Diskutiert man in diesen Tagen und Wochen Fragen der Digitalisierung mit Exponenten aus Finanzbereich und Zahlungsverkehr, fallen zwei Dinge besonders auf:
Zum einen: dem Thema Digitalisierung begegnet man mit unterschiedlichen Empfindungen. Das Spektrum reicht von Angst und Unsicherheit bis zu absoluter Begeisterung und Faszination. Je nach Tagesform, persönlicher Betroffenheit oder distanzierter Betrachtung, können diese Empfindungen sogar bei ein und derselben Person wechselnd auftauchen.
Und zum anderen: die Meinungen von Banken, Startups und Softwareherstellern zu verschiedenen Themen der Digitalisierung sind nicht absolut deckungsgleich, weil die Betrachtung aus unterschiedlichen Blickwickeln zwangsläufig andere Akzente und Gewichtungen setzen kann. Völlig unterschiedlich sind Meinungen allerdings auch nicht, im Kern sind die Übereinstimmungen grösser, als man vermuten könnte. Einige tendenziell "verbindende" Erkenntnisse und Haltungen zum Thema – als Versuch einer Zusammenfassung aus unzähligen Gesprächen.
Ist Digitalisierung ein Hype, der sich wieder legen wird?
Dieser Meinung sind immerhin zehn Prozent der Banken, die von EY kürzlich zum Thema befragt worden sind. In zahlreichen und breit geführten Diskussionen sind wir selbst nie einem Exponenten aus diesem Lager begegnet. Digitalisierung wird als Realität und als Faktum empfunden, das sich sehr schnell entwickelt und dreht, das zunehmend weitreichende und umwälzende Auswirkungen hat und haben wird.
Hat die Digitalisierung das Potenzial zum Perpetuum mobile?
Nein. Sicher ist es so, dass Technologien sich gegenseitig verstärken und den Sprung zum nächsten Meilenstein abkürzen, beschleunigen und potenzieren. Im Zentrum sämtlicher Entwicklungen bleiben jedoch Menschen und Profis aller Schattierungen. Als Macher, Entscheider, Entwickler, Förderer oder auch Verhinderer. Als Individuen, Teams, Gruppen und Community. So lange das so bleibt, dreht sich das Karussell nicht autonom. Nur schneller. Die Potenziale künstlicher Intelligenz können in Zukunft hier Distanzen zum Perpetuum mobile möglicherweise noch verringern, ohne jedoch den Graben zu überspringen.
Kostet oder schafft die Digitalisierung Arbeitsplätze?
Das eine wie das andere. Neu geschaffene Arbeitsplätze entsprechen in der Funktion allerdings nicht jenen, die durch Digitalisierung und Prozesse ersetzt werden. Ob in der Gesamtbilanz netto ein Mehr an Arbeitsplätzen geschaffen wird, bleibt abzuwarten. Neue Chancen, Funktionen und Berufsbilder entstehen ganz sicher und damit auch eine markant gesteigerte Bedeutung der Bereiche Ausbildung und Weiterbildung.
Bedrohen FinTechs klassische Banken?
Nein. Aus dem einfachen Grund, weil der Typ Bank, den es in zehn Jahren und damit auch morgen noch geben wird, bereits seit gestern, allerspätestens ab heute, ein FinTech ist. Und ein FinTech bedroht sich nicht selbst.
Bedrohen Startups klassische Banken?
Nein. Weil eine Bank, die sich selbst als FinTech versteht, durch Startups nicht bedroht, sondern nur konkurrenziert wird. Klassische Banken sind zudem aktuell im Vorteil, weil sie auf eine breite Kundenbasis sowie Know-how im Finanzbereich zurückgreifen können und auch vom Vertrauensbonus profitieren. Und sie verfügen in aller Regel über die Mittel und Ressourcen, Innovationen nicht nur zu planen, sondern auch umzusetzen und im Markt zu installieren.
Sind Banken die besseren FinTechs als Startups?
Ja und nein. Ja dann, wenn Banken ihre Stärken und Vorteile nutzen und rechtzeitig ausspielen. Und auch dann, wenn sie erkannte Defizite durch mutige Innovationen und eventuell durch Kooperationen ausgleichen. Eine Bank, die in Strategie und Geschäftsmodellen am Puls der Digitalisierung agiert und dadurch die Auswirkungen der Digitalisierung selbst mitgestaltet und prägt, kann heute und morgen die bessere Bank und das bessere FinTech sein. Im Idealfall in Gesellschaft und Konkurrenz zu einigen anderen besten Banken und FinTechs.
Nein dann, wenn Chancen und Potenziale der Digitalisierung zu spät erkannt, zu spät oder gar nicht realisiert werden. Zumal Startups mit ausgebauten Finanzierungsrunden ernstzunehmende Konkurrenten sein oder werden können.
Wer ist im Vorteil: Banken oder Technologieunternehmen?
Um kurz zu bleiben im groben Raster betrachtet: Kauft ein Technologieunternehmen eine Bank und schafft es, zwei sehr unterschiedliche Philosophien intelligent zu verbinden und mit gutem Marketing zu verstärken, entsteht ein brisantes Leistungspaket. Kauft eine Bank ein Technologieunternehmen und schafft denselben Spagat, ist das Resultat dasselbe.
Banken unterliegen Regulierungen, vor allem jedoch haben sie eine andere Geschichte und Tradition, aus der sie in Jahrzehnten gewachsen sind. Das kann eine Bank, im Vergleich zu Technologieunternehmen, zu einem Supertanker werden lassen, der in Flexibilität, Manövrierfähigkeit und Tempo Defizite hat.
Technologieunternehmen agieren schnell, verfügen in der Regel über schlanke Strukturen mit kurzen Entscheidungswegen, jedoch nicht über Know-how im Banking.
Deshalb sind die Vorteile nicht auf einer Seite angebunden, vielmehr unterschiedlich verteilt. Interessant dürfte werden, wer mit wem in Zukunft partnert. Oder auch, wie sich Finanzdienstleistungen in den nächsten Jahren ausprägen und damit unterscheiden werden vom Banking der letzten Jahrzehnte.
Bleiben die Banken attraktive Arbeitgeber?
Seit der Finanzkrise 2008 und durch Ereignisse und Entwicklungen in den letzten Jahren haben Banken an Populärität für junge dynamische Studenten und für spezialisierte Profis verloren. Als Arbeitgeber und Innovations-Schmiede können Banken gerade durch die Digitalisierung an Attraktivität gewinnen und wieder massiv zulegen. Wie wird eine Bank zum Magneten für die besten Kreativen und Innovatoren? Um nur einige Stichworte zu nennen: Gemischte Teams, herausfordernde Aufgaben, tolle Projekte und ein Umfeld, das den Wertevorstellungen einer neuen Generation in Bezug auf Flexibilität, Arbeitszeit- und Arbeitsplatzgestaltung entspricht – wer hier die richtigen Bedingungen schafft, wird die Besten aus allen Bereichen anziehen und mit an Bord holen. Das neue Banking mit all seinen Möglichkeiten kann tatsächlich zum starken Magneten werden.
Wer ist der wichtigste Teilnehmer im neuen Spiel?
Innerhalb der digitalen Transformation spielen alle Beteiligten und zahlreiche Faktoren eine wichtige Rolle. Zumal ein ständiger Prozess nur dann im Gang gehalten werden kann, wenn Unternehmen, Geschäftsleitung, Abteilungen und Mitarbeiter dieselbe Haltung teilen, gemeinsame Ziele verfolgen und motiviert am gleichen Strick ziehen.
Im Fokus dieser Ziele steht eine Gruppe, die wichtigste: Menschen und Kunden. Mit Verhaltensweisen, die sich ändern. Mit Wünschen und Bedürfnissen. Mit der Bereitschaft, Services und Leistungen zu nutzen, die erkennbare Vorteile bringen, Probleme lösen, für ein Mehr an Komfort und Sicherheit sorgen. So einfach ausgelegt, dass sie das Leben wunderbar leicht machen. Wer mit dieser Prämisse seine Zielgruppen "liest", braucht die Digitalisierung nicht zu fürchten, im Gegenteil, sie bietet völlig neue Möglichkeiten, Unterschiede zu schaffen.
Stichworte zum Thema im Lexikon: FinTech | Digitale Transformation | Open Banking