Neo-Banken

Coop Finance+: Lancierung ohne Strategie? Planloser Ausstieg?

Eingang eines Coop-Centers mit Coop Logo
Bild: Coop

Die Lancierung von Coop Finance+ letzten Oktober kam überraschend. Der Ausstieg nach nur gerade neun Monaten ebenso.

Die Lancierung von Coop Finance+ letzten Oktober kam überraschend. Mit einer neuen Finanz-App stellte der Detailhandelsriese ein weiteres Mitglied in die bereits dicht geschlossene Reihe der Neo-Banken im Schweizer Markt. Der gestern kommunizierte Ausstieg nach nur gerade neun Monaten kam ebenso überraschend. 

Wie es begann

Mit dem Coup der neuen Neo-Bank feierte Coop im Oktober 2023 ein Comeback aufs Parkett der Finanzdienstleister, das der Detailhändler 2017 mit dem Verkauf der Coop Bank (heute Bank Cler) verlassen hatte.

Dieses Comeback auf kleinerer Flamme war für Coop ohne gewaltige Investitionen möglich. Seit Erfindung von Banking as a Service (BaaS) und Embedded Finance braucht kein Unternehmen, das seinen Kundinnen und Kunden integrierte Finanzdienstleistungen anbieten möchte, eine eigene Bank.

In Kooperation mit der Hypothekarbank Lenzburg, Additiv, Liberty, Glarner Kantonalbank, Vanguard und OLZ hatte Coop sich alle Partner und notwendigen Disziplinen ins Boot geholt, um das eigene Finanzangebot zu komponieren. Ohne selbst direkt Hand anlegen zu müssen, konnte Coop Finance+ mit dem Angebot und den Leistungen von Konto, Debitkarten und einer 3a-Vorsorgelösung starten.

Lancierung einer Neo-Bank ohne Strategie?

Der gestern kommunizierte Ausstieg lässt den Schluss zu, dass das Neo-Banken-Abenteuer von Coop mehr ein Experiment und weniger eine von strategischen Leitplanken begleitete Innovation war.

Kurze neun Monate sind kaum genug, um den Markt wirklich auszuloten. Eine Neo-Bank ist kein Selbstläufer, auch nicht für Coop mit der hervorragenden Ausgangslage von 2.5 Millionen potenziellen Kundinnen und Kunden, die über Filialen, Coopzeitung und die Coop Supercard erreichbar sind. Ohne gezielte und laufende Marketingmassnahmen sind jedoch auch diese Kunden nicht zu bewegen.

Coop Finance+ ist mit einem soliden Basisangebot von Konto, Debitkarten und 3a-Vorsorge gestartet. Erweiterungen, neue Funktionen und eine Annäherung an den Funktionsumfang der Schweizer Konkurrenten waren allerdings seit Oktober 2023 nicht erkennbar. Finance in der Basis war gegeben, wer das "+" im Namen Coop Finance+ als Ankündigung und Versprechen verstanden hat, lag jedoch falsch. 

Planloser Ausstieg?

In einer dürren Medienmitteilung hat Coop gestern auf wenigen Zeilen mitgeteilt, dass das Projekt Finance+ "nach einer kurzen Pilotphase" nicht weiterverfolgt werden soll. Grund: die Nachfrage hätte nicht den Erwartungen von Coop entsprochen. Wo diese Erwartungen angesiedelt waren, ist nicht kommuniziert worden. 

Dass Coop Finance+ in einer "Pilotphase" unterweg war, ist neu, von Pilot war bei der Markteinführung im Oktober 2023 nicht die Rede. Die Lancierung damals wirkte verbindlich und angekündigte weitere Ausbaupläne liessen auf ein langfristig angelegtes Projekt schliessen.

Der schnelle und abrupte Ausstieg wirkt übereilt und nicht wirklich durchdacht und vorbereitet. Das Argument, dass sich "das Umfeld durch den verschärften Wettbewerb in der Finanzbranche in den vergangenen Monaten gewandelt" hätte und "unter anderem dadurch die internen Zielsetzungen nicht erreicht werden konnten", ist nicht wirklich nachvollziehbar. Umwälzende Veränderungen oder Verschärfungen im Wettbewerb sind Branchenbeobachtern in den letzten Monaten nicht aufgefallen. Die Konkurrenzsituation hat sich seit Oktober 2023 nicht verändert. Die Neo-Banken-Landschaft in der Schweiz hatte bereits beim Start von Coop Finance+ im Verhältnis zur Bevölkerung die weltweit grösste Neo-Banken-Dichte aufzuweisen.

Selbstverständlich ist es erlaubt, keine Neo-Bank betreiben zu wollen. Erstaunlich für das Kaliber eines Detailshandelsriesen bleibt allerdings der überrraschende Einstieg, die sehr kurze Durchhaltedauer ohne Schnauf und Innovationsbereitschaft sowie der übereilte Ausstieg, nachdem Coop Finance+ sich nicht als Selbstläufer entpuppt hat.

Coop Finance+ selbst teilt mit, dass aktuell verschiedene Folgelösungen geprüft würden. So lange eine finale Lösung noch nicht definiert ist, sollen die Konto- und Vorsorgelösungen Kundinnen und Kunden weiterhin vollumfänglich zur Verfügung stehen.

Hat der Rückzug von Coop Auswirkungen auf die Entwicklung von Banking as a Service und Embedded-Finance?

Eine Frage,  die wir uns selbst gar nicht gestellt haben, weil eine Neo-Bank mit oder ohne BaaS- und Embedded-Finance-Unterstützung funktionieren kann. Das sind einfach verschiedene Wege, welche die Weiterentwicklung der Systeme an sich nicht beeinflussen.

Diese Frage ist jedoch mehrfach von aussen an uns herangetragen worden, ergo scheint sie Interessierte oder Involvierte zu beschäftigen.

Deshalb haben wir mit Dr. Manuel Thomet einen Experten befragt. Thomet hat zusammen mit Prof. Dr. Bernhard Koye die erste Schweizer Studie zum Thema in Arbeit, Details dazu hier und hier. Und er hat die "Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung einer Banking-as-a-Service-Strategie aus Sicht von Schweizer Banken" zusammengefasst, hier

MoneyToday.ch: Ist der Rückzug von Coop Finance+ eine generelle Absage an Embedded Finance?

Manuel Thomet: Klare Antwort: Nein. In dieser frühen Phase des Rückzugs ohnehin nicht. Embedded Finance ist in diesem konkreten Fall "nur" ein Instrument, ein Weg, eine Technologie. Diese hat Coop geholfen, mit Partnern sehr schnell und ohne hohe Eintrittskosten in den Finanzmarkt einzusteigen.

Wenn zum Beispiel ein Unternehmen seine Leasing-Verträge kündigt, ist das auch keine Absage an die Leasingbranche. Das Unternehmen braucht seine Flotte nicht mehr, hat ein günstigeres Angebot, will seinen Wagenpark selbst finanzieren oder was auch immer. Der Einzelfall wirft keinen Schatten auf die Entwicklung einer ganzen Branche.

Einen Zusammenhang zwischen Coop Finance+ und dem Thema Embedded Finance gibt es aber schon, oder?

Grundsätzlich ja, es hängt jedoch von der Definition von Embedded Finance ab. Generell wird unter Embedded Finance ein Geschäftsmodell verstanden, welches unter anderem durch die technischen Möglichkeiten von Open Finance und dem sich verändernden Konsumentenverhalten ermöglicht wird.

Embedded Finance im engeren Sinne ist ein Geschäftsmodell für Unternehmen ausserhalb der Finanzbranche, welche Bank- oder Versicherungsprodukte über APIs in ihre Customer Journeys einbetten möchten. Die Kernidee ist dabei, Finanzdienstleistungen am richtigen Ort im relevanten Kontext personalisiert einzubetten, wo es Konsumenten mit digitalen Interaktionspräferenzen heute erwarten. Christoffer Malmer, Head SEB Embedded, formulierte dies am Fokusgruppen-Event unserer Studie so: “Bring Banking to where it’s needed”.

Bei Embedded Finance im weiteren Sinne wird vom Grundsatz her das Gleiche verstanden. In dieser Ausprägung des Geschäftsmodells werden Bank- oder Versicherungsprodukte von klassischen Anbietern in Angebote von Finanzdienstleistungsanbietern oder Neo-Banken eingebettet.

Coop Finance+ ist bei Anwendung dieser Definition ein Anwendungsfall in der Ausprägung Embedded Finance im weiteren Sinne.

Welche Wirkung hat dieser Entscheid auf die Themen Embedded Finance und Banking as a Service in der Schweiz?

Embedded Finance und Banking as a Service werden sich in der Schweiz kontinuierlich weiterentwickeln und an Relevanz gewinnen. Mit unserer Studie versuchen wir einen wesentlichen Beitrag zur Gewinnung konkreter Erkenntnisse zu den heutigen und zukünftigen Ertragspotenzialen und Umsetzungsvoraussetzungen der Geschäftsmodelle Banking as a Service Embedded Finance zu leisten. Auf Basis dieser Erkenntnisse können Schweizer Banken und Unternehmen aus allen Branchen diese Potenziale quantitativ und qualitativ einschätzen.

Was sollten Banken bei BaaS-Strategien beachten? Was gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen?

Aus meiner Sicht gibt es drei wichtige Voraussetzungen, welche es zu berücksichtigen gibt: Die Sicherstellung des "Market Fits" des BaaS-Angebots, die Erschliessung des Marktpozentials mittels des "Partner-Fits" und der "Bank-Fit" des BaaS-Angebots.

In unserer Studie beleuchten wir diese Aspekte und bieten Banken einen strategischen Kompass für die Navigation in eine Zukunft an, welche neben traditionellen Geschäftsmodellen auch durch neue wie BaaS geprägt sein wird.

Wie geht es weiter mit Coop Finance+?

Der Rückzug von Coop mag die weitere Entwicklung von Embedded Finance nicht beeinflussen, Auswirkung auf die beteiligten Partner hat der Ausstieg jedoch schon.

Mit 2.5 Millionen Kundinnen und Kunden ist Coop ein "grosser Brocken" bei einem Embedded-Finance-Projekt. Deshalb ist der Detailhändler natürlich attraktiv für beteiligte Partner, weil von erwarteten Skaleneffekten alle Involvierten profitieren können. Mit dem Ausstieg von Coop bleiben diese Effekte nun aus.

Je nach Ausstiegslösung laufen die beteiligten Partner Gefahr, dass sie auf ihren Vorinvestitionen sitzen bleiben. Oder sehr viel mehr Zeit brauchen, um diese Kosten wieder reinzuspielen. Zu den Beteiligten gehören die Hypothekarbank Lenzburg (HBL) als Bankpartnerin, das FinTech Additiv als Technologiepartner, die 3a-Vorsorgestiftung Liberty, die Glarner Kantonalbank als Partnerin für die Vermögensverwaltung sowie Vanguard und OLZ als Fondspartner.

Denkbar ist allerdings auch das Szenario, dass die beteiligten Partner – ohne Coop – unter neuer Flagge weitermachen. Dann wäre wahrscheinlich die HBL im Lead, welche einen Neukunden-Generator als Ersatz für Coop finden müsste. Dürfen auch kleinere Brötchen gebacken werden, rücken mehrere weitere mögliche Spielformen in den Vordergrund.


Die Schweizer Neo-Banken-Landschaft

Aus aktuellem Anlass noch ein Blick auf die Neo-Banken, die in der Schweiz derzeit aktiv sind – mit den jeweils zuletzt kommunizierten Kundenzahlen.

Schweizer Neo-Banken Markteintritt Kunden insgesamt davon in der Schweiz
Zak (Bank Cler) März 2018 65'000 65'000
Neon März 2019 200'000 200'000
Yapeal Juli 2020 keine Angaben keine Angaben
CSX (Credit Suisse) Oktober 2020 400'000 400'000
FlowBank November 2020 in Liquidation in Liquidation
Yuh (Postfinance & Swissquote) Mai 2021 235'000 235'000
Key4 (UBS) Mai 2022 200'000 200'000
Radicant (BLKB) August 2023 6'500 6'500
Coop Finance+ Oktober 2023 in Umwandlung in Umwandlung
Ausländische Neo-Banken Markteintritt Kunden insgesamt davon in der Schweiz
Wise März 2010 16 Millionen keine Angaben
Revolut Schweiz 2017 45 Millionen 800'000
N26 Schweiz 2019 8 Millionen keine Angaben
Neo-Banken Verticals Markteintritt Kunden insgesamt davon in der Schweiz
Alpian (F-ISPB) Oktober 2022 Angaben folgen Angaben folgen
Relio Oktober 2023 Angaben folgen Angaben folgen
Swiss4 April 2024 Angaben folgen Angaben folgen

Hinweis der Redaktion: Neo-Banken, die ihre aktuellen Kundenzahlen nicht korrekt gespiegelt sehen, weil länger nicht kommuniziert, dürfen Letzteres jederzeit gerne nachholen, hier, damit Ersteres auf den neusten Stand gebracht werden kann.