Der Kreis der institutionellen Anleger und Bitcoin-Wale spielt in unseren Überlegungen keine Rolle, diese Anleger waren schon immer emanzipiert und folgen professionellen Regeln oder starken Überzeugungen – es geht vielmehr um die riesige und weiterhin wachsende Community der Kleinanlegerinnen und Kleinanleger.
Die Community der Krypto-Investoren
Die Community der Kleinanleger hat sich in den letzten Wochen und Monaten in zwei Lager aufgeteilt. Da sind zum einen jene, die panikartig alle Kryptobestände verkauft haben, als die Kurse ins Rutschen geraten sind. Erfahrene Daytrader ausgenommen, ist diese Gruppe gut beraten, wenn sie sich auf andere Assets verlegt. Wer sich durch jede wie auch immer geartete Schlagzeile beeinflussen lässt, wird auch in Zukunft bei steigenden Kursen kaufen und bei fallenden verkaufen, oftmals nicht rechtzeitig und deshalb mit Verlusten.
Im zweiten Lager sitzt die interessantere Gruppe. Private Anlegerinnen und Anleger, die sich mit dem Wesen von Kryptowährungen etwas befasst haben und deshalb mit einem minimalen oder sogar mit erweitertem Wissen in Kryptos investieren, weil sie glauben, das dieses Phänomen Zukunft hat. Ob sie recht bekommen oder nicht, ist nicht der Punkt unserer Betrachtung. Diese Gruppe der bewussten Anlegerinnen und Anleger handelt aus Überzeugung, das schafft auf allen Seiten eine entspanntere Ausgangslage. Diese Community ist deshalb interessant, weil sie innerhalb der möglichen Grenzen weiss, was sie tut. Deshalb wird sie sich weder verschulden, ganz schlechte Idee, noch über ihre selbst definierten gesunden Limits hinaus investieren.
Diese Gruppe hat mit dazu beigetragen und tut es noch, dass Online-Plattformen für Aktienhandel seit Monaten boomen – und Krypto-Apps ebenfalls. Über die verschiedenen Gründe dieses Booms haben wir schon mehrmals berichtet, zum Beispiel hier.
Der Trend zum autonomen und eigenverantwortlichen Anlegen setzt sich fort
Bekanntlich haben Massen von neuen Anlegerinnen und Anlegern ihre Freude am autonomen und eigenverantwortlichen Investieren entdeckt. Aus vielen Gründen, stark forciert durch den Auslöser der Lockdowns während der Corona-Pandemie. In dieser Zeit haben sich die Einlagen von zahlreichen Sparkonten mit Null- oder drohenden Minuszinsen in Richtung von Online-Plattformen für Aktien- und für Kryptohandel verschoben. Einfaches und schnelles Onboarding, tiefe oder gar keine Gebühren sowie ein grosses Angebot von handelbaren Assets, Kryptowährungen inklusive, sind offenbar gut angekommen – und haben einfach perfekt ins Vakuum der Lockdowns gepasst. In vielen Ländern, weltweit.
Dass bei all diesen Plattformen autonomes und selbstverantwortliches Agieren ohne jede Beratung angesagt ist, hat offenbar nicht gestört, im Gegenteil. Die Gruppe dieser autonomen Investoren wird kaum zurückkehren, man hat sich an Komfort und Möglichkeiten gewöhnt und offensichtlich Spass am direkten Investieren gewonnen. Zudem haben die verschiedenen Plattformen laufend kräftig ausgebaut, um den Heerscharen von neuen Nutzerinnen und Nutzern zusätzliche Gründe für das Bleiben auf Dauer zu liefern.
Online-Plattformen, die bisher "nur" Aktien und ETFs im Angebot hatten, wie zum Beispiel Robinhood in den USA oder Trade Republic in Deutschland, haben sich beeilt, auch Kryptowährungen ins Programm aufzunehmen. Plattformen, die auf Kryptos spezialisiert waren, wie zum Beispiel Bitpanda, haben mit Aktienhandel nachgezogen. Sämtliche Plattformen haben ihre Angebote und Programme laufend ausgebaut, um den gewaltigen Zuwachs an Neu-Investoren auf Dauer halten zu können. Das scheint zu gelingen, die Plattformen wachsen weiterhin.
Women Investors
Um beim Krypto-Segment zu bleiben, ein interessanter Punkt mit einem Blick auf die USA: Der Kryptomarkt ist traditionellerweise eher stark von Männern dominiert. Frauen sind generell und vernünftigerweise bei Investitionen vorsichtiger, nicht nur im Kryptobereich. Umso erstaunlicher, dass 40 Prozent der aktiven weiblichen Nutzerinnen auf Robinhood im März 2021, neben anderen Assets, auch Kryptowährungen gehandelt haben, was im Vergleich zu Ende 2020 einer siebenfachen Steigerung entspricht. Insgesamt hat sich die Zahl der Frauen, welche die Handelsplattform von Robinhood nutzen, innerhalb eines Jahres mehr als verdreifacht.
Klassische Banken bleiben weitgehend aussen vor
Bei klassischen Banken ist das Süppchen der Kryptowährungen und entsprechender Anlageprodukte aktuell bekanntlich noch auf ziemlich kleiner Flamme am Köcheln. Die meisten der traditionellen Finanzdienstleister schwanken weiterhin hin und her und bleiben unentschlossen, insbesondere auch die Grossbanken, nationale und internationale. Kündigen sie in Zeiten ansteigender Kurse dezent zurückhaltendes Interesse am Kryptomarkt an und sondieren Wege der Öffnung für ihre Kunden, warnen sie kurz danach bei Kurseinbrüchen ihre Kundinnen und Kunden vor Investitionen in Krypto-Assets – und die Öffnung für Krypto-Produkte rückt erneut in weite Ferne.
Kein Wunder, wer wollte da nicht zögerlich bleiben bei einem Asset wie zum Beispiel dem Bitcoin, der Ende 2019 bei 7'200 Dollar notiert, ein Jahr später bei knapp 29'000, kurze vier Monate danach im April 2021 an der 65'000-Dollar-Marke kratzt, sich wieder halbiert und nun seit Wochen schon mehr oder weniger regungslos zwischen 30'000 und 32'000 rumdümpelt. Nein, es ist noch nicht das Ende der Volatilität – der Bitcoin weiss einfach noch nicht, in welche Richtung er ausbrechen soll, immerhin stehen ihm zwei Wege offen.
Klassische Banken brauchen noch Zeit, sie wünschen sich mehr Gewissheit, Sicherheit und Stabilität. Ein Wunsch jedoch, der auch in nächster Zeit an der Kryptofront kaum in Erfüllung gehen dürfte. Gut möglich allerdings, dass die Bankkunden in ihren Einschätzungen, Plänen und in ihrer persönlichen Risikobereitschaft ein Stück weiter sind als die Banken selbst. Anders lässt sich der Erfolg und der anhaltend massive Kundenzuwachs von Krypto-Plattformen und Neo-Brokern nicht erklären.
Das heisst nun nicht zwingend, dass es eine wirklich gute Idee ist, in Krypto-Produkte zu investieren, es bedeutet lediglich, dass sich der Trend zum autonomen und eigenverantwortlichen Anlegen ohne Bank fortsetzen wird.
Guter Krypto-Rat ist teuer – zum Glück aber auch völlig unnötig
So oder so ist guter Krypto-Rat in diesen Tagen teuer. Um genau zu sein, er ist gar nicht erhältlich. Niemand kann taugliche Prognosen zu einem jungen Phänomen liefern, das es vor der Bitcoin-Ära noch gar nicht gab. Deshalb existieren auch keine verlässlichen Vergleiche oder Erfahrungswerte. Und auch keine Analysten, die Prognosen mit Hand und Fuss liefern könnten, wie sollte das gehen? Auch technische und Chart-Analysen helfen nicht wirklich weiter. Bitcoin und Co. scheinen sich wenig um diese Analysen zu scheren, sie gehen ihren eigenen Weg und tun Dinge, die auch hartgesottene Analysten überraschen.
Die meisten seriösen Experten schreiben den Kursen hinterher, versuchen zu erklären wie es kam, bleiben jedoch sehr zurückhaltend in ihren Prognosen, wie es kommen könnte. Richtigerweise, Bitcoin und andere Kryptos bleiben in ihrer Entwicklung, wenn überhaupt, nur über einen sehr langen Zeithorizont prognostizierbar. Und auch diese Prognosen stehen auf dünnem Eis, weil die kurzfristige Entwicklung in den nächsten paar Monaten überraschende Ereignisse einschliessen kann, welche die Erwartungen auf lange Sicht verändern können.
Auch auf den Bitcoin- und Dogecoin-Flüsterer Elon Musk ist kein Verlass mehr. Haben seine zahlreichen Tweets an seine Gemeinde von 58 Millionen Twitter-Followern vor wenigen Wochen noch für erdrutschartige Kursausschläge gesorgt, scheinen inzwischen auch seine treusten Gefolgsleute wegzulesen. Die aktuellen und letzten Tweets von Musk sind praktisch ohne Wirkung geblieben. Ein positiver Effekt – kauft und verkauft eine unreife und hysterische Community ihre Coins nach den Launen und der Tagesform ihres scherzenden Idols, mag das Elon Musk selbst belustigen und sein Ego stählen, dem Kryptomarkt und seinen Investoren sind die Clownerien abträglich.
Am lautesten hörbar bleiben in diesen Tagen die üblichen und ständig präsenten Verdächtigen der entgegengesetzten Pole – das sind jene, die Kryptowährungen immer schon enthusiastisch in den Himmel gelobt oder dann Gift und Galle speiend in die Hölle verdammt haben. Auch da darf man weghören und weglesen, das Prinzip Hoffnung spielt auf beiden Hochzeiten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Beginnt die Gemeinde der Krypto-Anleger sich zu empanzipieren?
Krypto-Anlegerinnen und Krypto-Anleger scheinen sich verstärkt auf ihre eigenen Einschätzungen zu verlassen. Das ist grundsätzlich eine gute Entwicklung, weil damit auch die Verantwortung klar angebunden bleibt. Wer aufgrund fundamentaler Daten und bekannter Fakten glaubt, das könnte langfristig etwas werden mit Kryptos, geht ins Risiko und ist oder bleibt in Bitcoin oder andere Krypto-Assets investiert. Wer Bitcoin und andere Kryptos als Blase wahrnimmt, lässt die Finger von diesen Investments oder hat inzwischen längst verkauft und wird auch in Zukunft nicht investieren. In beiden Fällen ohne Beratung, die niemand wirklich geben kann, einzig aufgrund der eigenen Einschätzung.
Fakt bleibt jedoch, dass das Interesse an Krypto-Handelsplattformen und an den Serviceleistungen von Neo-Brokern ungebrochen bleibt und sogar zunimmt. Und damit auch an Krypto-Assets. Das belegen die zunehmenden Zahlen der Nutzerinnen und Nutzer von Plattformen wie Robinhood, Trade Republic, Bitpanda, Bison, Swissquote und vielen anderen. Durchwegs FinTechs und Plattformen, die keine Anlageberatung bieten, sondern ihre Kunden autonom handeln lassen. Was von genau diesen Kundinnen und Kunden nicht nur in Kauf genommen, sondern offensichtlich geschätzt wird.
Die Frage der Verantwortung
Gemeinsames Merkmal dieser neuen Generation von Plattformen: Es kann und muss niemand die Verantwortung übernehmen, keine Bank, keine Plattform, kein Neo-Broker, keine App.
Die Verantwortung bleibt bei den Anlegerinnen und Anlegern, die sich offensichtlich emanzipiert haben. Diese investieren autonom und in eigener Regie innerhalb ihrer Möglichkeiten – oder sie lassen es aus Überzeugung bleiben. Bei der einen wie bei der anderen Entscheidung braucht es keine Berater, Experten oder Gurus – die Hälfte von ihnen wird ohnehin falsch liegen. Genau so, wie die investierenden oder nicht investierenden Anleger.
Nehmen die weiterhin sehr volatilen Krypto-Assets auf lange Sicht eine gute Entwicklung, gucken die klassischen Banken als Service-Anbieter in die Röhre. Haben sie heute kein Angebot, wird das auch morgen niemand von ihnen erwarten. Sollten sich jedoch die düsteren Prognosen der vehementesten Kryptogegner und Propheten (nein, das sind nicht die Banken) erfüllen, dann bekommen Banken im Nachhinein einen minimalen Vorteil in die Karten gespielt, sie dürfen dann sagen: Wir haben euch ja gewarnt.