Um als Wirtschaftsstandort bei globalen Firmen gefragt zu bleiben, muss die Schweiz ihre Stärken zukunftsgerichtet überarbeiten. Zwar hat die Standortqualität nicht abgenommen, andere Länder haben aber aufgeholt. Mit anderen Worten, der Preis für das Produkt Schweiz steigt ohne Gegenwert.
Die Schweiz glänzt seit Jahren mit ihrem Ansehen als Wirtschaftsstandort für multinationale Unternehmen und belegt nach wie vor diverse Plätze in Top-10-Rankings in verschiedenen Indizes für Innovation, Talent, Wettbewerbsfähigkeit oder Globalisierung. Die Präsenz globaler Firmen sowie ausländischer Direktinvestitionen bleibt ebenfalls auf hohem Niveau. Indes zeigen Statistiken eine abnehmende Tendenz über die letzten 15 Jahre. Insbesondere Länder wie Irland und die Niederlande haben sich entwickelt und behaupten sich als attraktive Standorte.
Hochpreisinsel Schweiz
Diese Konkurrenz darf nicht unbeachtet bleiben. Die multinationalen Unternehmen tragen mit 36 Prozent erheblich zum schweizerischen Bruttoinlandprodukt bei. Allerdings ist die in der Schweiz niedergelassene Anzahl entsprechender Unternehmen zurückgegangen, insbesondere was die globalen Hauptsitze und finanziellen Holdings betrifft. Gerade in Zeiten, wo die weltweite politische Landschaft unsicherer und instabiler als noch wenige Jahre zuvor erscheint, ist es wichtig, den Erhalt der Standortattraktivität aktiv zu fördern.
Im OECD-Vergleich in Bezug auf das Preisniveau gilt die Schweiz aktuell als das teuerste Land. Obwohl der daraus resultierende starke Schweizer Franken als stabiler Faktor gilt, übt dieser verstärkt Druck auf die Exportwirtschaft aus. Er wird zunehmend ein Hinderungsgrund für die Niederlassung multinationaler Unternehmen sein, wenn bisherige Steuervorteile mit der Einführung der Mindestunternehmenssteuer von 15 Prozent ab 2024 verschwinden.
Innovationsland Schweiz
Die Schweiz ist als eine der weltweit führenden Nationen im Bereich Forschung und Innovation anerkannt. Dies widerspiegelt sich in der hohen Anzahl von Patenten pro Kopf und wie auch der Vernetzung mit führenden Forschungsinstitutionen der EU. Diese Position ist in den letzten Jahren schwächer geworden. Nicht, weil die Schweiz per se weniger performt, sondern vielmehr, weil andere Länder am Aufholen sind.
Im Vergleich zu den Spitzenreitern unter den OECD-Ländern ist die Schweiz zusätzlich mit Fachkräften im Bereich Wissenschaft, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik im Rückstand. Dieser Mangel könnte sich in den kommenden Jahren im Zuge der erwarteten gesellschaftlichen Verschiebungen verschärfen. Abhilfe schaffen könnte die vermehrte Präsenz von Frauen in oben genannten Bereichen.
Direkte Demokratie auf dem Prüfstand
Der Zugang zu ausländischen Märkten ist für die Schweiz mit zahlreichen Handelsabkommen geregelt und die schweizerische Kaufkraft nach wie vor ein überzeugendes Argument. Jedoch sind die strategischen Standortüberlegungen multinationaler Unternehmen zunehmend darauf ausgerichtet, die Unsicherheiten, um die Kooperation zwischen der EU und der Schweiz mit einer Lokation des Firmensitzes in einem EU-Land zu eliminieren.
Die direkte Demokratie, welche bisher als wichtiges Einzelstellungsmerkmal für politische Stabilität galt, könnte zukünftig für eine erhöhte Planungsunsicherheit verantwortlich sein. Dann nämlich, wenn multinationale Unternehmen sich den Konsequenzen einschneidender Initiativen wie zum Beispiel der Abzocker-Initiative oder der Konzernverantwortungsinitiative entziehen wollen.
Veränderte Faktoren in der Lieferkette
Europäische Unternehmen haben bemerkenswerte Maturitätslevel erreicht, wenn es um die Just-in-Time Produktion geht. Allerdings haben die globale Pandemie, Handelsstreite sowie Krieg die Disruption von globalen Lieferketten zur Folge gehabt. Die Unternehmen kämpfen daher mit Produktionsverzögerungen aufgrund von Rohstoff- und Teileknappheit sowie mit Preissteigerungen bei natürlichen Rohstoffen, Fracht und Energie. Globales Sourcing ist auf dem Prüfstand, was die Standortfrage und die Bedeutung der "Glocalization", also der Verlagerung zurück zu vermehrt lokalen Lieferketten, befeuert. Zudem spielt Just-in-Case mit erhöhten Lagerbeständen für mehr Liefersicherheit als strategische Alternative zu Just-in-time wieder eine Rolle bei globalen Sourcing-Strategien.
Verlassen der Komfortzone
Um als Wirtschaftsstandort langfristig gefragt zu bleiben, muss die Schweiz aus ihrer Komfortzone kommen, Handlungsmassnahmen identifizieren und diese entsprechend umsetzen. Dabei sollen nebst den bestehenden Stärken "Lebensqualität" und "Nachhaltigkeit und Energiepolitik" weitere Aspekte hinzukommen, zu Stärken formuliert werden, um sich langfristig an führender Position zu wissen. Insbesondere sollte sich die Schweiz den neuen Arbeitsmarkgegebenheiten anpassen: Förderung von digital versierten Arbeitskräften, Reformierung in der Kinderbetreuung, Erhöhung der Anreize für Zweitverdiener sowie höhere Flexibilität für Teilzeitmodelle. Des Weiteren sind Investitionen notwendig, um veraltete Infrastrukturen und Einrichtung zu verbessern und zu digitalisieren. Nicht zuletzt ist es notwendig, eine starke Beziehung zur EU zu pflegen und Forschungsprogramme weiter zu fördern.