Von digitalen Neo-Banken und von klassischen Banken auf dem Weg zu digitalen Neos

Banknoten und Münzen mit Schweizerkreuz
Bild: MarekUsz | Getty Images

Frischer News- und Ankündigungswind kommt aktuell von allen Seiten, von Neo- und von klassischen Banken – wohin wird die Reise führen?

Nur schon die Nachrichten der letzten Wochen zeigen, dass die einst beschauliche Ruhe innerhalb der traditionellen Bankenlandschaft der Vergangenheit angehört. Klassische Banken sind in den letzten Monaten sehr viel aktiver als in den Jahren zuvor. Einige Beispiele im kurzen Überblick.

Ein Blick auf die Aktivitäten der traditionellen Banken

Die Grossbank Credit Suisse hat Mitte Jahr ihre neue Debit Mastercard lanciert, das ist die abgelöste Maestro-Karte mit neuen Flügeln und erweiterten Funktionen. UBS hat kurz darauf nachgezogen und die Global Card vorgestellt – über das eine wie das andere haben wir berichtet.

Die Lancierung erfolgte in beiden Fällen und von den beiden Banken auch so deklariert als Antwort und Alternative auf die Angebote von Challenger-Banken, die (auch) den Grossbanken Kartenkunden abjagen.

Grossbanken denken nicht nur über die frühere Allfinanz-Idee nach, die UBS macht neue Schritte in Richtung Bancassurance und kombiniert Hypo-Abschlüsse mit Lebensversicherungen. Mit den Hypo-Vergleichsplattformen Valuu und Key4 haben die Postfinance und die UBS offensichtlich Grosses vor, beide Plattformen werden nicht reine Vergleichsdienste bleiben, sondern sollen zu Ökosystemen mit erweiterten Leistungen ausgebaut werden.

Die Bank Cler konkretisiert ihre Bitcoin- und Kryptopläne und will 2021 ein Angebot für den Handel und die Verwahrung von digitalen Vermögenswerten lancieren. Die Hypothekarbank Lenzburg, seit Jahren schon die digitale Speerspitze der klassischen Banken, hat sich vor einigen Tagen nicht aufs Ankündigen beschränkt, sondern gleich konkrete digitale Nägel mit Krypto-Köpfen abgeliefert: ihre Open Banking Digital Asset Plattform. Bei den Lenzburgern ist die Tokenisierung und Aufbewahrung digitaler Vermögenswerte bereits Realität.

Auf konkrete Resultate und auch auf weitere Ankündigungen darf man gespannt sein, die neue Bewegung an allen Fronten wird sich fortsetzen und an Tempo noch zulegen.

Und das nächste grosse Ding?

Die Ankündigung der Credit Suisse zu den Plänen der neuen Geschäftseinheit "Direct Banking" unter der Leitung von Mario Crameri hat unsere Redaktion im September 2019 zur Frage veranlasst: Baut die Credit Suisse eine digitale Bank auf der grünen Wiese?

Hintergrund der Frage waren zwei mögliche Szenarien, die in ihrer Sprengkraft sehr unterschiedlich wirken können – die Entwicklung einer Neo-Bank auf der grünen Wiese war eines der denkbaren Szenarien.

Wie die Grossbank diese Woche informiert, will die Einheit "Direct Banking" der CS "Ende Oktober ein neues digitales Angebot auf den Markt bringen, das Flexibilität und Kostenvorteile einer digitalen Bank mit dem Leistungsangebot der Credit Suisse als etablierte, in der Schweiz ansässige Universalbank kombiniert".

Das hört sich jetzt weniger nach digitaler Bank auf der grünen Wiese an, konzipiert mit der Autonomie eines Startups, mehr nach hybrider Lösung, positioniert im Umfeld und innerhalb der Struktur des Mutterhauses. Zudem werden die beiden Geschäftseinheiten "Direct Banking" und "Digitalization & Products" zusammengeschlossen. Die Leitung der neuen Geschäftseinheit "Digital Banking" übernimmt Anke Bridge Haux, bisher Leiterin "Digitalization & Products".

Der bisherige Leiter des Projekts "Direct Banking", Mario Crameri, wird zusammen mit Anke Bridge Haux als Chefin die Früchte seiner einjährigen Aufbauarbeit ernten. Ebenfalls ein Indikator dafür, dass das neue Projekt weniger als Neo-Bank starten wird, sondern eher ergänzende Angebote in der Nähe bisheriger Leistungen lancieren wird, einfach digitaler ausgelegt. Überraschungen bleiben möglich, die CS wird im September im Detail informieren.

Eine Einschätzung von Rino Borini

Unsere Kollegen von der Finanzplattform Finews haben diese Woche den Branchenkenner Rino Borini zum Status und zur Rolle der klassischen Banken im Umfeld der laufenden Entwicklungen befragt.

«Zu glauben, dass die knapp 250 noch existierenden Schweizer Banken alle überleben werden, ist völlig illusorisch», sagt Borini. Wie er zu dieser Aussage kommt und weshalb er "das Mindset in Sachen Digitalisierung bei vielen Banken vermisst" erklärt Borini im Gespräch mit Claude Baumann von Finews:

Und was tut sich bei Challenger-Banken in der Schweiz?

Die internationalen Player wie Revolut, N26, Transferwise, Monzo und andere lassen wir für einmal aus, wir bleiben national.

Flow Bank
Mit der Flow Bank startet im Herbst 2020 die nächste Challenger-Bank mit einem interessanten Schwerpunkt: Mit ihrer Investment- und Trading-Plattform schafft die Flow Bank für ihre Kunden den direkten Zugang zu über 50 Finanzmärkten in der Schweiz, der EU, den USA und in Asien mit einem einzigen Multi-Währungskonto.

Yapeal
Die Neo-Bank Yapeal ist mit eigener FinTech-Lizenz erst seit wenigen Wochen im Markt, setzt auf die Kraft der Community, vor allem auch auf ein starkes Macher-Team mit sehr viel Bankerfahrung, Technologie- und Marketing-Kompetenz, kooperiert mit Sunrise, hat Vontobel mit ihrer Technologie und dem schnellsten Onboarding der Schweiz überzeugt und als Investor an Bord geholt und nimmt jetzt erst richtig Anlauf. 

Zak
Zak, die digitale Smartphone-Bank der Bank Cler, ist seit März 2018 im Markt, hat bisher 35'000 Kunden an Bord nehmen können und verfolgt nach Aussagen von Cler-CEO Mariateresa Vacalli hohe Wachstumsziele.

Zak baut Angebote und Funktionen laufend aus, in den kommenden Monaten stehen zum Beispiel ein einfacheres Online Onboarding sowie eine Cryptowallet-Lösung auf der Projektliste.

Neon
Die Challenger-Bank Neon ist seit knapp eineinhalb Jahren im Markt. Das Startup ohne Banklizenz profitiert von einer digitalen Bank im Hintergrund, die Hypothekarbank Lenzburg steht für Kontoführung und stellt über ihre Open Banking-Plattform Technologie und zahlreiche Leistungen zur Verfügung, welche das FinTech nicht selbst erbringen muss.

Seit seinem Start hat das FinTech nach eigenen Angaben mehr als 30'000 Kunden von seiner App überzeugen können. In Sachen Gebühren hat sich Neon auf die Fährte von Revolut gesetzt, so verzichtet das FinTech seit Januar 2020 zum Beispiel auf alle Gebühren und Wechselkursaufschläge bei Kartenzahlungen. Seit Juli 2020 partnert Neon mit dem Digital-Versicherer Smile und will auch im Bereich von Bancassurance punkten.

Das FinTech ist für Schweizer Verhältnisse hervorragend finanziert. Zum Start durch Tamedia (TX Group), durch Investoren aus der Höhle der Löwen, Ende September 2019 hat die Smartphone-Bank 5 Millionen Franken von verschiedenen Investoren eingesammelt und aktuell meldet Neon eine weitere Wachsumsfinanzierung über zusätzliche 5 Millionen Schweizer Franken. Neben den bereits bestehenden Investoren gehören neu nun auch Helvetia Venture Fund sowie QoQa Services zu den Kapitalgebern.

Der Kapitalbedarf mit 5 Millionen pro Jahr (?) und die Cash Burn Rate scheinen hoch – das FinTech mit aktuell rund 20 Mitarbeitern will das frische Kapital nach eigenen Angaben in den "Produktausbau und in weiteres schnelleres Wachstum" investieren.

Kommentare und Einschätzungen

Kommentare konzentrieren sich zwangsläufig auf das FinTech mit den aktuellen Nachrichten. Neon bekommt von Kunden und auch von Investoren positive Feedbacks und Kommentare. Kritik von medialer Seite gibt's auch – zwei Fundstücke als Beispiel, einmal sanft, einmal knüppelhart. Zuerst die sanfte Version. 

Ein Kommentar auf Twitter von Eric Salzmann, der die Bancassurance-Lösung noch etwas erweitert definiert haben möchte.

Wirtschaftsjournalist Lukas Hässig stellt auf der Finanzplattform Inside Paradeplatz in harscher Kritik generell Venture Capital und Startup-Finanzierung infrage. Aufgehängt am Beispiel der Challenger-Bank Revolut, von der er sagt: "Das litauische Unternehmen hat es zu Millionen von Kunden und Berühmtheit gebracht – nur die Kasse will nicht so recht klingeln."

Hässig zieht Parallelen zum Schweizer Beispiel Neon und meint: "Effektiv steht die Firma erst am Anfang. Sie sollte jetzt mit einem einfachen, sicheren, schnellen und „coolen“ Produkt überzeugen. Und dann Schritt für Schritt nach oben kommen. Startup-Kultur: aus eigener Kraft etwas Grosses schaffen."

Lukas Hässig hat sich offenbar in Rage geschrieben, Investoren und Startup-Gründern mögen sich die Nackenhaare sträuben – lesenwert bleiben sein Kommentar und seine Betrachtung zu "hungrigen Unternehmertypen" dennoch, hier nachzulesen:

Wohin wird die Reise führen?

Rino Borini dürfte richtig liegen mit seiner Vermutung, dass sich bei den 250 noch existierenden Schweizer Banken vieles verändern wird. Die Veränderungen werden nicht für alle in dieselbe Richtung gehen.

Ebenso klar, nicht alle von den internationalen und nationalen Challenger-Banken werden überleben, profitabel arbeiten und in einigen Jahren noch mit im Spiel sein. 

Die Finanzindustrie ist schon seit Jahren im Umbruch, aktuell werden laufende Veränderungen und Umwälzungen einfach sichtbarer und spürbarer. Exponenten aus allen Lagern agieren oder reagieren verstärkt, je nach Temperament, Mindset und Möglichkeiten mit mehr oder auch weniger Wirkung.

Wohin die Reise führen wird, kann heute niemand treffsicher prognostizieren. Sicher jedoch ist: Wir bewegen uns aktuell in einer der wirklich spannenden Phasen der gesamten Entwicklung.

Aufschieben, zögern, zaudern, vertagen – vor Jahren noch möglich, geht heute nicht mehr. In der aktuellen Phase werden tatsächlich die Plätze und die Karten für die Zukunft verteilt. Und die besten Plätze sind nur mit mutigen Entscheidungen und konkreten Taten zu haben. Mit Konzepten, Projekten und Lösungen, die Menschen, Kunden und Märkte überzeugen.