Die internationale Strategieberatung Oliver Wyman diagnostiziert ein mangelndes Vertrauen in die Digital-Strategie von Banken. Diese Diagnose ist Teil des diesjährigen Reports "The State Of The Financial Services Industry 2020".
Finanzdienstleister versuchen, das Unternehmen der Zukunft aufzubauen. Nach den Analysten von Oliver Wyman schüren jedoch ihre mangelnden Fortschritte bei diesem Vorhaben die Skepsis der Anleger. Nur gerade 25 Prozent der Anleger sind laut Report zuversichtlich, dass die Digitalisierungs-Strategie der Unternehmen von Erfolg gekrönt sein wird. Weniger als 1 Prozent der Befragten ist der Ansicht, dass die Pläne klar formuliert und glaubwürdig sind.
Thomas Schnarr, Leiter der Financial Services Practice von Oliver Wyman in Deutschland, unterstreicht "die Notwendigkeit zu investieren und sich zukunftsfähig aufzustellen", meint jedoch auch, "dass das Zeitfenster für die Umsetzung immer enger wird". Schnarr fügt an:
Obwohl in einigen Bereichen ein Durchbruch erzielt wurde, ist unter dem Strich bislang noch keine positive Wirkung erkennbar
Im Resultat macht der Report ein geringes Vertrauen der Anleger in die digitalen Strategien der Banken aus und erkennt eine Kluft zwischen Anlegern und Unternehmen.
Woher kommt diese Kluft zwischen Anlegern und Unternehmen?
Dem Report zufolge investieren Finanzdienstleistungs-Unternehmen im Jahr durchschnittlich fünf Prozent ihres Umsatzes in den Wandel. Die Anleger können nach eigenem Bekunden jedoch nicht nachvollziehen, in was die Unternehmen genau investieren und aus welchen Gründen. Was der Wandel beinhaltet oder wohin die Reise letztlich gehen soll, erschliesst sich ihnen nicht. Es fehlt den Anlegern an aussagekräftigen Kennzahlen zur Beurteilung der Fortschritte. Ausserdem haben sie Zweifel am Kosten-Nutzen-Verhältnis hoher Investitionen in neue Technologien.
Die Divergenz zwischen ambitionierten teuren Transformationsprogrammen und dem für Anleger nicht erkennbaren daraus resultierenden wirtschaftlichen Nutzen, wirft für Investoren offenstichlich die Frage auf, was Investitionen in digitale Lösungen tatsächlich bewirken.
Eine Frage ungenügender Kommunikation?
Möglicherweise wird das Problem zusätzlich verstärkt durch eine unterschiedliche Kommunikation auf verschiedenen Kanälen. Nach Oliver Wyman erwähnten 98 Prozent der europäischen Banken das Wort "digital" in ihrer externen Kommunikation, in den Research-Berichten der Analysten wurde der Begriff hingegen nur bei 27 Prozent der Banken genannt.
Die blosse Häufigkeit der Nennung des Wortes "digital" mag noch nicht unbedigt aussagekräftig sein, kann jedoch Hinweise liefern, dass bei Investoren möglicherweise Informations-Defizite bestehen. Digitale Strategien müssen gut begründet und verstanden werden, um das Vertrauen in notwendige digitale Massnahmen zu erhöhen.
Oliver Wyman: "Die Zeit drängt"
Die festgestellte Entfremdung fällt nach Meinung der Studien-Autoren mit einem weiteren Effekt zusammen: mit dem Auseinanderdriften von wachstumsstarken Big Techs sowie FinTechs und dem Finanzdienstleistungssektor.
Seit 2010 befindet sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bei FinTech-Unternehmen kontinuierlich im Aufwind, halten die Analysten fest, sodass die Werte inzwischen mindestens dem Doppelten des KGV von Finanzdienstleistern entsprechen. Bei Banken, so Oliver Wyman, ist das KGV von 14 auf 11 gesunken, bei Versicherern soll die Lücke noch grösser werden.
An reifen Märkten hat das niedrige Zinsniveau bereits zu zyklisch bedingten Umsatzrückgängen geführt, die weitreichendere Folgen haben als jede digitale Störung. Nach Schätzungen von Oliver Wyman sind 75 Prozent des Wertverfalls im europäischen Bankensektor auf makroökonomische Faktoren und die Regulierung zurückzuführen und lediglich 25 Prozent auf FinTechs und neue Wettbewerber am Markt.
Vor dem Hintergrund geringen Umsatzwachstums und zunehmend schlechter makroökonomischer Rahmenbedingungen besteht angesichts des wachsenden Wettbewerbsdrucks aus Richtung von FinTechs und Technologieunternehmen nach wie vor eine dringende Notwendigkeit, in Transformation zu investieren. Das Tempo, mit dem neue Finanzdienstleistungs-Lösungen auf den Markt gebracht werden, nimmt zu. Entsprechend wächst auch die Bedrohung durch Technologieunternehmen eher, als dass sie nachlässt.
Ein weiterer Abschwung könnte schwerwiegende Auswirkungen auf die zur Verfügung stehenden Investitionsmittel haben. Die Analysten von Oliver Wyman rechnen vor, dass die grossen Rezessionen und Finanzkrisen der letzten 30 Jahre bei Banken jedes Mal mit Umsatzverlusten innerhalb eines Jahres zwischen 10 und 50 Prozent einhergegangen sind, was weit über den 5 Prozent liegt, die durchschnittlich für Transformationsprogramme ausgegeben werden.
Vision und wirtschaftlicher Nutzen im Konflikt
Nach Aussagen von Oliver Wyman wird in der Finanzdienstleistungsbranche der Konflikt zwischen den beiden gegenläufigen Ansätzen "Vision" und "wirtschaftlicher Nutzen" immer ausgeprägter. Einige Unternehmen setzen verstärkt auf ihren visionären Ansatz und haben enorme Summen in Innovation und Transformationsprogramme investiert. Was die Gewinnseite anbelangt, bleiben die Ergebnisse jedoch in vielen Fällen hinter den Erwartungen zurück.
Unternehmen mit schwerpunktmässiger Ausrichtung auf den wirtschaftlichen Nutzen, haben unzählige kleine Veränderungen vorgenommen. Diese haben wohl für Aufmerksamkeit gesorgt, jedoch häufig kaum Wirkung gezeigt. Thomas Schnarr zum Thema:
Insbesondere für den deutschen Markt, mit einer geringen Profitabilität und vielen vergleichsweise kleinen Banken, stellt der Spagat zwischen Vision und wirtschaftlicher Realität eine besondere Herausforderung dar
Wo liegen mögliche Lösungen?
Um auf kurze und lange Sicht erfolgreich zu sein, werden Unternehmen auf eine Kombination aus Vision und wirtschaftlichen Nutzen setzen müssen, meint Oliver Wyman. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben die Unternehmen damit zu kämpfen, Investitionen in die Bereiche mit strategischer Priorität zu lenken. Stattdessen fliessen noch immer fast 50 Prozent der für die Transformation vorgesehenen Mittel in die Einhaltung obligatorischer regulatorischer Anforderungen.
Der allzu lockere Führungsansatz bei der Umsetzung digitaler Programme wird nicht lange Bestand haben, sind die Experten von Oliver Wyman überzeugt. An seine Stelle wird ein disziplinierterer, interventionistischer Ansatz treten.
Welche Aspekte stehen dabei im Vordergrund?
Nach Ansicht von Oliver Wyman sind fünf Aspekte entscheidend, um Vision und wirtschaftlichen Nutzen in Einklang zu bringen:
- Unternehmen müssen ein hohes Mass an Disziplin wahren und dürfen sich nicht dazu hinreissen lassen, in Copycat-Technologien zu investieren, die für manche, aber eben nicht für alle Unternehmen funktionieren
- Sie müssen sich auf eine kleinere Anzahl an Initiativen mit guter Mittelausstattung konzentrieren
- Es muss Klarheit bezüglich der von einem Investment in neue Technologie zu erwartenden Produktivitätssteigerungen herrschen
- Die Tools zur Bewertung und Steuerung von Veränderungen müssen besser werden
- Die externe Kommunikation muss verbessert werden, damit Anleger leichter nachvollziehen können, welche Faktoren die Entwicklung beeinflussen, und die Möglichkeit bekommen, die Fortschritte langfristiger Veränderungen zu verfolgen
Thomas Schnarr fasst die Empfehlungen und zusammen und formuliert ein eher düsteres Fazit:
Für den Erfolg eines Unternehmens wird die richtige Mischung aus Vision und wirtschaftlichem Nutzen entscheidend sein, doch viele Unternehmen werden hieran scheitern
Schnarr hält fest, dass" jedes Unternehmen für sich das richtige Verhältnis bestimmen und sich auf eine Strategie für die Zukunft festlegen muss – und das möglichst unbeeindruckt von der wachsenden Bedrohung durch Big Techs, der Gefahr einer Rezession und der zunehmenden Ungeduld der Anleger".
Der 30-seitige Report von Oliver Wyman steht in englischer Sprache als PDF zur Verfügung und kann kostenlos runtergeladen werden – über den Link gleich unten.