Letzte Woche hat die CEO des Oldtimer-Versicherers OCC, Désirée Mettraux, über "die wunderbare Reise von OCC zu Tiktok und Clubhouse" berichtet. Ihre Erfahrungen gibt's im Artikel hier zu lesen.
Aufgefallen in der Story sind unter anderem die Bedenken von Désirée Mettraux' Kollegen aus der Versicherungsbranche. Die wundern sich, warum OCC als Versicherer auf Social Media-Kanälen wie Tiktok, Pinterest, Instagram oder Clubhouse aktiv mitmischt. Im Falle von Tiktok hängt das Wundern mit einem hartnäckig kolportierten Urteil zusammen:
Auf Tiktok gibt's doch nur singende Kinder und alberne Videos zu sehen
Tatsache oder nicht überprüftes Vorurteil?
Beides. Singende Kinder finden statt und alberne Videos gibt's auch zu sehen. Nur, das Tiktok-Universum ist ungleich grösser. Wer sich an singenden Kindern und albernen Videos sattgesehen hat, der findet ohne lange zu suchen weitere bemerkenswerte Beiträge, die unter Begriffen wie lustig, neu, witzig, schräg, abgedreht, mutig oder einfach anders subsumiert werden können.
Viele Beiträge gehen erstmal einfach als Unterhaltung durch. Andere Teilnehmer packen eine konkrete Message in ihre Videos. Banken und Versicherer gehören aus naheliegenden Gründen zu Letzteren. Diese liefern oftmals wissenswerte Informationen in Videos, die jedoch in der Verpackung von lustig, neu, witzig, mutig, schräg, überraschend, abgedreht oder eben einfach anders daherkommen.
Wer von diesen Unternehmens-Teilnehmern die schnell zu lernende Tiktok-Rezeptur begriffen und verinnerlicht hat, kann selbst überprüft werden: auf Tiktok in der Suche Stichworte wie "Versicherung", "Finanzen" oder verwandte Begriffe eingeben und schauen, wer's geschafft hat, viele Follower anzuziehen. Von diesen Follower-Magneten kann man lernen.
Verträgt sich Seriosität mit Humor, Selbstironie oder Comedy-Elementen?
Mit Blick auf Tiktok ist die Frage falsch gestellt: Seriosität ohne Humor, Selbstironie und ein bisschen Comedy wird nicht landen können. Das eine tut dem anderen jedoch keinen Abbruch, die Angst vor Reputationsverlusten ist unbegründet. Im Gegenteil. Eine Bank oder eine Versicherung wird niemals das Gesicht verlieren, wenn sie über die Schiene von Unterhaltung eine neue Nähe zu einer riesigen Zielgruppe aufbaut. Immerhin sind auf Tiktok 800 Millionen aktive Nutzer weltweit unterwegs, davon 100 Millionen in Europa.
Tiktok ist kein Instrument, um Verkäufe und Abschlüsse zu generieren, aber ein hervorragender Kanal, um gut portionierte Informationen und Wissen an die Frau und an den Mann zu bringen. Vor allem an junge Zielgruppen. Immer vorausgesetzt, die Verpackung stimmt – ohne gut zu unterhalten, wird's nicht funktionieren.
Mit Humor, Selbstironie und einem Touch von Comedy wird für Unternehmen, auch für Banken und Versicherer, vieles möglich. Zum Beispiel, Nähe zu einer wachsenden Community aufzubauen. Und damit in der Umkehrung auch die Nähe der Follower zu den eigenen Leistungen und Produkten. Nicht ganz direkt und mit dem Holzhammer, wir wiederholen uns, über lustig, neu, witzig, mutig, schräg, überraschend, abgedreht oder zumindest anders, aber schon.
Lohnt sich das Engagement auf Tiktok?
Man könnte es so formulieren: Aufbau von Image, Nähe und Nahbarkeit mit konkreter Kupplung zur späteren Ernte. Der Weg zur Ernte kann und darf durchaus über Kompetenzbeweise führen, weil die Zielgruppen auf Tiktok empfänglich sind für Wissen, Tipps und konkrete Lebenshilfe. In der richtigen inhaltlichen Einbettung und Verpackung eben.
Die rein formale Verpackung besteht aus Videos bis zu 60 Sekunden. Diese müssen seit Erfindung von Smartphones nicht kostenintensiv und aufwendig im Studio produziert werden. Das Spontane und schnell Abgedrehte kommt gut an – der Aufwand liegt vielmehr im tragfähigen Konzept, das intelligent und durchdacht entwickelt und dann mutig durchgezogen werden muss.
Gute Beispiele gibt's zuhauf auf Tiktok – auch von Versicherern und Finanzdienstleistern. Wer die Mär von singenden Kindern und albernen Videos selbst noch nicht überprüft hat: eine Stunde Recherche auf Tiktok genügt fürs Erste, um über gute Beispiele die eigenen Möglichkeiten zu erkennen. Die guten Beispiele stammen oftmals von Teilnehmern mit einer grossen Zahl an Followern.
Der Traum vom viralen Video, das die Welt erobert
Diesen Traum darf man träumen, er kann sich eines Tages sogar erfüllen. Der virale Grosserfolg ist jedoch eher selten und vor allem nicht planbar. Das letzte virale Video auf Tiktok, das die Welt erobert hat, war eine dieser ungeplanten Überraschungen. Sie kommt von einem Postboten aus Schottland, der Gitarre spielt, singt, auf Sea Shantys steht und ein Shanty für seinen Bruder auf Tiktok eingespielt hat.
Den Bruder hat's gefreut, er hat das Video gesehen – als Teil eines Publikums von inzwischen mehr als 150 Millionen Mitbetrachtern. Nathan Evans hat das Shanty vom "Wellerman" auf Tiktok gesungen, das Video ist in nächsten Wellen von x Mitsängerinnen und Sängern erweitert und als Mashup und Remix über Tiktok hinaus auf allen anderen Social Media-Kanälen geteilt worden.
Banker und Versicherer brauchen jetzt nicht auf die Strasse zu rennen, um im Chor ein Shanty zu singen, dieser Zug ist abgefahren. Das Beispiel jedoch zeigt jedoch, das im besten Sinne einfache und ehrliche Videos das Potenzial haben, viral die Welt zu erobern.
Anschauen kann helfen, den Triggern für virale Verbreitung auf die Spur zu kommen.