sei ein Community-Treiber und das Nebeneinander von Beacons und QR-Code die optimale Lösung für den Kunden, vor allem jedoch auch für den Handel.
Aber auch die neuen Möglichkeiten der digitalen Postfinance-Karte werden bereits rege am Mobiletelefon genutzt.
David Kauer weist die anwesenden Bankenmitarbeiter zum Schluss eindringlich darauf hin, dass im Moment in Europa ein Thema Anlauf holt und eine tragende Rolle spielen wird: die PSD2. Eine Herausforderung, die alle trifft, Kauer seinerseits freut sich darauf.
Christian Vetsch, Partner & CMO, Abrantix
Alle sprechen über Wandel, Digitalisierung und Mobiles Bezahlen. Nur: Wie können sich Firmen, die bisher weder disruptiv noch durchgängig digital agieren, schnell genug verändern? Und dies über 25 Jahre nach der Entstehung des World Wide Web?
Christian Vetsch legt bei der Beantwortung der rhetorisch gestellten Frage den Finger auf einen wichtigen Punkt: Werden neue Technologien eingeführt, muss man an alle Teilnehmer denken und alle Mitspieler einbeziehen. Beim Mobilen Bezahlen werden nach seiner Betrachtung offensichtlich die Händler vergessen. Es sind aber die Händler, welche die Bezahlmethoden bei sich einführen und den Kunden schmackhaft machen müssen. Vetsch plädiert für eine einzige Plattform, bei der alle involviert sind, nämlich Kunden, Händler und Banken. Was alles vereinfacht und die Kosten niedrig halten würde.
Herausforderungen für FinTechs und Startups in der Schweiz
Urs Haeusler, CEO Deal Market & Vorstand Swiss Finance Startups
Haeusler bietet einen guten Überblick über den aktuellen Stand und die Befindlichkeit der Schweizer FinTech-Szene. FinTechs und Startups in der Schweiz sind sehr gefordert, wenn es darum geht, Wagniskapital zu suchen, gute und bezahlbare Mitarbeiter sowie bezahlbare Infrastruktur zu finden. Und als ob das nicht genug wäre, muss die Politik noch eine rigorose Zeiterfassung einführen. Und beinahe hätte der Kanton Zürich eine noch verheerendere Steuerpraxis eingeführt, welche vielen Startups bei einer Kapitalerhöhung vermutlich das Genick brechen würde.
Urs Haeusler stellt fest, dass aktuell der Bundesrat bereitwillig an jeder OLMA mit einem Schweinchen kuschelt, jedoch an den Startup-Anlässen tendenziell noch durch Abwesenheit auffällt. Allmählich verändert sich jedoch die Wahrnehmung und eine Wende zeichnet sich ab. Provoziert und gefördert gerade auch durch die Aktivitäten verschiedener Startup-Verbände wie Swiss Finance Startups SFS und anderer Initiativen, wie zum Beispiel Digital Switzerland.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch Haeuslers eigenes Unternehmen: Deal Market ist eine Plattform und ein Marktplatz für Startups und Investoren.
FinTech, RegRech, Lawyer
Felix Niederer, Gründer & CEO, True Wealth
Wie kann man einen Robo Advisor intelligent in einer Bankumgebung einsetzen? Das weiss Felix Niederer und präsentiert die Integration am Beispiel der Kooperation von True Wealth und der Basellandschaftlichen Kantonalbank. Niederer hält fest, dass eine Integration im E-Banking sinnvoll ist und technisch absolut problemlos durchgeführt werden könne. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass die Kunden diesen ETF-basierten Investmentansatz durchaus annehmen.
Antoine Verdon, Co-Founder, Legal Technology Switzerland
Wie eine regelbasierte Welt von Smart Contracts auf der Blockchain aussehen kann, zeigt Antoine Verdon. Er erhofft sich, dass es in Zukunft weniger Anwälte, weniger Papier und dafür mehr Rechtssicherheit gibt. Zum Beispiel stellt sich die Frage, weshalb es bei einer Wohnungsübernahme und –abgabe jedesmal ein neues Protokoll braucht. Das könnte man doch mit Smart Contracts abbilden. Man publiziert bloss die jeweiligen Veränderungen des Zustandes bei der Abgabe und der neue Mieter kennt dann alle Mängel ganz genau. Wenn die Übergabe "gebucht" ist, könnte man mit diesem Token zur Bank und direkt die Sache mit dem Depot regeln, ohne die Verwaltung zu involvieren. Solche und viele andere Ideen sind realisierbar und werden durch die Blockchain und Smart Contracts möglich.
Dr. Luka Müller, Partner, MME Legal
Genau diese Smart Contracts könnten auch im Bereich Börsengang (IPO) und Kapitalerhöhungen eingesetzt werden, was einige der hochbezahlten Positionen und Funktionen überflüssig machen würde, meint Dr. Luka Müller. Jedoch stellen diese neuen Formen auch grosse Herausforderungen an den Regulator und schlussendlich auch an die Richter. Glauben diese Richter an die Blockchain-Technologie, welche eine eindeutige Bestätigung herstellen kann? Können die Richter beurteilen, ob der Anbieter dieser Technik das Ganze auch richtig umgesetzt hat? Spannende Einblicke in die Praxis der rechtlichen Hürden.
Die bargeldlose Gesellschaft mit digitaler Währung – Fluch oder Segen?
Christoph Pfluger, Herausgeber und Verlagsleiter, Zeitpunkt
«Liebe Geldfreunde, liebe Schuldner, wir sind nicht verantwortlich für die Probleme auf den Finanzmärkten», meint Christoph Pfluger und startet mit dieser witzigen, aber durchaus ernst gemeinten Aussage sein Thema. Wenn die Zuhörer nur eins mitnehmen, dann doch bitte das Folgende: «Die Banken schöpfen Geld, indem Sie Kredite verleihen».
Dadurch entsteht eine riesige Umverteilung von der zinszahlenden Klasse zu der Klasse, welche das Kapital besitzt. Die Preise aller Güter und Dienstleistungen enthalten Zins- und Kapitalkosten von +/- 30 Prozent, führt Pfluger aus. Darum wären die Güter im Laden auch so teuer. Christoph Pfluger vertritt die These: Ein Zurückkehren zur Realität und einer 1:1-Hinterlegung der Währung in Gold wäre wünschenswert.
Die Schweiz als bester Standort für FinTechs
Martin Godel, stv. Leiter Standortförderung und Leiter KMU-Politik, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO
Ganz soweit sei die Schweiz noch nicht, meint Martin Godel. Aber er ist überzeugt, die Schweiz wird regulatorisch unschlagbar, wenn man sich die neuen Gesetze anschaut, die aktuell in Arbeit sind.
Die drei Elemente, die der Bundesrat kommuniziert hat, sind durchdacht. Wichtig für den Schweizer Gesetzgeber ist, nicht ein FinTech-Gesetz oder ein Crowdfunding-Gesetz zu machen. Das Gesetz soll allgemein gehalten werden und für alle heutigen und zukünftigen Startups nutzbar sein. Godel beleuchtet die drei Elemente des neuen Gesetzes und geht auf die einzelnen Punkte ein.
Der Autor meint: Toller Vortrag mit viel Herzblut. Wir wünschen uns mehr solche Bundesangestellte, welche die Schweiz perfekt erklären und auch "verkaufen" können.
Weitere Informationen, Bilder und Links
Hochschule Luzern: Referenten an der Swiss Digital Finance Conference 2017
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Stichworte im Lexikon: FinTech | Blockchain | Robo Advisory | Finanzmarktregulierung | PSD2