Es ist eine kräftige Delle, kein Totalschaden. Nicht die erste und nicht die letzte Delle. Eine allerdings, die FOMO-getriebene Kleinanleger schmerzhaft auf den Boden der Bitcoin-Realität zurückgeholt hat.
Wer im November bei 68'000 Dollar eingestiegen ist, dürfte sich wundern, warum das Investment kurze Zeit später nur noch 47'000 Dollar auf die Waage bringt. Das Phänomen nennt sich Bitcoin. Und Volatilität. Beides steht im Widerspruch zu den Prognosen zahlreicher "Experten", die den Bullenrun zwischen Anfang Oktober und Mitte November zum Anlass genommen haben, sich gegenseitig mit neu gesetzten Höchstmarken zu überbieten.
100'000 Dollar bis Ende November war nach Meinung der Euphoriker der nahezu nicht vermeidbare Klacks, der vor der Türe stand. Nächste Marken von 200'000 bis um die 400'000 Dollar wurden vermehrt als ambitionierte Ziele genannt und ins Auge gefasst. Der massive Rücksetzer in der Nacht auf Samstag hat die laut geträumten Blasen der Glaskugel-Deuter vorerst platzen lassen. Das ist den "Experten" egal, die sind einfach still, bis die Kurse wieder anziehen. Dem Heer von Kleinanlegern ist das gar nicht egal. Zumal viele dazu neigen, zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt mit geteilter Euphorie einzusteigen und und zum nochmals schlechtesten Zeitpunkt von Panik getrieben wieder auszusteigen.
Würden diese "Experten" bei ihren gewagten Prognosen jeweils den Begriff "langfristig" drei Mal unterstreichen, wäre ihre Inkompetenz immer noch gegeben, aber zumindest halbwegs verzeihbar.
Vom Unterschied zwischen Krypto-Zampanos und Krypto-Experten – und lassen sich Kursentwicklungen von Bitcoin und Altcoins überhaupt vorhersagen?
Es gibt eine relativ grosse Zahl hervorragender Krypto-Experten und Expertinnen. Sie alle sind daran zu erkennen, dass sie so gut wie nie konkrete Prognosen zur kurzfristigen Kursentwicklung abgeben. Deshalb sind sie keine "Experten" im Sinne von euphorischen Hellsehern oder Krypto-Zampanos, es sind wirkliche Experten mit solidem Hintergrund und Wissen. Dieses Wissen, ihre Analysen und ihre Expertise zielen in der Regel auf langfristige Entwicklungen und damit auf mögliche Potenziale, die Bitcoin, Altcoins und DeFi in den nächsten Jahren freisetzen könnten. Diese Haltung teilen sie in der Regel mit institutionellen oder professionellen Grossanlegern, welche sich nicht kurzfristig, sondern mit langen Horizonten im Bereich der Kryptos engagieren. Mit der notwendigen Gelassenheit, welche durch das Auf und Ab der Kurse nicht zu erschüttern ist.
Aktuell bleiben Bitcoin und andere Coins jederzeit für Überraschungen gut. In alle Richtungen. Deshalb kann niemand seriös die kurzfristige Kursentwicklung von Bitcoin und Altcoins vorhersagen. Niemand. Zu keiner Zeit. Das hängt damit zusammen, dass Bitcoin und andere Coins sich in noch unwägbaren Umfeldern mit zahlreichen bekannten und unbekannten Einflussfaktoren bewegen, die schlicht keine tragfähigen Prognosen für die nächsten Wochen oder Monate zulassen. Wer's dennoch tut, wirft Pfeile mit verbundenen Augen auf eine Zielscheibe, die dauernd in Bewegung bleibt.
Das gilt im Besonderen auch für die selbsternannte "Experten"-Fraktion der Krypto-Zampanos, die primär von Hoffnung und Glauben getrieben sind. Sie neigen dazu, Bullenruns in ungeahnte Höhen weiterzudenken oder Bärenphasen vorzeitig als beendet zu erklären, weil die Hoffnung gebietet, es möge endlich wieder aufwärts gehen. Diese Propheten werden weiterhin auf ihre Gefolgschaft zählen können. Sie bestätigen das, was unerfahrene Anlegerinnen und Anleger sich wünschen und glauben wollen – deshalb kommen auch die irrwitzigsten Botschaften gut an, sofern sie Glück und Reichtum verheissen. Den hohen Preis für den Glauben zahlen oftmals Heerscharen von Kleinanlegern, die mit unbedachten Investments kurzfristig Gewinne realisieren wollen.
Welche Einflüsse werden als Gründe für die aktuelle Krypto-Delle benannt?
Wie bereits angeführt, einige Geheimnisse behält der Bitcoin für sich. Verschiedene Analysten und Medien führen aktuell die Corona-Mutation Omikron, die drohende Pleite von Evergrande, hohes Inflationsrisiko oder allerhand technische Gründe für den Taucher ins Feld. Man liest da und dort, Anlegerinnen und Anleger hätten ihr Geld in Sicherheit gebracht, indem sie ihre Bitcoin-Bestände verkauft hätten.
Diese Argumentation ist interessant, weil völlig unlogisch. Wird Bitcoin immer wieder als das Gold der Zukunft oder der sichere Hafen gegen Inflation bezeichnet, wäre es bei all den genannten äusseren Einflüssen ziemlich widersinnig, Bitcoin-Bestände panikartig auf den Markt zu werfen. Zumal diese Einflüsse als Nachrichten nicht gerade taufrisch und schon seit einiger Zeit bekannt sind.
So oder so, wirklich langfristig orientierte Anleger werden den Dip aufkaufen. Das sind jene, die mit der nach wie vor hohen Volatilität umgehen können, weil sie sich weder durch Euphorie noch durch Panik leiten lassen, sondern mit Gelassenheit agieren. Auf Langfristigkeit bedacht eben.
Sind andere Gründe für den Bitcoin-Taucher erkennbar?
Unsere Redaktion hat vor knapp drei Wochen ausführlich analysiert, welche Faktoren die Bitcoin- und Krypto-Party vorzeitig beenden könnten, hier nachzulesen. Bereits im Juli und im September haben wir ausgeführt, welche äusseren Einflüsse Kryptowährungen bremsen oder sogar zum Absturz bringen könnten, hier und hier. Kein Absturz für immer, aber sehr viel mehr als nur eine kurzfristige Delle.
Im Kern geht's auch aktuell um den Wind, der aus Kreisen von Politik, Regulatoren und anderen Gremien dem Kryptomarkt immer spürbarer entgegenweht. Strömungen, Ideen und Vorschläge, welche Stable Coins, Kryptowährungen und auch DeFi engere Fesseln anlegen wollen und werden.
In den USA kocht die Suppe momentan deutlich heisser als noch vor einigen Monaten, angerührt von verschiedenen Exponenten und Gremien. Und in diesen Tagen sind auch die EU-Räte konkreter geworden. So sollen Kryptowährungen ähnlichen Transparenzregeln unterstellt werden, welche heute schon beim normalen Zahlungsverkehr gelten, damit Krypto-Transfers komplett nachverfolgt werden sowie Sender und Empfänger klar identifiziert werden können, Details dazu hier. Deshalb sollen nach Ansicht des EU-Rates zum Beispiel anonyme Krypto-Wallets (digitale Aufbewahrungsbörsen) verboten werden. Diese Entwicklung ist nicht erstaunlich, in ihrer Konkretisierung aber eben neu. Das zeitigt möglicherweise Reaktionen von gut informierten Marktteilnehmern.
Was in welcher Form und aus welcher Ecke redulatorisch konkret kommt, wird sich erst zeigen. Mit steuerlichen und praktischen Auswirkungen auf Stable Coins, Kryptowährungen und DeFi ist jedoch zu rechnen. Diese möglicherweise engeren Spielräume werden langsam erkannt und dürften ebenfalls Auswirkungen auf die Kursentwicklung haben. Diese Strömungen und manifesten Entwicklungen dürften beim aktuellen Rücksetzer der Kryptomärkte bereits eine Rolle gespielt haben. Und je nach Konkretisierung werden sie auch in absehbarer Zukunft Auswirkungen haben.