Finanzierung

Boom bei Security Token Offerings (STOs)?

Finanzierungs-Runde
Bild: Jirapong Manustrong |Getty Images

Unser Gastautor ist Investmentanalyst sowie IPO-Spezialist und ICO-Berater. Alexander Vollet erwartet einen neuen Boom bei STOs – und er liefert sechs Gründe für seine Prognose.

Nachdem die BaFin vor kurzem ein erstes deutsches STO (Security Token Offering) genehmigt hat, steht der Markt nun für weitere, jetzt regulierte ICOs offen. Damit könnten sich Unternehmens-Token endlich im professionellen Kapitalmarkt verankern, da besonders von Seiten professioneller Anleger ein grosses Interesse an vielversprechenden Projekten und Startups besteht.

Das Team von IR Consult hat sechs wesentliche Gründe dafür herausgearbeitet. Im besten Fall stehen wir vor einem neuen Boom bei Coin-Offerings, da die Emission von Wertpapieren über die Blockchain deutlich schneller, billiger und sicherer durchgeführt werden kann.

Ein Blick zurück

In den Jahren 2015 bis 2017 war der ICO-Markt (Initial Coin Offering) weltweit ein boomender Markt. Unzählige Startups – zumeist mit Blockchain-Projekten – sammelten weltweit Milliarden ein, um sich zu finanzieren. Die Goldgräberstimmung kam Anfang 2018 zu ihrem Höhepunkt, was daran zu ersehen war, dass viele ICOs ihre Coins innerhalb von kürzester Zeit platzieren konnten und dass diese Coins, sofern sie danach an Kryptobörsen gehandelt wurden, stark steigende Preise erzielten.

Doch ab dem 2. Quartal 2018 war der Boom plötzlich zu Ende. Die Finanzmarktaufsichtsbehörden weltweit veröffentlichten Kauf-Warnungen und führten eine Anmeldepflicht ein, da sich die Anzahl der angeblich betrügerischen ICOs stark beschleunigte. Einige Länder – wie China oder Südkorea – verboten ICOs sogar komplett. Zum anderen rutschte der Bitcoin, die bekannteste Kryptowährung, dramatisch ab mit dem Resultat, dass "Investoren" plötzlich Geld verloren. Hier stellt sich die Frage, ob man wirklich von Investoren oder Spekulanten sprechen sollte?

Dies war auch der Beginn, dass Geschäftsmodelle kritischer beäugt wurden, was dazu führte, dass viele Unternehmen ihre Coins nicht mehr platzieren konnten. Dies wiederum hatte den Effekt, dass Projekte nicht fertiggestellt werden konnten und somit nicht erfolgreich waren, wodurch viele Unternehmen Insolvenz anmelden mussten. Das bis dahin investierte Geld war somit verloren.

Grundsätzliche Überlegungen

Man sollte aber bedenken, dass ein Investment in ein ICO ein Investment in ein Startup – also Wagnis- oder Risikokapital (Venture Capital) – ist. Bei VC erwarten die Professionellen von 10 Investitionen im Durchschnitt 6 Pleiten, 3 OK-Investments und im Best-Case-Szenario 1 Highflyer. Die Presse sowie die geschädigten Investoren betrachteten diesen Geldverlust aber oft einfach als Betrug, was es aber nicht zwingend von Anfang an sein musste.

Noch einige Worte zu Europa, wo der anfängliche Boom völlig verschlafen wurde. Erst in der zweiten Hälfte von 2017 wagten sich erste Unternehmen mit ICOs aus den Startlöchern. Also zu einem Zeitpunkt, als der Höchstpunkt des Marktes nicht mehr weit entfernt war. Aber trotzdem schafften es einige, noch 2-stellige Millionenbeträge einzusammeln. Ab April 2018 ist das dann aber keinem Unternehmen mehr gelungen. Erfreulicherweise ist in der Zwischenzeit jedoch viel in Europa in Richtung Pro-Kryptoanwendungen getan worden.

Wie geht es nun weiter mit dem ICO-Markt? 

Einen ICO-Boom, wie wir ihn in den letzten Jahren kennengelernt haben, werden wir so sicherlich nicht mehr erleben. Dennoch erwarten wir in den folgenden Jahren eine deutliche Wiederbelebung im Krypto- / Blockchain-Bereich mit dem Unterschied, dass die Qualität wächst und dass Unternehmen gezielt ein STO oder Equity Token Offering (ETO) durchführen; diese unterliegen ähnlichen Regularien, wie wir es heute von Wertpapieren (Aktien, Anleihen usw.) kennen. Besonders für Europa sehen wir grosse Chancen und dafür gibt es eine Reihe von stark unterstützenden Gründen: 

1. Projekte werden realistischer 

Die grosse Mehrzahl der vergangenen ICOs hatten wirklich tolle Ideen und zielten darauf, mit dem Einsatz der Blockchain-Technologie die Welt zu verbessern. Viele dieser Unternehmen hatten aber kein fertiges Produkt. Gerade in der Entwicklungs- und Implementierungsphase kommt es bekanntermassen immer wieder zu Verzögerungen bis hin zur kompletten Einstellung. Und die Unternehmen, welche diese Phasen überstanden hatten, kämpften danach mit Regulierungen, den Anforderungen einer erfolgreichen Markteinführung und dem Produktionsausbau, welche weitere, sehr teure und langwierige Hürden darstellen.

Heute nehmen die meisten Unternehmen jedoch Abstand vom schnellen Geld über ein ICO. Der Fokus liegt nun auf einem funktionierenden Produkt und echten Werten mit einem attraktiven Deal für Investoren über ein STO. Die Risiken sind also schon bedeutend geringer geworden. Zudem interessieren sich auch zunehmend Unternehmen aus nicht-Blockchain-Bereichen für Token-Offerings als Finanzierungsalternativen, so zum Beispiel aus dem Konsumbereich, Maschinenbau, erneuerbare Energien usw. Die Produkte werden somit auch viel besser von den adressierten Investoren verstanden, was ihre Entscheidungsfindung beschleunigt.

2. Management endlich erfahrener 

In der Vergangenheit taten sich oft zwei bis drei Programmierer zusammen, um eine Idee zu entwickeln, die dann über ein ICO finanziert wurde. Zusammen mit einigen mehr oder weniger erfahrenen "Advisorn" bildeten sie das Team – also das Herzstück des Unternehmens. Oft arbeiteten sie jedoch gar nicht voll für das Unternehmen oder gaben nur ihren Namen, um das Vertrauen von Investoren zu gewinnen und als Gegenleistung dafür kostenfreie Coins zu erhalten. Ist es nicht ziemlich klar, dass ein solche Unternehmensführung letztendlich scheitern musste?

Heute wissen die Gründer, dass die Finanzierung eines der zentralen Themen ist und dass man dafür ganz besondere Expertise besitzen muss. Es wird also bereits sehr früh ein Finanzexperte involviert, der die Gründer unter anderem und zum Beispiel darüber ins Bild setzt, welche Informationen Geldgeber wünschen, die in Token investieren. Dieses Vorgehen ersetzt ICOs und macht STOs nun endlich kapitalmarktfähig.

3. Breitere Akzeptanz bei Blockchain und Krypto 

Vor ein paar Jahren wussten nur Insider, was eine Blockchain ist und was man mit ihr machen könnte. Mittlerweile wird man aber überhäuft von Einladungen zu Blockchain-Events, ja vielfach auch schon vom Wirtschaftsministerium sowie staatlichen Startup-Förderern. Eigene Lehrgänge, Stellengesuche von Grossunternehmen sowie eine grosses Programm an Literatur belegen das stark gestiegene Interesse an dieser Technologie und ihren Einsatzmöglichkeiten.

Interessanterweise sehen mittlerweile sowohl die EZB als auch die BaFin das grosse Potenzial der Blockchain-Technologie besonders im Finanzbereich. Grossbanken und –Grossunternehmen gründeten eigene Abteilungen und platzierten auch schon erste Schuldverschreibungen über die Blockchain. Gerade aktuell hat die BaFin den ersten STO eines deutschen Unternehmens genehmigt.

Der nun realistische Blick auf Blockchain- und Kryptoanwendungen unterstützt das Vertrauen auch in Token-Offerings nachhaltig. 

4. Regulierer fordern professionelle Informationen

In der Vergangenheit wurde unter dem Begriff ICO meist Utility-Token herausgegeben, um eine Klassifizierung als Wertpapier zu umgehen. Trotzdem wurde oft auch eine Art Gewinnbeteiligung versprochen, also ähnlich wie bei einer Aktie. Damals schritten die Aufsichtsbehörden nicht dagegen ein.

Seit knapp einem Jahr sehen das die Regulierungsbehörden nun jedoch anders: Zuerst einmal ist ein Unternehmens-Token immer ein Wertpapier (Security), es sei denn, man beweist ihnen, dass es doch ein Utility – also ein Art Einkaufsgutschein oder Mitgliedschaft – ist.

Das bedeutet nun, dass der Emittent von Token einen Wertpapierprospekt erstellen und genehmigen lassen muss. Damit wird die Geldeinwerbung natürlich langwieriger und teurer, aber auf der anderen Seite darf der Emittent nun auch ein öffentliches Angebot durchführen und hat umfängliche, für den Kapitalmarkt notwendige Unterlagen. Die Vorteile überwiegen also deutlich.

5. Zahl der professionellen Investoren stark angestiegen

Die ICO-Käufer der Vergangenheit hatten oft nur den kurzfristigen Erfolg im Blick: den Preisanstieg der Coins/Token. Diese sogenannten "Pump-and-Dump-Investoren" interessierten sich nicht für das mittel- bis langfristige Wohl des emittierenden Unternehmen. Da diese Unternehmen aber für ihr Wachstum über eine längere Zeit Geld benötigten, fanden sie, als die Preise der Coins stark fielen, natürlich keine Investoren mehr, obwohl es auch zu dieser Zeit nach wie vor interessante Projekte gab. Zudem waren die Tokenkäufer meist Privatinvestoren und keine professionellen Anleger.

Nach einer Analyse von IR Consult gab es Anfang 2018 nur eine Handvoll institutioneller Anleger in Europa, die ICO/ITO-Unternehmen auch längerfristig begleiteten, da sie das Wachstumspotenzial erkannten. Auch als Folge der nun favorisierten Security Token mit kapitalmarktüblichen Dokumentationen und Folgepflichten, ist die Zahl der professionellen Anleger deutlich angestiegen: aktuell zählen wir mindestens 30 in Europa. 

Mit der Einführung von regulierten Kryptobörsen in diesem Jahr (zum Beispiel Schweiz, Stuttgart) wird die Akzeptanz von Token weiter zunehmen. Glücklicherweise interessieren sich zunehmend auch Venture Capital-Unternehmen für Startup-Beteiligungen an STO-Kandidaten, da sich dadurch eine Risikoreduzierung ergibt.

6. Security Token werden boomen

Die BaFin hat kürzlich (Mitte Februar 2019) einem ersten deutschen STO ihr OK gegeben.

Das ist unseres Erachtens der Startschuss zu einer Vielzahl weiterer Offerings; denn die Geldbeschaffung über die Blockchain und das Internet macht den ganzen Emissionsprozess einfacher, schneller und billiger, so dass mittelfristig wohl auch normale Börsengänge (IPOs) so abgewickelt werden.

Wo sonst hat ein Unternehmen die Möglichkeit, weltweit interessierte Investoren anzusprechen und für sich zu gewinnen? Wo sonst hat es die Möglichkeit, Wachstumskapital einzusammeln, ohne Stimmrechte abgeben zu müssen und ohne Sicherheiten? Wo sonst kann es so flexibel sein in der Ausgestaltung der Token mit Zins- oder Dividendenzahlungen?

Als Fazit erwarten wir in der nächsten Zeit einen neuen Boom mit STOs

Das Umfeld ist nun viel positiver auf Blockchain- und Krypto-Möglichkeiten eingestellt, die Regulierer erlauben nun auch diese innovative Art der Unternehmensfinanzierung und die Startups werden professioneller. Spannende Ideen und Startups gibt es genug – es fehlt einzig die Finanzierung. STOs bieten eine ideale Chance für Unternehmen und neue Projekte, ihre Finanzierungsmöglichkeiten zu erweitern und das schneller und billiger im Vergleich zu vielen anderen Finanzierungswegen. Es bedarf einer intensiveren und professionelleren Vorbereitung, was allerdings keine grosse Hürde darstellen sollte, wenn man kompetente Partner mit Erfahrung im Krypto- und Kapitalmarkt mit ins Boot nimmt. Beschleunigend wirken würden einige namhafte und erfolgreiche STOs in der nächsten Zeit.

Der Autor: Alexander Vollet

Alexander Vollet ist Diplom-Wirtschaftsingenieur sowie Inhaber der IR Consult, einer spezialisierten Unternehmensberatung für IPOs und fundamentale Investor Relations. Er besitzt die DVFA-Auszeichnung als "Investment Analyst" und die BDVB-Zertifizierung als "Unabhängiger Unternehmensberater". Vor der Gründung des eigenen Unternehmens war Alexander als Aktienanalyst bei der Deutschen Bank, UBS und der SEB-Bank engagiert.

Das Team von IR Consult verfügt über ein internationales Kooperationsnetzwerk und hat bisher rund 100 IPOs realisiert und mehr als 100 Investor Relations-Mandate betreut. Seit 2017 unterstützt das Unternehmen ICO-Kandidaten dabei, ihr ICO/STO erfolgreich umzusetzen. Alexander und sein Team optimieren die Realisierungschancen von Kapitalmarkttransaktionen und beschleunigen den Entscheidungsprozess der Investoren.