Strom aus der Steckdose ist nicht selbstverständlich. Die Energiestrategie des Bundes soll sicherstellen, dass auch 2050 noch genug Saft aus der Dose kommt.
Bei der Energiestrategie 2050 des Bundes stehen Energieeffizienz und die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien im Vordergrund. Der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie setzt hier Druck auf, weil die wegfallende Stromproduktion eher schnell ersetzt werden muss.
Woher unser Strom kommt
Im Jahr 2022 wurde Strom in der Schweiz zu 52.8 Prozent aus Wasserkraft, zu 36.4 Prozent aus Kernkraft, zu 1.4 Prozent aus fossilen und zu 9.4 Prozent aus neuen erneuerbaren Energien produziert (Quelle Produktionsmix: Bundesamt für Energie). Der Liefermix sieht noch etwas anders aus, weil Strom gehandelt und deshalb exportiert und importiert wird. Aus der Steckdose kommt also in- und ausländischer Strom.
Dennoch steht Unabhängigkeit im Vordergrund, weil ausländische Quellen, aus welchen Gründen auch immer, unzuverlässig werden oder auch versiegen können. Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit haben gezeigt, dass Energielücken zu wirtschaftlichen Verwerfungen und zu massiven Preissteigerungen führen können. Im eigenen Land produzierte Energie macht sicher und wirkt als Stabilisator für Wirtschaft und Bevölkerung.
Woher unser Strom in Zukunft kommen soll
In der 2022 wurden in Schweiz 57 Milliarden Kilowattstunden (kWH) Strom verbraucht. Auch wenn Effizienzmassnahmen mit zur Schweizer Energiestrategie gehören, muss die Produktion aus erneuerbaren Quellen massiv gesteigert werden, damit keine Stromlücken entstehen. Zumal sich die anvisierten Sparziele ein Stück weit wieder aufheben durch den Bevölkerungzuwachs – und auch durch einen erhöhten Strombedarf im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl von E-Autos.
Der Neubau von Kernkraftwerken steht momentan nicht zur Debatte, das Schweizer Volk hat sich gegen diese Form der Energieproduktion ausgesprochen. Selbst wenn sich das ändern sollte, die lange Vorlaufzeit bringt kurz- und mittelfristig keinen neuen Strom, die Planung und der Bau eines Kernkraftwerks benötigen mehr als 20 Jahre bis der erste Strom fliessen kann.
Folglich liegt die Lösung zur nachhaltigen Versorgungssicherheit in der Wasserkraft sowie im Ausbau von Solar- und Windenergie. Zumindest in den beiden letztgenannten Bereichen sind die Potenziale enorm. Bei der Solarenergie faktisch, bei der Windenergie theoretisch.
Diese vorhandenen Potenziale zu nutzen ist auch notwendig, um die schrittweise wegfallende Kernenergie zu ersetzen. Allerdings stehen dem verabschiedeten und grundsätzlich gut gedachten Mantelerlass zur Sicheren Stromversorgung mit einheimischen Energien und damit dem Solarexpress und dem Windexpress einige Hürden im Wege, welche die Pläne von Bund, Parlament und Projekte von involvierten Stromproduzenten ausbremsen.
Ausbau der Wasserkraft
Hier bestehen natürliche Grenzen, weil die Möglichkeiten der Wasserkraft in der Schweiz bereits stark genutzt werden. Die begrenzten Spielräume zeigen sich auch in den formulierten Zielen des Bundes.
Der Bund will mit der Energiestrategie 2050 die durchschnittliche Jahresproduktion von Elektrizität aus Wasserkraft von heute 37'260 Gigawattstunden (GWh) bis im Jahr 2050 auf 38‘600 Gigawattstunden steigern (bis 2035 auf 37‘400 GWh). Die ganz grossen Sprünge sind bei Wasserkraftanlagen nicht mehr möglich.
Das Potenzial von Windenergie
Windkraftanlagen sind wichtig, weil sie auch dann Strom produzieren, wenn Photovoltaikanlagen eher auf Sparflamme fahren: im Winter. PV-Anlagen produzieren auch ohne gleissende Sonne Strom, helles Licht genügt, aber die Winterproduktion liegt deutlich tiefer im Vergleich zum Sommer mit langen Sonnentagen.
In der Schweiz standen 2022 bescheidene 41 Turbinen in Betrieb, mit einer jährlich Stromproduktion von 146 GWh. Das entspricht einem Anteil von 0.3 Prozent am gesamten Stromverbrauch. Das deckt den Strombedarf von 41'700 Haushalten. Das Ziel bis 2050 liegt bei 4'300 GWh. Um dieses Ziel zu erreichen sind rund 800 neue Windturbinen nötig.
Aus heutiger Perspektive betrachtet sind diese Ziele sehr hoch gesteckt, weil der Kampf gegen jede einzelne neue Windkraftanlage oftmals mit grosser Vehemenz geführt wird. Andere Länder sind hier offenbar gelassener und erfolgreicher unterwegs. Die Schweiz bildet bei Windkraftanlagen das abolute Schlusslicht im Ländervergleich, wie die folgende Grafik zeigt.
Wie erwähnt nimmt sich der Anteil der Windenergie von 0.3 Prozent am gesamten Stromverbrauch in der Schweiz sehr bescheiden aus. In der EU liegt der Anteil bei 17 Prozent, in Italien bei 7 Prozent, Deutschland und Spanien sind mit je 22 Prozent im Spiel. Diese Differenzen offenbaren allerdings auch das noch nicht genutzte Potenzial zum weiteren Ausbau.
So zeigt sich Lionel Perret, Geschäftsleiter von Suisse Eole, erfreut über einen neuen Rekord letztes Jahr. Die Windräder in der Schweiz haben mit 169 GWh Strom 2023 so viel produziert wie noch nie. Das deckt den jährliche Strombedarf von 153'000 Menschen. Perret bleibt auch für die Zukunft zuversichtlich:
«Allein die Windparks, die dank dem Windexpress nun etwas schneller gebaut werden, können Haushaltsstrom für rund 500‘0000 Menschen liefern. Dies entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Zürich und St. Gallen.»
Die stark genutzte Chance von Photovoltaikanlagen
Warum die Solarenergie starke Zuwachsraten verzeichnet, hat nachvollziehbare und einfache Gründe. Bleiben die grossen alpinen Solarparks trotz Solarexpress oftmals noch in den Startlöchern stecken, sind Hausbesitzerinnen und Hausbesitzer frei in ihren Entscheidungen. Dass sie die Chancen von Strom vom eigenen Dach nutzen und aktiv wahrnehmen, hängt auch mit den stark steigenden Strompreisen zusammen.
Nach massiven Erhöhungen in den Vorjahren steigen die Strompreise 2024 im Mittel um weitere 18 Prozent. Dieser Mittelwert täuscht etwas über die trüben Realitäten in zahlreichen Regionen hinweg. Die Einwohnerinnen und Einwohner einer Vielzahl von Gemeinden rund um die Stadt Zürich (+11 Prozent) zahlen im laufenden Jahr 49 Prozent mehr für ihren Strom. Spitzenwerte gibt's unter anderen in Gemeinden in der Ostschweiz, zum Beispiel in Herdern (TG) mit 71 Prozent oder in Wuppenau (TG) mit sagenhaften 91 Prozent Aufschlag.
In diesem Umfeld entscheiden sich zunehmend mehr Menschen für eine eigene Photovoltaikanlage, die ihnen mehr Autonomie und planbare Kostensicherheit verschafft. Im Jahr 2022 wurden in der Schweiz 60 Prozent mehr Solaranlagen installiert im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt waren per Ende 2022 in der Schweiz Solarpanels mit einer Leistung von 4.73 Gigawatt installiert, die im Jahresverlauf nahezu 7 Prozent des Schweizer Strombedarfs abdeckten.
Diese Produktion entspricht etwa der Hälfte des Kernkraftwerks Gösgen. Das sind Werte, welche der immer wieder kolportierten Behauptung widersprechen, dass Photovoltaik wegfallende Kernenergie nicht kompensieren könnte. In Kombination mit Wind- und Wasserkraft kann sie das wohl.
Stimmen die Schätzungen von Swissolar, könnten 2024 bereits mehr als zehn Prozent des Jahresstromverbrauchs durch Photovoltaikanlagen gedeckt werden. Das ist ein sehr guter Zwischenschritt auf dem Weg zu einem ambitionierten Ziel, gesteckt vom Bundesamt für Energie: in der Schweiz sollen bis 2050 allein mit Sonnenkraft 33 Milliarden Kilowattstunden (kWH) Strom produziert werden – das ist mehr als die Hälfte des heutigen Jahresstromverbrauchs.
Diese Zielmarke ist hochgesteckt und dennoch realistisch und erreichbar. Im Vergleich zu Wasserkraft und Windenergie liegen die grössten und zu einem guten Teil sofort realisierbaren Potenziale in der Sonnenenergie. Nehmen Energiekonzerne, Stromversorger und Private alle Chancen wahr, kann der Plan gelingen. Die Zahl der nicht belegten Hausdächer und Flächen ist enorm – und jedes zusätzliche PV-Modul ist ein Stromgewinn mit sofortiger Wirkung.
Genügend Strom aus der Steckdose wollen alle
Selbstverständlich will niemand auf den Komfort des jederzeit verfügbaren Stroms aus der Steckdose verzichten. Bei der Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für eine sichere Stromversorgung mit einheimischen Energien, gehen die Haltungen dann allerdings stark auseinander. Umweltverbände machen den Wind- und den Solarexpress zu einem Bummelzug, weil die zahlreichen Vorbehalte gegen hochalpine Solaranlagen oder Windkraftanlagen mehr Gewicht haben als die saubere Produktion von Strom.
Schutz von Landschaft und Natur sind wichtige und achtenswerte Motive. Stehen sich jedoch vitale Interessen gegenüber, wird's ohne Kompromisse nicht laufen. Es ist tatsächlich richtig, dass bei neuen Anlagen die eine oder andere Haselmaus umziehen muss oder ab und zu eine Gemse beim Klettern in den Alpen einen Umweg um die Solaranlagen machen wird. Ziemlich sicher wird das jedoch von der heimischen Fauna akzeptiert, ohne dass irreparable psychische Schäden zu befürchten sind.
Über visuelle Aspekte lässt sich zweifellos streiten. Die Gräben in der Betrachtung zwischen "Verschandelung der Natur" und einer neuen Definition von Ästhetik scheinen jedoch teilweise sehr gross zu sein. Scheinbar oftmals unüberbrückbar.
Die hochalpinen Solaranlagen und Windkraftanlagen fallen immer wieder auch bei der ansässigen Bevölkerung durch, weil man das eine wie das andere nicht in seiner Nähe haben will. Das ist verständlich. Es könnte jedoch helfen, wenn Anlagenbauer und Betreiber die Bevölkerung der betroffenen Gebiete auch wirtschaftlich mit ins Boot holen. Ob dazu die als grosszügig deklarierte Vergütung von 1 Rappen pro produzierter Kilowattstunde ausreicht, bleibt offen. Gemeinden und Einwohner kann man nicht kaufen, aber faire Beteiligungsmodelle öffnen möglicherweise Türen.
Die Energiewende und die formulierte Energiestrategie ist nur mit gemeinsamen Anstrengungen und auch mit vernünftigen Kompromissen zu schaffen. Das starre Beharren auf Positionen und das Durchboxenwollen von Rechthabereien verzögern oder verhindern wohl Projekte, es verhindert jedoch auch die Produktion von sauberem und erneuerbarem Strom. Das ist aber genau das, was die Schweiz jetzt braucht. Nicht um jeden Preis, aber mit pragmatischen Lösungen. Schwarz-Weiss-Denken sowie betonierte Links-Rechts-Positionen stehen diesen Lösungen oftmals auf zeitraubende Weise im Wege.
Inzwischen sind Private und Gemeinden daran, ihre Möglichkeiten zu nutzen. Private stellen Photovoltaikanlagen auf ihre Dächer. Gemeinden stellen PV-Anlagen auf ihre Schulhäuser und Turnhallen. Unternehmen tun dasselbe und belegen ihre Büro- und Produktionsgebäude mit PV-Modulen. In der Regel ist das möglich ohne mühsame Bewilligungshürden und ohne zeitraubenden Einsprachen-Marathon. Deshalb sind aus der Ecke der Solarenergie in absehbarer Zeit weiterhin starke Zuwachsraten zu erwarten, welche mithelfen, die Ziele der Energiestrategie zu erreichen.