Innovation ist Chefsache

«Die Banken haben bewiesen, dass sie schnell und flexibel reagieren können»

Jörg Gasser, CEO SBVg
Jörg Gasser, CEO der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg)

Die Finanzindustrie will und muss nachhaltiger werden, nicht nur Investoren, sondern auch die Gesetzgeber verlangen danach.

Sustainable Finance lautet das Stichwort. Zu diesem Thema publizierte die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) kürzlich einen Leitfaden und eine Broschüre. Darüber spricht SBVg-CEO Jörg Gasser und über den Einfluss von Corona auf die Finanzwelt.

Interview: Marc Landis

Sie sind seit rund einem Jahr CEO der Bankiervereinigung. Welches Fazit ziehen Sie? 

Jörg Gasser: Ich erlebe eine professionelle, gut aufgestellte Branche, die nach vorne blickt. Ich bin beeindruckt, wie der Finanzplatz in wichtigen Zukunftsfeldern wie Sustainable Finance und Digitalisierung voranschreitet und zugleich in seinen Kernfunktionen wie der Liquiditätsversorgung der Wirtschaft grundsolide und verlässlich bleibt. Die Corona-Krise hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig ein gut funktionierendes Bankensystem für die gesamte Volkswirtschaft ist. 

Wie sind Sie an Ihre Funktion herangegangen? Was haben Sie konkret verändert?

Ich habe die Arbeitsweise etwas angepasst und die Zusammenarbeit der Teams verstärkt auf die genannten Zukunftsthemen fokussiert. Dafür ziehen wir Mitarbeitende mit verschiedenen Kompetenzen zusammen. Spezialisten aus den verschiedenen Fachbereichen, IT-Experten und Juristen arbeiten in Projekten agil zusammen.

Warum wird die SBVg eigentlich nicht von einem Banker geleitet?

Unser Verwaltungsratspräsident Herbert Scheidt und unsere Verwaltungsräte sind Banker und Unternehmer. Hinzu kommt, dass in unseren Kommissionen über 500 Bankspezialisten an den Positionen der Branche arbeiten. Damit ist eine enge Verbundenheit mit dem Bankenbusiness jederzeit sichergestellt. Viele Kolleginnen und Kollegen auf der Geschäftsstelle haben einen Bankenhintergrund. Ich hingegen kann mit meiner internationalen Erfahrung und meinem Hintergrund als ehemaliger Staatssekretär etwas einbringen, was nicht so stark vertreten ist, sodass wir uns gegenseitig sehr gut ergänzen. 

Ich setze mich dafür ein, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für die Branche zu schaffen, damit der Schweizer Finanzplatz auch in Zukunft stark und wettbewerbsfähig bleibt

Welche Kompetenzen bringen Sie konkret in die SBVg ein?

Von meinem Hintergrund her habe ich einen engen Bezug zur Exekutive, zum Parlament und zur Verwaltung. Seit der Finanzkrise habe ich mich intensiv mit Finanzthemen aus Regierungssicht und aus einer internationalen Sicht heraus befasst. Diese Optik ist eine gute Ergänzung zum Fachwissen, weil ich die politischen Mechanismen verstehe und weiss, wie man in der Verwaltung etwas bewegen kann.

Wie treiben Sie persönlich und die SBVg Veränderungen für den Finanzplatz voran?

Ich setze mich dafür ein, die bestmöglichen Rahmenbedingungen für die Branche zu schaffen, damit der Schweizer Finanzplatz auch in Zukunft stark und wettbewerbsfähig bleibt. Unser Anspruch ist es, zu gestalten, nicht zu verwalten. Dazu müssen wir Entwicklungen antizipieren und schliesslich – im engen Austausch mit der Branche, den Gesetzgebern und Regulatoren – Wege entwickeln, wie wir aktuelle und zukünftige Themen angehen. Unser Ziel ist es, mit starker Stimme und gemeinsam mit den Bankengruppen die nötigen unternehmerischen Freiräume zu schaffen und attraktive Rahmenbedingungen zu gestalten.

Wo sehen Sie die grössten Veränderungen in der Finanzbranche?

Die Digitalisierung ist sicher der grösste Gamechanger, sie verändert das Banking fundamental, indem sie das Banking direkter, schneller und vielfältiger macht, aber auch komplexer und technisch anspruchsvoller: Heute sind es immer seltener die Grossen, welche die Kleinen fressen – sondern die Schnellen fressen die Langsamen. Die Banken sind hier gefordert und die meisten Mitglieder sind gut aufgestellt. Auch auf der Kundenseite sind Veränderungen auszumachen; beispielsweise ein steigendes Interesse an nachhaltigen Finanzprodukten und alternativen Anlagen wie digitalen Vermögenswerten (Digital Assets) oder mehr Transparenz über die Verwendung der eigenen Daten. Wir engagieren uns für die richtigen Rahmenbedingungen, damit unsere Mitglieder bestehende und neue Kundenbedürfnisse optimal abdecken können. 

Welche Veränderungen erwarten Sie durch die Corona-Krise für die Finanzbranche?   

Mit Blick auf die Banken wirkt die Corona-Krise in erster Linie als Katalysator. Die Krise beschleunigt gewisse Entwicklungen, die sich bereits vor der Krise abgezeichnet haben: Zum Beispiel die Zunahme der bargeldlosen Transaktionen, sowohl mit Karten als auch über Mobile Payment oder digitale Kontoeröffnungen. Diese Möglichkeiten bestanden zwar schon vor der Krise, aber sie werden nun intensiver genutzt. Genau diese Beschleunigung der Digitalisierung thematisieren wir auch in einem kürzlich veröffentlichten Diskussionspapier. 

In der Corona-Krise haben die Banken bewiesen, dass sie fähig sind, schnell und flexibel auf unvorhergesehene Entwicklungen zu reagieren

Welche Lehren ziehen Sie in diesem Diskussionspapier aus der Corona-Krise?   

In der Corona-Krise haben die Banken bewiesen, dass sie fähig sind, schnell und flexibel auf unvorhergesehene Entwicklungen zu reagieren. Nun gilt es, dass Banken und Behörden die Entwicklungen als Chance für die weitere Digitalisierung der Finanzbranche und Optimierung der Rahmenbedingungen in der Schweiz nutzen. Auf Seiten der Banken hat die Corona-Krise den Wert von durchgängig digitalen Abläufen verdeutlicht und deren Akzeptanz sowohl bei den Kunden als auch bei den Mitarbeitenden gesteigert. Der Anteil an bargeldlosen Zahlungen wird weiter zunehmen und der Kundenkontakt über digitale Kanäle immer mehr zum «New Normal».

Gleichzeitig sind Finanzen Vertrauenssache. Der persönliche Austausch mit Kundinnen und Kunden ist und bleibt zentral. Die Aufgabe des Bundes ist es, entsprechende Rahmenbedingungen für volldigitale Geschäftsmodelle zu schaffen. Das kann beispielsweise durch die Einführung einer staatlich verifizierten elektronischen Identität erfolgen oder durch die Anpassung von Formvorschriften an digitale Kanäle und die Förderung und Sicherung der digitalen Infrastruktur, sei dies über Cloud-Lösungen oder ein nationales Cyber-Abwehrdispositiv.

Junge, frische Fintechs drängen auf den Markt. Wie begegnet die SBVg diesen neuen Marktteilnehmern?

Die innovative Fintech-Branche ist ein wichtiger Standortvorteil für die Schweiz und wir setzen uns aktiv dafür ein, dass sich hierzulande ein leistungsfähiges Fintech-Ökosystem entwickeln kann. Die Schweiz ist heute schon gut aufgestellt: Im jüngsten FinTech-Hub-Ranking des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug belegen Genf und Zürich hinter Singapur die Plätze zwei und drei. Auch unter unseren Mitgliedern gibt es einen klaren Trend zur Zusammenarbeit zwischen etablierten Banken und Fintech-Unternehmen.

Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Mitglieder wichtige Entwicklungen auf dem Markt nicht verpassen?

Unsere Mitglieder kennen ihre Kundinnen und Kunden am besten und investieren substanziell in innovative Lösungen, welche ihre Bedürfnisse erfüllen. Seitens SBVg nehmen wir eine Art Scharnierfunktion zwischen den Banken einerseits und zwischen Banken und Behörden andererseits wahr: Wir koordinieren, konsolidieren und tragen die Anliegen des Finanzplatzes mit geeinter Stimme nach aussen. Gleichzeitig – und das ist ganz wichtig – lancieren wir in den Gremien mit unseren Mitgliedern Zukunftsthemen, die für die Wettbewerbsfähigkeit für den Finanzplatz sehr wichtig sind, wie eben Sustainable Finance oder Digitalisierung.

Welche Aktivitäten unternimmt die SBVg, um für ihre Mitglieder zukunftsfähige Rahmenbedingungen zu schaffen?

Als Verband haben wir einen langfristigen Horizont und stellen heute die Weichen für oder gegen Regulierungen, die erst in einigen Jahren in Kraft – oder ausser Kraft – treten. Aufgrund strenger regulatorischer Vorschriften ist die Finanzbranche im Bereich der Digitalisierung besonders gefordert. Hier agiert die SBVg in vielen Bereichen als «Türöffner»: Wir setzen uns ein für digitalfreundliche Rahmenbedingungen, die den Einsatz von innovativen Technologien ermöglichen. Das erreichen wir, indem wir klare Standpunkte erarbeiten und daraus konkrete Konzepte und Handlungsoptionen ableiten. Tragfähige Lösungen brauchen den Konsens und gemeinsame Positionen der gesamten Branche. 

Sie sprechen besondere Herausforderungen der Banken an. Was meinen Sie damit konkret?

Banken verfügen über einen enorm wertvollen Schatz an Kundendaten und überlegen, wie sie diese Daten besser nutzen können. Meine Antwort lautet: Die Kunden müssen die Kontrolle über ihre Daten behalten, während die Banken sie im Sinne der Kunden stärker nutzen. 

Die SBVg hat am 4. Juni zwei Publikationen zum Thema Sustainable Finance veröffentlicht. Was hat es damit auf sich?

Der Schweizer Finanzplatz zählt zu den Pionieren im Bereich nachhaltiger Finanzgeschäfte und ist auf dem Weg, ein international führender Hub für Sustainable Finance zu werden. Der Schweizer Finanzplatz ist dazu optimal positioniert und hat das Thema schon seit Längerem zur Top-Priorität gemacht. Um das Potenzial voll auszuschöpfen, setzen wir sowohl auf Eigeninitiative der Branche wie auch auf eine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Branche geht mit eigenen Initiativen voran, wie unsere jüngsten Publikationen zeigen: Unser Leitfaden zeigt auf, wie Nachhaltigkeit in den Beratungsprozess für Privatkunden integriert werden kann. In der zweiten Publikation, der Broschüre, skizzieren wir wirksame Ansätze, wie die Rahmenbedingungen für nachhaltige Finanzgeschäfte in zehn Handlungsfeldern verbessert werden können und was die Branche heute bereits konkret unternimmt.

Gamechanger 2020

Auf einer Skala von 0 bis 10: 

Wie sehr wird die Coronakrise die Digitalisierung in der Finanzindustrie beschleunigen?

  • 7

Wie sehr wird Künstliche Intelligenz den Umgang mit Daten in der Finanzindustrie beeinflussen?

  • 8

Wie sehr wird die Verbreitung von Krypto-Währungen die Finanzindustrie verändern?

  • 5

Wie sehr werden tokenisierte Assets das Anlageverhalten von Investoren beeinflussen?

  • 5

Dokumente

Positionspapiere und Leitfäden der SBVg zum Download:
Der «Leitfaden zur Integration von ESG-Überlegungen in den Beratungsprozess von Privatkunden» adressiert die relevanten Aspekte betreffend Vermögensverwaltungs- und Anlagegeschäft für private Anleger. ESG steht dabei für Environment, Social und Governance.

In der Broschüre «Sustainable Finance in der Schweiz: Von einer Pionierin zu einem international führenden Hub» zeigt die SBVg konkrete und wirksame Ansätze für nachhaltige Finanzgeschäfte auf.

Im Diskussionspapier «Wie beschleunigt die Corona-Krise die Digitalisierung?» werden die Auswirkungen von Corona auf die Geschäftsprozesse der Banken besprochen.

Im Leitfaden «Open Banking» definiert die SBVg Open Banking als Geschäftsmodell, das auf dem standardisierten und gesicherten Austausch von Daten zwischen der Bank und vertrauenswürdigen Drittanbietern beziehungsweise zwischen verschiedenen Banken basiert.

Weitere Dokumente zum Download gleich hier.