Netzsperren in der Schweiz
Das Schweizer Parlament spricht sich im März 2017 für Netzsperren im Internet aus und spielt dadurch kräftig mit dem Feuer. Das Zündeln könnte über kurz oder lang auch die Finanzbranche betreffen.
Denn sie wissen nicht, was sie tun
Wer in einer globalisierten Welt, in einem westlichen Land, in einer liberalen Gesellschaft Netzsperren zulässt und anordnet, stellt protektionistische Motive über die Freiheit von Internet und Marktwirtschaft. Zudem hat er von Internet und Technologie nur gerade so viel Ahnung, wie ihm eifrige Lobbyisten einflüstern. Ein Kommentar von Ruedi Maeder zu Netzsperren im Internet, die nicht nur wirkungslos, sondern vor allem gefährlich sind.
Was es ist
Über Netzsperren lassen sich Serviceanbieter blockieren, das heisst: definierte Dienste sind für Bewohner eines Landes im Internet nicht aufrufbar. Länder wie Russland, China, streckenweise auch die Türkei und andere Nationen setzen Netzsperren ein, um zum Beispiel Dienste wie LinkedIn, Facebook, Twitter oder andere nicht erwünschte Services temporär oder dauerhaft zu blockieren.
Netzsperren gehören zu den technischen Holzhammer-Methoden, um politisch, ideologisch, gesetzlich oder protektionistisch motivierte Absichten durchzudrücken. In der westlichen Welt sind Netzsperren ein heikles Thema, weil damit die Rechte von Bürgern eingeschränkt und die Regeln der freien Marktwirtschaft über den falschen Kanal beeinflusst werden.
Die Schleusen sind geöffnet
Dass sich der Nationalrat im März 2017 mit erdrückender Mehrheit für die erste Netzsperre im Zusammenhang mit ausländischen Online-Casinos ausspricht, hat mit intensivem Lobbying zu tun. Und mit der Tatsache, dass Kantone und AHV am Internet-Glückspiel kräftig mitverdienen – allerdings nur dann, wenn es sich um Schweizer Anbieter handelt. So weit, so verständlich – und dennoch als Entscheidung kurzsichtig und möglicherweise fatal in den Auswirkungen. Diese wegweisende Richtungsvorgabe kann weit über das Casino-Geschäft hinaus ihre Schatten werfen. Um die Glücksspielbranche geht's in unserer Betrachtung nicht, vielmehr darum, dass die Schweiz leichtfertig die Büchse der Pandora öffnet.
Wie es ankommt
Je nach Temperament spricht die jeweils abgeschottete und "geschützte" Internet-Gemeinde von Zensur (was es ist), von staatlichem Übergriff (was es ist) oder von Bevormundung der Bürger (was es ist). "Geschützt" deshalb, weil Netzsperren praktisch immer damit begründet werden, das wehrlose Bürger und Konsumenten vor bösen Anbietern geschützt werden müssen. So wird auch im aktuellen Fall mit der Internetsperre für Ausland-Casinos argumentiert, diese soll ausschliesslich zum Schutz von Spielsüchtigen und Gefährdeten aktiviert werden. Scheinheiligkeit ist nicht verboten, macht die Massnahme allerdings auch nicht glaubwürdiger.
Was es nützt
Ich bleibe kurz: Auf Dauer gar nichts. Weil Netzsperren mit wenigen Klicks umgangen werden können. Über ein Virtual Private Network (VPN) wird die Verbindung eines Internet-Users auf einen Server im Ausland umgeleitet und er wird nicht mehr als blockierter Schweizer erkannt. VPN kann von jedem Zehnjährigen in einer Minute aktiviert werden, dazu braucht er nicht mal seinen grossen Bruder zu fragen.
Wem es nützt
Wenn es überhaupt jemandem nützt, dann den Schweizer Online-Casinos sowie den Kantonen und der AHV, welche an den Gewinnen mitverdienen. Das tun sie ohnehin, bei Teilnehmern, die gerne die Schweizer Online-Angebote nutzen. Jene, die zum Zwangsspielen in Schweizer Casinos verdonnert werden sollen, werden Wege finden, im Ausland zu spielen. Für das Schweizer Volk ist kein Nutzen erkennbar. Gelegentliche Glücksspieler müssen nicht geschützt werden, da genügt eine gesetzliche Regelung ohne Netzsperre. Bei der überschaubaren Quote der "aktiven Hardcore-Zocker", die geschützt werden soll, ist ebenfalls kein Nutzen in Sicht, die werden VPN als Standard verwenden, um ihr Lieblings-Online-Casino anzusteuern.
Warum es schadet
Die Schweiz leistet aktuell einen aktiven und sichtbaren Beitrag, das offene und freie Internet zu reglementieren und einzuschränken. Erstaunlich, dass gerade unser liberales Land leichtfertig diese Türe öffnet, die schwer wieder zu schliessen sein wird. Damit wird gewissermassen eine grossartige Leistung und technische Errungenschaft, das freie Internet, in ersten Anfängen "fragmentiert" und "zerstückelt", das heisst, aufgeteilt in erreichbare und nicht erreichbare Bereiche. Ein Entscheid mit Signalwirkung in verschiedene Richtungen.
Was es auslösen kann
Im Kern sind zwei Szenarien denkbar, welche beide durch die erste Schweizer Netzsperre befeuert werden:
Neue Begehrlichkeiten in der Schweiz
So wie jetzt die Schweizer Glücksspiel-Industrie geschützt wird, werden andere Branchen auf dasselbe Recht pochen. Sind sie bisher nicht selbst auf die Idee gekommen, hat ihnen das Parlament nun vorgemacht, wie das funktioniert. Deshalb werden Forderungen nicht lange auf sich warten lassen.
Ausländische Versandhändler und Anbieter in zahlreichen Branchen setzen auch Schweizer Unternehmen unter Druck. Deshalb ein verlockender Gedanke, unliebsame Konkurrenz über den Umweg übers Parlament auszuschalten. Ali Express, eBay-Shops, Amazon, Zalando, Uber, Airbnb, ausländische Reiseanbieter – mit etwas Kreativität findet sich für jeden Fall ein Case und ein Motiv, weshalb Branchen und vor allem Konsumenten geschützt gehören.
Gegenrecht für andere Staaten
Zahlreiche Staaten tendieren dazu, nationale Gesetze oder protektionistische Tendenzen im Internet durchdrücken zu wollen. Das tun westliche Nationen jedoch sehr zurückhaltend. Einerseits, weil allen klar ist: ein Internet, das nicht mehr international funktioniert, sondern durch eine Vielzahl nationaler Hürden und Einschränkungen blockiert wird, ist unbrauchbar. In einer globalisierten Welt ohnehin. Auf der anderen Seite sind die Widerstände in der Bevölkerung und auch bei Institutionen sehr gross bei Bestrebungen, das freie Internet einzuschränken.
Das unglückliche Vorpreschen der Schweiz versetzt nun jedoch auch andere Staaten berechtigterweise in die Position, Gegenrecht zu üben. Nicht gewünschte Dienste, Angebote oder Informationen aus der Schweiz müssten nicht mehr politisch verhandelt werden, eine schnelle Netzsperre genügt und die Schweiz ist als Marktpartner weg vom Fenster. Klar, über VPN kann das Fenster wieder geöffnet werden, aber niemand hat Lust, sich dauernd zu anonymisieren, nur um kurzsichtige, politische Fehlentscheide online zu kompensieren.
Und was hat das mit der Finanzbranche zu tun?
Heute noch gar nichts, in Zukunft möglicherweise sehr viel mehr, als wir uns vorstellen möchten. In den letzten Jahren gab es zahlreiche Themen im Finanzbereich, welche im Dialog zwischen der Schweiz und dem Ausland teilweise heftige Debatten ausgelöst hatten. Wie umgekehrt natürlich auch. Diese Debatten soll man auch führen, keine Frage. Wird jedoch das Mittel der branchen- oder angebotsspezifischen Netzsperren salonfähig, könnte das auch der Finanzbranche schwer zu schaffen machen. Zumal ein Drittstaat auch auf die Idee verfallen könnte, Netzsperren als vorsorgliche Massnahmen oder als Mittel im Zuge von Sanktionen einzusetzen. Durchaus kreativ – allerdings eine Art von Kreativität, welche die Schweiz nicht durch einen vorgezogenen Tabubruch provozieren sollte.
Das Internet ist schlicht der falsche Raum, um protektionistische Modelle zu testen. Der Name "Internet" ist Programm und ein nationales Intranet wünscht sich niemand. Zumal Globalisierung und freier Handel nicht als Einbahnstrasse befahren werden können. Wer das tut, fährt irgendwann in neu aufgestellte Verbotsschilder anderer.
16. März 2017 | Ruedi Maeder
Links zum Thema
Stichwort zum Thema im Lexikon: Netzsperren
Der Autor
Ruedi Maeder ist ein ausgewiesener Fachmann im Zahlungsverkehr. Als Kommunikationsspezialist, Journalist und Autor publiziert er seit Jahren zu Themen aus der Finanzbranche, zum Zahlungsverkehr, zu Entwicklungen im FinTech-Bereich und zum Marketing der Finanzindustrie.
Er ist CEO und Mitinhaber der AGENTUR AM WASSER in Zürich sowie Chefredaktor der Informationsplattform MoneyToday.ch.