Vergangenen Freitag war eine US-Delegation mit sechs Abgeordneten des US-Repräsentantenhauses im Bundeshaus in Bern zu Gast, wir haben ausführlich berichtet. Die Delegation, angeführt von der Demokratin Maxine Waters, Vorsitzende des Finanzausschusses im US-Repräsentantenhaus, wollte sich einen Überblick verschaffen, wie die Schweiz das Libra-Projekt zu regulieren gedenkt.
Wie man weiss, stört sich die US-Regierung unter anderem daran, dass die Libra Association ihren Sitz in der Schweiz (Genf) hat – in einem Land, das Blockchain- und Krypto-Projekten tendenziell sehr offen gegenübersteht. Die informellen Gespräche zum Thema Libra scheinen vor diesem Hintergrund erwartungsgemäss nicht zum Ergebnis geführt zu haben, das auf der Wunschliste der US-Delegation steht.
Innovationsfreundliche Regulierungs-Praxis der Schweiz: Dorn im Auge der USA?
In einer Medienmitteilung vom 25. August 2019 fasst Maxine Waters das Treffen in Bern zusammen. Während sie sich für die Zeit bedankt, welche die Schweizer Regierungsvertreter ihr geschenkt hätten, zielt die zweite Bemerkung von Waters auf die innovationsfreundliche Regulierungs-Politik der Schweiz, welche zu einem in ihren Augen möglicherweise falschen Ergebnis führen könnte:
Aber meine Sorge bleibt, einem grossen Technologieunternehmen die Schaffung einer privat kontrollierten, alternativen globalen Währung zu ermöglichen
In derselben Medienmitteilung hält Maxine Waters fest, dass die Anhörung letzten Monat des Finanzausschusses im US-Repräsentantenhaus "nur der erste Schritt in unserem Aufsichts- und Gesetzgebungsprozess" gewesen wäre. Diese Anhörung hätte dem Zweck gedient, "die von Facebook vorgeschlagene Kryptowährung Libra und ihre Auswirkungen auf Verbraucher, Investoren, die nationale Sicherheit und das amerikanische Finanzsystem zu untersuchen".
Libra ganz oben auf der Prioritätenliste des Finanzausschusses
Der Themenbereich "Facebook, Kryptowährung und digitale Geldbörse" ist von Maxine Waters auf der am 23. August 2019 publizierten Liste der aktuellen Herbst-Prioritäten für den Finanzausschuss im US-Repräsentantenhaus ganz oben gesetzt worden, verbunden mit dem Willen des Ausschusses, "eine starke Kontrolle auszuüben".
Wer hilft mit, dieser "starke Kontrolle" ein Gesicht zu geben? Unter anderen namentlich genannt als "hochrangige Regierungsbeamte", die zum Thema befragt werden sollen, ist Finanzminister Steven Mnuchin. Der frühere Banker und Hedgefonds Manager gilt als vehementer und angriffslustiger Gegner von Kryptowährungen im Allgemeinen und Libra im Besonderen.
Finanzminister Steven Mnuchin als medienwirksamer Scharfmacher?
Mnuchin hatte Mitte Juli 2019 in einer Pressekonferenz das Thema Libra nicht ganz undramatisch zur "nationalen Sicherheitsfrage" erklärt. Dies unter anderem mit der Begründung, dass die digitale Währung "von Geldwäschern und Terroristen missbraucht werden könnte".
Als Beleg für seine Befürchtungen führte Mnuchin ins Feld, dass "Kryptowährungen wie Bitcoin genutzt worden sind, um illegale Aktivitäten wie Internetkriminalität, Steuerhinterziehung, Erpressung, Ransom-Attacken, illegale Drogen und Menschenhandel in Milliardenhöhe zu unterstützen".
Im gleichen Zuge hat er Kryptowährungen generell den Platz zugewiesen, auf dem das Übel sitzt, das Bargeld bei kriminellen Handlungen inzwischen den Rang abgelaufen hätte.
Gegenüber CNBC ging Mnuchin im Interview noch einen Schritt weiter, schoss einen Pfeil in Richtung Schweiz, und gab mit einem Seitenblick auf Libra zu Protokoll:
Wir werden sicherstellen, dass Bitcoin nicht das Äquivalent zu Nummernkonten von Schweizer Banken wird, die offensichtlich ein Risiko für das Finanzsystem darstellten
Auch hinter dieser Bemerkung wird der Unmut darüber spürbar, wie die Libra Association dazu kommt, ihren Sitz in die Schweiz zu verlegen. Damit entzieht sich die Association ein Stück weit dem direkten Einfluss der USA, weil die Schweizer Behörden für die Regulierung im Land zuständig sind. Und diese Behörden tendieren dazu, Innovationen nicht abzuwürgen, sondern innerhalb vernünftiger und pragmatischer Grenzen zu kanalisieren und zu regulieren.
Mnuchins plakative Argumentation krankt nicht an übertriebener Sachlichkeit
Der Einfluss von Steven Mnuchin ist nicht zu unterschätzen. Noch weniger wegen seiner Person und Funktion, vielmehr weil er medienwirksam agiert und dazu tendiert, Argumente zu komprimieren, komplexe Sachverhalte ohne Details zu verkürzen und damit in der von ihm gewünschten Prägung verständlich für alle in dramatisierter Form an den Mann und an die Frau zu bringen.
Nebenbei bemerkt: Steven Mnuchin zieht nicht exklusiv gegen Facebook und die Libra Association vom Leder. Mit derselben Vehemenz macht er Druck auf Amazon. Gegenüber CNBC hat er im Juli 2019 scharf auf Jeff Bezos und Amazon mit der Bemerkung geschossen: Dieses Unternehmen "hat den Einzelhandel in den Vereinigten Staaten zerstört".
Mit dieser sehr verkürzten Sicht- und Denkweise zu den Auswirkungen der Digitalisierung, glaubt Mnuchin den Schuldigen gefunden zu haben. Er überspringt grosszügig jedes entlastende Detail und stellt Amazon plakativ an den Pranger, gut sichtbar für alle, insbesondere für die grosse Zahl der Vertreter aus dem Einzelhandel. Zustimmung und Applaus für die Ansprache aus dieser Branche ist so gut wie garantiert.
Steigt Mnuchin in den Herbst-Hearings des Finanzausschusses im US-Repräsentantenhaus mit ähnlich komprimierten Argumenten gegen die Libra Association in den Ring, dürfte das Libra-Projekt in den USA weiterhin einen schweren Stand haben.
Die Gegenthese in Form von interessierter Gelassenheit kommt aus Deutschland
Zwei Exponenten aus Deutschland setzen gegenüber dem Libra-Projekt ihre Segel anders und überraschen mit Aussagen, die zitiert gehören.
Interessant dabei, beide Exponenten sind Vertreter der Deutschen Bundesbank. Als Zentralbank könnte die Institution dem Libra-Projekt mit Nervosität und Ablehnung gegenüberstehen, weil sie die Finanzstabilität oder die eigenen Felle gefährdet sieht.
Das ist jedoch nicht der Fall, im Gegenteil – gesunde Vorsicht, Interesse und pragmatische Haltung dominieren die Betrachtung gegenüber neuen Entwicklungen.
Burkhard Balz, Vorstand der Deutschen Bundesbank, zum Libra
Diese Woche in einem Artikel in der NZZ sieht Burkhard Balz, Vorstand der Deutschen Bundesbank, zum jetzigen Zeitpunkt keine Bedrohung für die Finanzstabilität. Balz erkennt im Gegenteil Chancen, im mehrfacher Hinsicht. Zum Beispiel für Schwellenländer.
"Dort könne Libra konkrete Vorteile bieten, meint der Bundesbanker, etwa schnelle Transaktionen, niedrigere Kosten oder den Schutz vor Wertverlusten beziehungsweise Abwertung. Libra könnte stabiler sein als manche Währungen in den Schwellenländern, sagt Balz."
Zudem, so Burkhard Balz, könnte "die neue Facebook-Währung Libra eine gewisse disziplinierende Wirkung auf Zentralbanken haben" und er fordert im gleichen Zuge "eine europäische Alternative im Zahlungsverkehr zu den immer dominanteren amerikanischen und chinesischen Anbietern".
Balz plädiert beim Libra pragmatisch dafür, dass zuerst im Rahmen der G-7- oder der G-20-Staaten politische Leitlinien definiert werden, Klärung der Detailfragen dann im Anschluss im Rahmen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die Schweiz als Land des Stiftungssitzes könnte dabei laut Balz die Federführung übernehmen.
Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, zum Thema
Auf der Website der Deutschen Bundesbank wird das Interview widergegeben, das der Präsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Jens Weidmann, vergangenen Sonntag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gegeben hat.
Einige Statements zitiert aus dem Interview:
«Ich sehe die Unabhängigkeit der Notenbanken durch Libra nicht gefährdet»
«Auf jeden Fall könnte Libra dazu beitragen, vor allem grenzüberschreitende Zahlungen schneller und kostengünstiger zu machen»
«Libra ist ein sogenannter "Stable Coin", der sich die Stabilität etablierter Währungen sozusagen "ausleiht". Damit wäre Libra wertstabiler als etwa Bitcoin und könnte beispielsweise für Nutzer in manchen Schwellenländern attraktiv sein.»
«Für mich unterstreicht die Diskussion um Libra zweierlei. Zum einen müssen wir als Zentralbanken unsere Systeme weiterentwickeln, die das Rückgrat des Zahlungsverkehrs bilden. Die Banken müssen ihren Teil leisten und den Bürgern weiterhin kostengünstige, schnelle und komfortable Zahlungsmöglichkeiten in Euro anbieten. Der Wettbewerb belebt da sicherlich das Geschäft. Zum anderen müssen wir darauf achten, dass mit Libra keine Regulierungen ausgehebelt werden, insbesondere nicht beim Verbraucherschutz, bei der Prävention von Geldwäsche oder der Sicherheit des Zahlungsverkehrs.»
Das Interview mit Dr. Jens Weidmann sowie den Artikel mit den Betrachtungen von Burkhard Balz gibt's jeweils in voller Länge über die Links gleich am Ende dieses Artikels.
Die Moral von der Geschichte
Sie hat keine. Aber zumindest sehr interessante Effekte und Nebengeräusche, die durch die Macher des Libra-Projekts provoziert werden.
Man kann neue Entwicklungen und revolutionäre Projekte bekämpfen, behindern, schlechtreden und vielleicht auch wegregulieren. Damit ist besten- oder schlimmstenfalls das eine Projekt Geschichte, die Entwicklung selbst aber noch lange nicht vom Tisch. Im Gegenteil. Losgetretene Visionen lassen sich nicht stoppen, nur verzögern. Ist die Vision gut, wird sie kommen und sich durchsetzen – dann einfach weitergedacht und ausgeführt von anderen Protagonisten.
Oder man kann aussergewöhnlichen Ideen und Visionen mit Neugier und Interesse begegnen, mit den eigenen Interessen abgleichen und in Einklang bringen, den erkannten Funken der Vision zum Zünden eines eigenen längst überfälligen Feuerwergks nutzen und die Ursprungs-Vision nicht blockieren, sondern in Bahnen lenken, die für möglichst viele neuen Nutzern schaffen.
Welches Szenario und welche Rollenverteilung längerfristig mehr Gewinn bringen kann, mag jeder für sich selbst entscheiden. Gut möglich allerdings, dass die Rolle des vehementen und verbissenen Verhinderers auf Dauer so viel Kraft absorbiert, dass für die Umsetzung eigener grosser Visionen keine Ressourcen mehr da sind. Unterstützer und Möglichmacher segeln da auf der eher schonenden Seite, weil sie ihre Kraft nicht ins unproduktive Abwürgen, sondern von Anfang an in Entwicklung und Gestaltung investieren. Ohne ihre eigenen Interessen aus den Augen zu verlieren.
Das liest sich jetzt wie eine Moral – möglicherweise hat die Geschichte doch eine.