Lightning-Serie #2

Lightning und Bitcoin: Unzertrennlich und aufeinander angewiesen

Jack Mallers bei seiner Präsentation vor dem IWF
Jack Mallers bei seiner Präsentation vor dem IWF (Quelle: Youtube)

Sebastian Strub zu Bitcoin und Lightning, warum das eine das andere bedingt und welche Rollen Dezentralität und Privatsphäre in dieser Symbiose spielen.


Einführung

Jack Mallers ist ein smarter Bitcoiner. Und er ist der wohl prominenteste Vermarkter des Lightning-Netzwerks. Er hat seine Ideen sogar schon beim IWF vorgetragen. Mallers wird nicht müde, den Unterschied zwischen Bitcoin, dem Asset, und Bitcoin, dem Netzwerk, hervorzuheben.

Diese Differenzierung ist ein wiederkehrendes Thema in der Debatte über Bitcoin. Erschaffen als «peer to peer electronic cash system» (siehe Whitepaper), wurde über die Jahre verstärkt die Analogie vom digitalen Gold bemüht. Wie Gold, so glauben viele, eignet sich Bitcoin zur Wertaufbewahrung, nicht aber zum Werteaustausch.

Jack Mallers selbst scheint dies zu bestätigen. Sein Unternehmen Strike ermöglicht Nutzern das Senden und Empfangen in Fiatwährungen. Lightning wird dabei genutzt als effizientere Alternative zu Visa und Co. Am Anfang und Ende steht ein Währungswechsel. Statt Bitcoins, so erklärt er, könnte man auf Lightning genauso gut Erdnüsse austauschen.

Sind Bitcoin, der Wertspeicher, und Lightning, das asset-agnostische Zahlungsnetzwerk, deshalb völlig getrennt zu betrachten? Nein. Im Gegenteil: Beide sind untrennbar verbunden. Lightning ohne Bitcoin ist Unsinn. Auf der anderen Seite kann Bitcoin sein Potenzial ohne Lightning nicht entfalten.

Die Begründung meiner These beginnt, wo der erste Teil dieser Serie angesetzt hat: bei Lightning und seinen Attributen als Zahlungssystem. Diesmal wird auf die Rolle von Dezentralität und Privatsphäre für Bitcoin fokussiert.

Der Zweck des Beitrags ist es, Topologie und Konstruktion von Lightning zu motivieren. Dies ist wichtig, um es von Payment-Lösungen wie etwa Alipay zu unterscheiden.

Dezentral ist ineffizient

Lightning ist relativ schnell und günstig. Doch es funktioniert längst nicht problemlos. Wie bereits besprochen wird eine Route mit genügend Liquidität benötigt, um eine Zahlung auszuführen. Noch komplizierter wird es, weil jede Verbindung zwischen zwei Knotenpunkten auf jeder Seite ein eigenes Guthaben hat. Ganz ähnlich wie im Nostro-Vostro-System der Banken. Sitzt die Liquidität am falschen Ende, so schlägt die Zahlung fehl, obwohl der Knoten insgesamt liquide ist. Routing nodes betreiben hohe Aufwände, Liquidität auf ihren Kanälen optimal zu verteilen, um Zahlungen erfolgreich weiterleiten zu können und entsprechende Gebühren zu sammeln. Inzwischen gibt es bereits Dienstleister, die das Schmiermittel Liquidität gegen Gebühren bereitstellen. Forscher suchen nach neuen Algorithmen, um die Erfolgswahrscheinlichkeit von Zahlungen zu erhöhen (siehe Research Paper). Geht das nicht effizienter?

Alipay als moderneres und komplett zentralisiertes System ist hinsichtlich Effizienz unschlagbar, da alle Zahlungen bloss Mutationen in einer Datenbank darstellen. Zwar ist es der Willkür der chinesischen Behörden ausgeliefert, aber da der Mutterkonzern Alibaba ohnehin streng reguliert wird, stellt dies kaum eine zusätzliche Gefahr dar. Ähnliches gilt für PayPal oder Square. Milliarden Menschen nutzen sie und machen sich wenig Gedanken über die Gefahren und möglichen Nachteile. Warum also nicht auf eine zentrale Infrastruktur setzen für den Zahlungsverkehr?

Privatsphäre und Zensur-Resistenz

Zensur-Resistenz und Privatsphäre sind zentrale Werte im Bitcoin-Ökosystem. Mediales Geschwätz unkt von Kriminellen und Sonderlingen, die sich im anonymen Netzwerk tarnen. Das ist jedoch empirisch nicht haltbar oder zumindest verkürzt dargestellt. Die beiden Werte sind vielmehr im Kontext der ursprünglichen Motivation für Bitcoin zu verstehen.

Bitcoin ist eine Antwort auf den Kollaps von 2008. Das fehlende disziplinierende Element im Fiat-System führt zu immer stärkeren Fehlanreizen. Zentralbanken wählen im Ernstfall den Weg des geringeren Widerstandes. Sie versorgen die Wirtschaft mit immer höheren Dosen der Liquiditätsdroge, anstatt sich gegenüber Politik und Gesellschaft für eine schmerzhafte Kur verantworten zu müssen. Hohe Verschuldung macht das System fragil und ständige Interventionen notwendig. Insbesondere die USA als monetärer Hegemon erliegt der Versuchung, immer neue Schulden zu kreieren und Assets mit Liquidität zu stützen.

Bitcoin ist ein Versuch, eine verbesserte und digitale Version eines «harten Geldes» zu etablieren (siehe Boyapati's Artikel "Das bullische Argument für Bitcoin"). Soll Bitcoin erfolgreich sein, muss es das staatliche Währungsmonopol zumindest teilweise herausfordern.

Das klingt aktuell phantastisch. Doch die geopolitische Relevanz von Bitcoin wird zusehends offensichtlich. In allen Events der jüngsten Zeit spielte es eine Rolle. Zunächst die Finanzierung der Covid-Proteste in Kanada mit Bitcoin-Spenden, nachdem die Regierung Bankkonten sperren liess. Dann die Ukraine-Tragödie: Einerseits empfängt das bedrohte Land signifikante Spenden in Bitcoin. Es zählt auch zu jenen mit der höchsten Adoption der Kryptowährung. Ukrainer haben ihre Ersparnisse unkonfiszierbar in kleinen USB-Sticks gesichert. Auf der anderen Seite besteht die Sorge, dass Russland Sanktionen mit Bitcoin umgeht. Das entbehrt zwar bisher eines empirischen Belegs, lässt sich aber im pseudonymen System nicht ausschliessen.

Staatsfeind Nummer 1

Bitcoin fordert eine Trennung zwischen Staat und Geld – analog zur Trennung zwischen Staat und Religion im Zuge der Aufklärung. Dies kommt einer Kriegserklärung ans Finanzministerium gleich. Die USA als Herausgeberin der Weltreservewährung würden unter der forcierten Adoption das Privileg steter Nachfrage nach den eigenen Schuldverschreibungen einbüssen. In diesem – heute noch unwahrscheinlichen, aber möglichen – Szenario würde Bitcoin ähnlich hart attackiert werden wie ein Kriegsgegner.

In einer Auseinandersetzung mit Behörden bedeutet jeder verwundbare Punkt das Scheitern. Dabei ist Bitcoin nicht auf grösstmögliche Privatsphäre optimiert. Privacy Coins wie Monero versprechen höhere Anonymität. Doch ist es auch dort sehr schwierig, wirklich keine Spuren zu hinterlassen. Das Bitcoin-Ökosystem geniesst dabei den Vorteil der Marktdominanz: das Sicherheits-Budget ist so hoch, dass eine Attacke des Netzwerks ausgeschlossen scheint. Bitcoin-Transaktionen zu sanktionieren wird immer unwahrscheinlicher. Und mit der Menge an Nutzern potenziert sich der Aufwand für die De-Anonymisierung von Adressen. Dezentrale Börsen wie Bisq, die Nutzung von Lightning sowie Protokoll-Updates wie Taproot erhöhen die Resilienz. Vermögen bei zentralen Verwahrstellen und Börsen sind jedoch einfache Angriffsziele.

Mit hohem Aufwand gelingt es Behörden oft, die Identitäten hinter Bitcoin-Adressen zu enttarnen. Dies wurde den comichaften mutmasslichen Cyber-Kriminellen Ilya Lichtenstein und Heather Morgan zum Verhängnis, die auf über 4 Mrd. Dollar erbeuteten Bitcoin sassen. Details dazu in der New York Post.

Vor diesem Hintergrund erscheinen Privatsphäre und Zensur-Resistenz in neuem Licht. Bitcoin-Nutzer müssen ungehindert und mehr oder minder anonym bleiben können. Eine Verbindung zwischen Bitcoin-Adresse und Identität von Millionen Nutzern herzustellen muss für Behörden impraktikabel sein. Privatsphäre und Zensur-Resistenz sind demnach unabdingbar, um die Fungibilität von Bitcoin zu verteidigen.

 

Stablecoins und Finalität

Zurück zu Lightning: Bitcoin als potenzielles digitales Gold ist sehr volatil. Zudem halten die meisten Nutzer an Bitcoin fest, statt das im Wert steigende Asset aus der Hand zu geben. Dies schränkt die Nutzung von Lightning im Massenmarkt aktuell ein.

Um die Nachteile zu verringern, nutzen Anbieter wie Strike Börsen auf Käufer- und Verkäuferseite, sodass beide Parteien Bitcoin nicht zwangsweise halten müssen. Zudem erarbeiten Lightning-Entwickler Lösungen, um Stablecoins über Lightning zu versenden. Somit könnten Transaktionen in vielen Währungen günstig, in Echtzeit, ohne Kontrolle und Zugangsbarrieren um die ganze Welt gesendet werden. Gerade für Menschen in Entwicklungsländern ohne Zugriff auf etablierte Fiat-Währungen wäre dies ein enormer Vorteil.

Stablecoins werden von Unternehmen emitiert, die für die Kursparität zur Fiat-Währung einstehen. Die Emission wird perspektivisch an KYC-Regularien geknüpft werden, unter anderem um Kapitalflucht zu verhindern. Auf Lightning könnte sich jedoch ein Sekundärmarkt entwickeln, auf dem opportune Personen ihre Stablecoins spurlos an Dritte veräussern. Behörden können dann nur den Wiedereintritt in die Fiat-Wirtschaft regulieren.

Stablecoins auf Lightning reduzieren die Anreizproblematik und Akzeptanzprobleme von Bitcoin. Sie bergen aber auch Angriffsfläche. Die Abhängigkeit von einer zentralen Instanz zur Garantie der Kursparität widerspricht der Philosophie von Bitcoin. Dieser Kompromiss ist in vielen Szenarien sinnvoll. Allerdings kommt so das zentrale Alleinstellungsmerkmal von Lightning nicht voll zum Tragen.

Dieses liegt in der absoluten Finalität für Lightning-Zahlungen (Buzzword Alarm: «atomic settlement») – ermöglicht durch den dezentralen, resistenten und unveränderlichen Konsensus-Mechanismus der Bitcoin-Blockchain. Niemand kann eine Lightning-Zahlung revozieren, zensieren oder ungültig machen. Bitcoin gewährt die stärksten Eigentumsrechte der Geschichte. Im Gegensatz dazu ist jeder Transfer über Alipay und Co. potenziell durch die FinTechs selbst, die abwickelnden Banken oder die Regulatoren zensier- und einsehbar. Und auch wenn der Transfer ausgeführt wurde, können Guthaben eingefroren werden.

Für die breite Masse ist dies heute nicht bedeutend. Doch absolute Finalität ist ein Attribut von Lightning, das kein anderes Zahlungssystem im traditionellen oder Crypto-Space in dieser Absolutheit bieten kann. Und es ist genau dieses Attribut, das Lightning für Bitcoin essentiell macht. Bitcoin kann einen Konflikt mit behördlicher Gewalt nicht glaubhaft antreten ohne die Möglichkeit skalierbarer, anonymer, günstiger und globaler Zahlungen.

Schlussfolgerungen

Nur im Kontext der Notwendigkeit, Fungibilität, Resistenz und dadurch Finalität zu gewährleisten, erscheint die Topologie des Mesh-Netzwerks Lightning sinnvoll. Lightning kann verschiedene Assets abbilden, aber nur als Smart-Contract-Protokoll im Bitcoin-Ökosystem reüssieren.

Privatsphäre ist nicht nur wichtig, um Whistleblower zu schützen. Vielmehr ist Fungibilität das zentrale Problem, das einer Blockchain mit öffentlicher Transaktionshistorie inhärent ist. Ohne grösstmögliche Fungibilität kann Bitcoin vielleicht Wertspeicher, nicht aber Geld werden.

Bitcoin wird nicht verschwinden, wahrscheinlicher ist, dass es jede heute existierende Währung überleben wird

Dezentrale Peer-to-Peer-Systeme sind äusserst resilient. Sie bedürfen keiner zentralen Instanz für Wartung und Weiterentwicklung. Solange Individuen einen Nutzen daraus ziehen, werden sie weiter existieren. Ich spekuliere in dieser Serie niemals über die Wertentwicklung. Doch es sollte klar sein, dass Bitcoin nicht verschwindet. Wahrscheinlicher ist, dass es jede heute existierende Währung überleben wird.

Das genaue Verhältnis zwischen digitalem Gold und Geld ist kompliziert und bedarf ausführlicher Diskussion. Das etablierte Verständnis von Lightning im Kontext von Bitcoins Kampf mit dem Fiat-System erlaubt es jedoch, die politische Bühne zu verlassen. Im nächsten Beitrag vergleiche ich die heute gängigen Zahlungsinfrastrukturen und zeige die jeweiligen Stärken und Schwächen auf.

Die Lightning-Serie

Ob und wie Bitcoin Lightning Zahlungen und den Zahlungsverkehr weltweit auf neue Beine stellen kann. Eine Serie von Sebastian Strub in fünf Teilen.

Lightning-Serie #1 | SWIFT GPI und Bitcoin Lightning: Ein Vergleich

Lightning-Serie #2 | Lightning und Bitcoin: Unzertrennlich und aufeinander angewiesen

Lightning-Serie #3 | Bitcoin, Lightning, Stablecoins und der Zahlungs-Mix der Zukunft 

Lightning-Serie #4 | Twint, eBill, Swift und Lightning-Netzwerk: Offene Standards im Zahlungsverkehr 

Lightning-Serie #5 | Lightning und Embedded Finance

Der Autor: Sebastian Strub

Sebastian Strub, Business Engineer und Consultanz

Sebastian Strub ist als freiberuflicher Business Engineer und Consultant aktiv. Seit 2017 unterstützt er Unternehmen im Zahlungsverkehr, in Digitalisierungsprojekten sowie im datengetriebenen Produktmanagement.

Fasziniert von der Innovation des dezentralen Konsensus durch Bitcoin interessieren Sebastian vor allem die Implikationen für das Finanzsystem und den Zahlungsverkehr. Auf seiner Webseite veröffentlicht er regelmässig Beiträge zu diesen Themen.