Inside Talk

Günther Dobrauz über eine Welt, die sich sehr schnell verändert

Günther Dobrauz
Günther Dobrauz (Leader PwC Legal Switzerland) im Gespräch mit Oscar Neira (Redaktion MoneyToday.ch)

Der Innovator aus Passion über Technologie, Verantwortung, die Auswirkungen der Digitalisierung und die Notwendigkeit von ethischen Standards.


Günther Dobrauz, wer bist du, was machst du und wo tust du das?

Ich bin Partner bei PwC in Zürich und darf mit grosser Freude PwC Legal für die Schweiz leiten. Daneben bin ich auch als Teil des Global Legal Leadership Teams für unsere globalen LegalTech-Initiativen verantwortlich. Innovation und Technologie sind seit jeher meine Passion, ebenso als Teil eines multidisziplinären Teams und gemeinsam mit unseren Kunden Lösungen für und Antworten auf wichtige und oft knifflige Fragen zu finden. 

Das World Web Forum stellt die Frage "Master or Servant?" – inspirirende Provokation oder These mit Realitätsbezug?

Beides. Und gerade wegen der zunehmenden Relevanz des Themas ist es wichtig und richtig solche kritischen Fragen zu stellen. Ich denke, dass wir in der Tat aktuell am Scheideweg stehen. Jetzt gilt es zu entscheiden, wie wir Technologie in Zukunft einsetzen. Ich will damit kein Skynet vs. Star Trek-Szenario, also Dystopie vs. Utopie beschwören, das wäre zu weit gegriffen, aber es geht darum, Grundsatzentscheide zu treffen.

Wollen wir die Menschen zum Beispiel dem unkontrollierten Suchtpotenzial von Social Media aussetzen – oder wie bei anderen Suchtmitteln Grenzen ziehen? Sollen wir bei der rasant fortschreitenden Entwicklung die Implementierung von KI moralisch-ethische Standards verpflichtend verlangen – und wenn ja, welche? Wenn Daten zunehmend an Wert gewinnen, wie schützen wir das Eigentum daran und die Kontrolle darüber? 

Politische und gesellschaftliche Veränderung, vor allem auch die Technologie führen zu Verschiebungen. Wer wird verlieren, wer wird gewinnen?

Ich hatte das Glück als Xennial und somit als Teil einer glücklichen Mikrogeneration aufzuwachsen. Frei von den neuen Oppressionen des Internets und voll der Begeisterung für seine expandierenden Möglichkeiten. Für eine gewisse Zeit habe ich tatsächlich geglaubt, dass es uns zu besseren Menschen machen würde, dass wir alle näher zusammenrücken würden, gleichen Zugang zu Informationen erhalten und somit geografische, soziale und politische Grenzen nachhaltig überwinden und eine gerechtere, globale Gesellschaft aufbauen können. Ich hatte halt noch kein Google oder Wikipedia und konnte es daher wohl nicht besser wissen (lacht).

Im Ernst, ich habe das wirklich geglaubt. Was wir effektiv geschafft haben, ist zu einer bequemeren Gesellschaft zu werden. Ich kann praktisch alles auf der ganzen Welt mit einem Mausklick erwerben und jederzeit mit jedem kommunizieren. Ich muss vor einer Reise keine Karte studieren, denn ich habe ja Google Maps in der Tasche, und wo ich früher für ein Treffen den Ort und die Zeit genau bestimmen musste, kann ich mich heute lediglich vage – "am Abend in der Stadt" – verabreden und dann kurzfristig über mobile Kommunikation zueinander finden.

Was wir aber auch geschafft haben, ist mehr Macht über die Menschen als jemals zuvor in der Hand weniger zu konzentrieren. Langsam beginnen wir die Konsequenzen daraus zu erkennen. Tweets, die politische Verwerfungen auslösen können, Algorithmen, die unsere demokratischen Mechanismen manipulieren. Exponentielle Technologien führen uns ins nächste Maschinenzeitalter und werden schon bald viele Jobs vernichten. Deutsche Post-Chef Appel hat jüngst eindringlich formuliert, dass es, wenn man jung ist, unabhängig davon, welchen Beruf man sich aussucht, es keine Garantie gibt, dass er in 10 bis 15 Jahren noch existiert.

Wenn wir uns erinnern, zu welchen sozialen Verwerfungen das letzte Maschinenzeitalter geführt hat und wie lange es gedauert hat, die Menschen wenigstens in der westlichen Welt wieder aus den Fabrik-Slums zu befreien und lebenswerte und gerechte Umstände zu bieten, haben wir eine ethische Verantwortung, jetzt die Grundlagen zu schaffen, dass jene, welche absehbar ihre Jobs verlieren werden, sich Kenntnisse aneignen können, um auch zukünftig Sinn und Selbstwert stiftende Tätigkeiten verrichten zu können.  


Schaffen wir Technologie, um die digitale Zukunft zu gestalten – oder läuft die Dynamik genau umgekehrt: Technologie und Digitalisierung dominieren unser Leben, wir werden gestaltet?

Nachdem die digitale Entwicklung weiter fortgeschritten ist als die ethische Diskussion darüber und die Schaffung adäquater Leitplanken, besteht wie angetönt in der Tat die Gefahr, dass wir lediglich zu manipulierten Datenlieferanten und Konsumenten werden.

Der Sophistizierungsgrad, den hierfür zum Beispiel Social Media bereits erreicht hat, ist so eindrücklich wie beängstigend. Sie schaffen zum Beispiel künstliche Verknappung, indem Video-Stories nur für kurze Zeit zur Verfügung stehen. Dadurch zwingen sie zunehmend abhängiger werdende Nutzer immer öfter ihren immer genauer auf die spezifischen Bedürfnisse abgestimmten Feed zu checken, um gefühlt am Puls zu bleiben und darauf reagieren zu können, um so soziale Bestätigung zu erlangen.

Dieser übersteigerte FoMO – Fear of Missing Out – gekoppelt mit einem im Digitalen fehlgeleitet menschlichen Grundbedürfnis auf Zugehörigkeit und Bestätigung, führen immer mehr Menschen potenziell in eine digitale Knechtschaft. Und mehr, das zerstört immer öfter auch effektiv Leben. In der Endausbaustufe könnten immer mehr in einem Szenario enden, das im genialen Film "Fight Club" treffend auf den Punkt gebracht wurde und sich zusammenfassen lässt als: «We are manipulated to do jobs we hate and to spend money we don’t have to buy things we don’t need to impress people we don’t even like».

Aber noch haben wir es in der Hand und können die Richtung bestimmen. Gerade dafür sind oft lamentierte, da für Unternehmen beschwerliche Initiativen wie die GDPR der EU, die uns das Recht an unseren persönlichen Daten sichern, wichtig. Ebenso die laufende AI- und Ethik-Debatte.  

Nach den Übertreibungen von 2017: Werden Kryptowährungen heute überschätzt oder unterschätzt?

Generell denke ich, dass das transformative Potenzial der Blockchain-Technologie ähnlich gross wie jenes des Internets ist. Sie kann eine Infrastruktur-Technologie wie Elektrizität oder eben das Internet werden und wie letzteres unser kulturelles und soziales Verhalten nachhaltig verändern.

Krytowährungen sind lediglich die erste Anwendung basierend auf dieser Technologie, aber "à la longue" bestimmt nicht die wichtigste. Aktuell sehen wir eine berechtigte und notwendige Korrektur, die es erlauben sollte, jetzt, nachdem im Crypto-Winter der Zirkus die Stadt verlassen hat, wieder massvoll an einem nachhaltigen strukturellen Ausbau der erforderlichen Infrastruktur zu arbeiten. Eine Infrastruktur, welche gemeinsam mit einem erforderlichen Aufbau von Vertrauen in die grundlegende Technologie die Basis für "mass adoption" bildet. Vorerst bleiben Kryptowährungen ein spekulatives und hoch volatiles Anlageinstrument. Um zu effektiven Währungen zu werden, braucht es noch lange. 

Werden Kryptowährungen Fiatgeld ersetzen – oder friedliche Koexistenz? Oder ganz andere Szenarien, welche?

Wie gesagt sehe ich Kryptowährungen primär als spannendes, allerdings auch risikoreiches, neues Anlageinstrument. Persönlich glaube ich nicht, dass sie mittelfristig Fiatwährungen ablösen werden, da zu grosse Interessen und Systeme dagegenstehen und das bestehende System, wenn es auch nicht perfekt ist, so doch funktioniert.

Sehr spannend könnten aber die aus der Tokenisierung erwachsenden Möglichkeiten werden. Dadurch wäre es möglich, ein bedeutend erweitertes Universum an Anlageinstrumenten bankable zu machen, was im Zusammenspiel mit unserer weltbekannten Schweizer Wealth Management- und Asset Management-Kompetenz ungemein spannende Möglichkeiten eröffnen könnte. Sobald die gesamte dafür erforderliche Wertschöpfungskette institutionelle Qualität erlangt. Zudem könnte es zu einer gewissen Demokratisierung von aktuell hoch spezialisierten und schwer zugänglichen Asset-Klassen führen.  

Zurück zur These "Master or Servant?": Welche Haltung, Skills, Eigenschaften sind für junge Menschen wichtig, um in der "neuen Welt" Erfolg zu haben?

Ich denke, dass wir ins Zeitalter des "liquid talent" eintreten, in welchem jede und jeder ein Entrepreneur um ihre oder seine spezifischen Talente und Kenntnisse wird.

Nachdem neben geografischen Ankerpunkten auch die pyramidalen Organisationsformen – ein Erbe aus der industriellen Revolution, die es erforderlich machte, plötzlich eine grosse Anzahl Menschen zu organisieren und dabei als Modell lediglich aufs Militär und die Kirchen zurückgreifen konnte – zunehmend an Adäquanz und Relevanz verlieren, werden insbesondere unternehmerische Fähigkeiten wichtig. Und das Vermögen, über kulturelle Grenzen und Disziplinen hinweg kreativ und wertschätzend zusammenarbeiten zu können. Dafür sind Reisen und das Bewahren eines offenen und ehrlichen Interesses an … allem … die besten Lehrer und Ingredienzen.