Die Klimajugend hat mit ihrer Bewegung "Fridays for Future" in eher kurzer Zeit etwas Erstaunliches erreicht – in ganz Europa und auch in der Schweiz. Bevor tausende junger Menschen vehement, laut und dennoch friedlich jeden Freitag statt Schule den Klimawandel zum Thema erhoben hatten, war die Diskussionslage in der Klimapolitik noch eine andere.
Das Klimathema war streckenweise eine dauerhaft diskutierte Randerscheinung – und je nach politischer Färbung wurde darüber gestritten, ob's eine Klimakrise überhaupt gibt, ob sie wirklich menschengemacht ist, ob das Klima von selbst wieder ins Lot findet oder ob mit drastischen Auswirkungen zu rechnen ist.
Dass die Klimadebatte heute nicht mehr im Sinne von ja, nein, vielleicht, sondern von links bis rechts praktisch nur noch mehr oder weniger lösungsorientiert geführt wird, kann die Klimajugend für sich als Erfolg verbuchen.
Was hat die Energiekrise mit der Klimakrise zu tun?
Angesicht der Diskussionen um die Frage "Klimaziele jetzt erst recht – oder aufgrund der Energiekrise aufgeschoben und vertagt"?, schon mal ziemlich viel. Für zahlreiche Länder zeichnen sich aus bekannten Gründen zum Teil massive Probleme bei der Energieversorgung ab. Wirklich gute Lösungen sind rar. Das hängt auch damit zusammen, dass in Sachen Energie und Versorgungssicherheit hüben und drüben in den letzten Jahren nicht allzu viel Kreativität und Kraft in Lösungen investiert worden ist, die damals terminlich noch gut realisierbar gewesen wären. Jetzt drängt die Zeit, weil man, einmal mehr, vieles nicht hat kommen sehen.
Schade, die bisher ungenutzten Potenziale der erneuerbaren Energien könnten jede Energielücke locker wettmachen, allerdings nicht von heute morgen. Den Komfort und die Möglichkeiten der sorgfältigen Planung und konsequenten Umsetzung hat man etwas sorglos aus der Hand gegeben. Nochmals schade, hochgesteckte Klimaziele hätten sich gerade mit dem forcierten Einsatz erneuerbarer Energien hervorragend verbinden und erreichen lassen.
Im Moment schlägt der Puls anders, die Versorgungssicherheit mit Gas und Strom ist nicht mehr gegeben. Deshalb können kurzfristig fossile Energieträger wieder vermehr zum Einsatz kommen, die bereits von der Liste gestrichen worden sind.
Steht die drohende Stromlücke in der Schweiz auf der politischen Agenda?
Fragt man Arthur Rutishauser, den Chefredaktor der Sonntagszeitung und Redaktion Tamedia: Nein. In seinem bemerkenswerten Artikel, "Wir rasen auf den Blackout zu – und niemand regt sich auf", führt Rutishauser aus, warum bereits im kommenden Winter streckenweise die Lichter ausgehen könnten.
Hat man in Deutschland mit Robert Habeck den Eindruck, dass sich ein Minister für Wirtschaft und Energie zumindest redlich bemüht, das Schlimmste zu verhindern, ist zu den Themen Strom- und Gaslücken im Schweizer Parlament tatsächlich wenig zu hören. Das Schweigen und die an den Tag gelegte Gelassenheit machen etwas sprachlos, zumal von drohenden Blackouts alle privaten Haushalte und die gesamte Wirtschaft massiv betroffen wären.
Stromlücke oder Blackout bereits im nächsten Winter?
Verharrt die Politik noch weitgehend regungslos, kommen in diesen Tagen die Warnungen von aussen umso dichter. Dass Strom in Zukunft massiv teurer werden soll, ist noch das kleinere Problem. Für den Chef des grössten Schweizer Stromkonzerns, Axpo-CEO Christoph Brand, "ist es nur eine Frage des Wanns, nicht des Obs, ob die Schweiz in eine Strommangellage gerät und Rationierungen nötig werden". Details zu Brands Überlegungen gibt's hier im Artikel der "Handelszeitung".
Wenig Wind, wenig Regen, Gas-Embargo und der Ausfall französischer Kernkraftwerke könnten dazu führen, dass neben anderen Ländern auch die Schweiz bereits kommenden Winter schlicht zu wenig Strom in ihren Netzen hat.
Von Bundesrat und Parlament war und ist nicht zu hören, wie die Strom- und Energielücke verhindert werden könnte. Gibt es vereinzelt Stimmen aus dem politischen Umfeld, gehen die tendenziell in die Richtung, wie das offenbar Unausweichliche bewirtschaftet werden kann: Strom sparen. Exponentiell angehobene Strompreise ab einer bestimmten Bezugshöhe. Strom rationieren, indem zum Beispiel im Notfall für definierte Regionen der Strom für jeweils zwei Stunden abgestellt wird. Die Veräumnisse der letzten Jahre und vor allem die Notwendigkeiten der aktuellen Gegenwart werden kaum oder gar nicht thematisiert, nur gerade die unerfreulichen Konsequenzen in der nahen Zukunft.
Was haben die Versäumnisse der Politik mit der Klimajugend zu tun?
Zurück auf Anfang, wir wiederholen uns: die Klimajugend hat ein drängendes Problem von der langen Bank der ergebnislosen Zänkereien auf die politische Agenda von Regierungen und Parlamenten gehievt. Etwas Ähnliches könnte ihr ein zweites Mal gelingen, wenn's darum geht, die Vision der erneuerbaren Energien aus dem Bereich der vagen Absichtserklärungen auf die Ebene der dringlichen und konsequent umgesetzten Massnahmen zu bringen. Diesmal hätte die Klimajugend allerdings deutlich mehr Support aus allen Kreisen der Gesellschaft und auch aus der Wirtschaft – die anrollende Energiekrise und drohende Stromrationierungen betreffen alle und treffen private Haushalte und die gesamte Wirtschaft empfindlich.
Die Energiekrise stellt bisher erreichte Fortschritte in der Klimadiskussion plötzlich wieder infrage. Das ist insofern fatal, als gerade erneuerbare Energien die gesetzten Klimaziele massiv unterstützen. Immer vorausgesetzt, sie sind verfügbar und nutzbar. Mittelfristig können Lösungen nicht im bedingungslosen Stromsparen liegen und schon gar nicht im Bewirtschaften von Blackouts. Sämtliche Technologien sind vorhanden und die Strategien zur Nutzung liegen auf dem Tisch, seit Jahren schon. Werden erneuerbare Energien nicht weiterhin endlos diskutiert, sondern endlich massiv gefördert und in Form von Solar- und Windkraft-Anlagen konsequent gebaut und genutzt, dann haben Gesellschaft und Wirtschaft jederzeit genügend sauberen Strom und so viel Energie wie benötigt wird.
Die aktuelle Energiekrise ist nicht in erster Linie eine Folge von geopolitischen Ereignissen, sondern vielmehr von Versäumnissen, Unterlassungen und fehlender Weitsicht. Im Moment spielen der grauenhafte Krieg in der Ukraine und geopolitische Verwerfungen tatsächlich eine grosse Rolle – vor allem jedoch deshalb, weil diese Ereignisse auf ein Europa und vor allem auch auf eine Schweiz treffen, die in früheren Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Betrachtet man den Anteil der heute bereits nutzbaren Energie aus Solaranlagen, Photovoltaik und Windkraftanlagen, ist die Schweiz ist im Vergleich zu zahlreichen anderen Ländern nahezu ein Entwicklungsland. Dabei hätte unser Land zum Teil hervorragende Voraussetzungen und mit dem notwendigen politischen Willen wären schnelle Fortschritte machbar.
Unsere Redaktion wird in nächster Zeit die Themen Energie und Versorgungssicherheit verstärkt mit weiteren Artikeln im Detail ausleuchten.